Kastanienhof ist der sechste Roman der Autorin Kerstin Rech. Foto: Martin Bernklau

Kerstin Rechs neuer Thriller Kastanienhof überschreitet das Krimi-Genre.

Asemwald - Erst vor guter Jahresfrist hat Kerstin Rech mit der Kurzgeschichte „Der Normalo“ in Mannheim den angesehenen Heinrich-Vetter-Literaturpreis bekommen. Aber viele ihrer Fans und einige Krimi-Kritiker halten ihr jüngstes Buch für ihr Meisterstück, den Thriller „Kastanienhof“. Es ist der sechste Roman der Autorin aus dem Asemwald und eigentlich längst kein Krimi mehr.

Ganz geheimnisvoll mit kindlichen Zahlenspielen und Quersummen und Rätselraten hebt der Roman an, im Jahr 1969. Die siebenjährige Annegret trägt ein Goldkettchen mit einem Kreuz aus dunkelroten Granatsteinen um den Hals, das erste einer ganzen Reihe von Leitmotiven übrigens. Und sie spielt in dieser kalten Mondnacht mit Streichhölzern, einer Kerze, dem wärmenden Feuer, ausgerechnet auf dem Dachboden – bis ein Schatten auftaucht.

Sechs Jahre später kommt fahrendes Schaustellervolk mit der achtjährigen Astrid zur Kirmes in jenes Dorf, das fast so etwas wie eine Hauptperson wird: Lintweiler, das seinen Namen nach dem alles verschlingenden Lindwurm tragen soll und abseits hinter dem Wald im ländlich verwunschenen Teil des Saarlandes liegt. Dort werden im Laufe der Jahrzehnte vier Mädchen vermisst, die alle im selben Alter sind, auch Susanne oder die Tochter der bosnischen Bürgerkriegsvertriebenen, die sich 1991 in der Blies ertränkt und scheinbar winkend im Ufergestrüpp gefunden wird.

Kerstin Rech schreibt seit 1988

Zwar gibt es Lintweiler selber nicht, aber alle der genannten Dörfer rundherum, und natürlich auch die Landeshauptstadt Saarbrücken, aus der eine junge Städter-Familie mit Sohn und achtjähriger Tochter aufs Land ziehen will und sich den idyllisch ehrwürdigen Kastanienhof ausguckt, dessen altes, kinderloses Besitzer-Ehepaar Schwaiger gern wieder mehr Leben auf dem Hof und sogar langfristige Nachfolger dort haben würde.

Das alles ist die engere und weitere Heimat der 1962 geborenen Kerstin Rech, die als Mathematikstudentin nach Stuttgart kam, bald aber in einem Marktforschungsinstitut anheuerte, in dem sie bis heute ihren Brotberuf ausübt. Seit 1988 schreibt sie. Krimis, Geschichten, Hörspiele.

Der vielgelobte Krimi „Hotel Excelsior“, der sich mit der Nazizeit beschäftigt, spielt ebenfalls im heimischen Saarland und ist sehr genau recherchiert. Auch beim „Kastanienhof“ dürften gewissenhafte Erkundungen vorangegangen sein, aber nicht nur historische. Denn Kerstin Rech verbindet hier höchst kunstvoll realistisches, vielleicht sogar wirkliches Geschehen ihrer Lebenszeit und Lebenswelt mit geheimnisvoll Gerüchthaftem, wie es jede Region kennt, und dazu noch mit echten alten Märchen und Sagen – wie dem Lindwurm.

Obwohl die Handlung eine Menge an Erzählsträngen verknüpft und die Ereignisse in verschiedenen Zeitebenen schichtet, verheddert sich die Autorin nie in ihrem Geflecht. Die Leitmotive wie der Hund oder der Wald, die Zündhölzer oder das Ortsschild erhöhen die Spannung und erhalten die Orientierung beim Leser. Für Realismus sorgen auch zeittypische Beiläufigkeiten wie der Popsong „Lemon Tree“ oder Fußball-Trainerin Silvia Neid.

Ganz großartig, fast in Stephen-King-Manier, gelingt Rech die leise bedrohliche Aufladung von Alltäglichem mit Angst, Grauen und Horror. Die Frau etwa, in deren Kinderwagen kein Baby liegt, sondern eine Puppe. Manches mag vielleicht ein wenig dicke kommen, aber das ist in diesem Genre erlaubt und erwünscht.

Der „Kastanienhof“ ist beim SWB-Verlag erschienen und kostet 12.50 Euro.