VW-Produktion in Brasilien Foto: dpa

Bei dem Stichwort Bric gerieten Automanager vor nicht allzu langer Zeit ins Schwärmen. Doch von den Wachstumsmärkten Brasilien, Russland, Indien und China erfüllt derzeit nur China die Erwartungen.

Stuttgart - China hat die Marke VW mal wieder gerettet. Von Januar bis September haben die Wolfsburger im Reich der Mitte 2,07 Millionen Autos verkauft und damit gut 15 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum. Geht das Wachstum in ähnlichem Tempo weiter, wird dort bald jeder zweite Volkswagen verkauft. Anders sieht es dagegen in den anderen Schwellenländern aus, in die nicht nur VW in den vergangenen Jahren große Hoffnungen gesetzt hat. In Russland ist der Absatz in den ersten drei Quartalen um 20 Prozent von 117 200 auf 93 800 Fahrzeuge eingebrochen. Ähnlich desaströs entwickelt sich Südamerika, wo VW traditionell gut dasteht. Brasilien verzeichnet mit einem Minus von 14 Prozent nicht einmal den größten Rückgang in der Region.

Der Absatz in Indien taucht bei den monatlichen Wasserstandsmeldungen des Konzerns erst gar nicht gesondert auf. Auf Nachfrage in Wolfsburg wird klar, warum. Bis September 2014 hat die Marke Volkswagen Pkw in Indien gerade mal 30 100 Fahrzeuge an Kunden ausgeliefert, das ist rund ein Drittel weniger als im Vorjahr. „Die verlangsamte indische Wirtschaftsentwicklung bremst den Automobilmarkt“, sagt ein VW-Sprecher. Volkswagen befinde sich nach einer Phase starken Wachstums jetzt in einem „Konsolidierungsprozess“. Der Markt habe sich außerdem in den vergangenen zwei Jahren verändert. Gewachsen sei insbesondere das Segment der kompakten SUV und Kleinst-Limousinen. Diese Nachfrage kann VW mit den bisher im Werk Pune produzierten Modellen Vento auf Golf-Basis und einer Fließheckversion des Polo nur bedingt erfüllen.

Vor nicht allzu langer Zeit waren die Perspektiven rosiger. Zwischen 2002 und 2012 legten die Verkaufszahlen der Autobauer in Brasilien und Russland Jahr für Jahr um durchschnittlich zehn Prozent zu, in Indien lag die Rate sogar bei 15 Prozent. Doch seitdem ist es mit dem Aufstieg vorbei – von 2012 an gingen die Neuzulassungen zurück.

In den nächsten Jahren werde das Bri von Bric in der Versenkung verschwinden, ist sich Autofachmann Stefan Bratzel, Leiter des Center of Automotive an der Fachhochschule in Bergisch Gladbach sicher. Russland kämpft mit den wirtschaftlichen Folgen der Ukraine-Krise, in Brasilien ist der WM-Schub ausgeblieben, und Indien wartet auf dringende Reformen, die auch die mangelhafte Infrastruktur verbessern könnten. Auch Heinz Junker, Chef des Automobilzulieferers Mahle in Stuttgart, rechnet nicht mit einer schnellen Erholung in Südamerika. „Bis die Talsohle durchschritten ist, wird es mindestens noch ein bis zwei Jahre dauern“, sagte Junker jüngst bei der Halbjahresbilanz des Unternehmens. Die Umsätze von Mahle in Südamerika, aber auch in Russland sind im Vergleich zum Vorjahr deutlich geschrumpft.

Doch noch ist es zu früh, um die Bric-Staaten abzuschreiben. Bosch etwa macht aus der Not eine Tugend. Weil die Inder zwar wenig Autos, dafür aber viele Klein-Motorräder kaufen, kündigte der Technologie-Konzern in dieser Woche eine Marktoffensive an. Mit einem elektronischen Einspritzsystem hofft Bosch, etwas vom Kuchen abzubekommen. „Ein Milliardenmarkt“, wie Bosch-Geschäftsführer Rolf Bulander schwärmt.

Auch VW gibt sich nicht kampflos geschlagen. „2014 ist in Indien ein sehr herausforderndes Jahr. Wir planen aber bereits die nächsten Schritte für unsere Expansionsphase“, sagt der VW-Sprecher. Der Fokus liege jetzt auf der Steigerung der Produktivität und der Lokalisierung, der Einführung neuer Motoren und Modellvarianten sowie der Optimierung des Händlernetzes. Mittelfristig wolle man zudem neue Modelle in den wachsenden Segmenten auf den Markt bringen. Offenbar sind ein auf den Markt zugeschnittener kompakter Geländewagen sowie eine Kleinwagen-Limousine auf Polo-Basis geplant. „Indien spielt eine sehr bedeutende Rolle in unserer globalen Wachstumsstrategie“, heißt es optimistisch aus Wolfsburg. Laut Experten werde Indien am Ende des Jahrzehnts einer der Top-5-Automobilmärkte weltweit sein.

Ein Ersatz für die schwächelnden Bric-Staaten, beispielsweise in Afrika, steht ohnehin noch nicht bereit. Autoexperte Stefan Bratzel gibt zu bedenken, dass die Märkte langfristig von innen heraus entwickelt werden müssten: Neue Fabriken bringen Menschen in Arbeit, Zulieferer siedeln sich an, Autocluster werden zu lokalen Wirtschaftsmotoren und heben das Wohlstandsniveau. Bei VW dauerte das in China rund 30 Jahre.