Daimler-Chef Dieter Zetsche (li.) weist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) im Daimler-Werk Untertürkheim in die Finessen eines Mercedes-Motors ein. Foto: dapd

Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin sackten die Aktien der deutschen Autohersteller gestern kurz vor 12 Uhr ab. Soeben hatte sich Daimler-Chef Zetsche zur Konjunktur geäußert.

Stuttgart - Seine Aussage, dass ihm weniger Autos lieber wären als mehr, hat er zwar nie zurückgenommen. Aber Ministerpräsident Winfried Kretschmann würde sie wohl heute auch nicht mehr wiederholen. Als er am Donnerstag zusammen mit Daimler-Chef Dieter Zetsche das Motoren- und Komponentenwerk in Untertürkheim besichtigt, legt er bei der Produktion sogar selbst Hand an und dreht, angeleitet von einem Meister, eine Schraube in einen der neuen 4-Zylinder-Motoren, mit denen Mercedes neue Maßstäbe in Sachen Verbrauchsoptimierung und Fahrkomfort setzen will.

Mit 130 Kilogramm wiegt der neue Motor, der intern „m274“ genannt wird, 26 Kilo weniger als sein Vorgänger, der m271. Interessiert beugt sich Kretschmann über das neuartige Aggregat, das bereits bei 1200 Umdrehungen pro Minute die volle Leistung bereitstellt. Früher war ein hohes Drehmoment bei niedrigen Drehzahlen vor allem wegen der Beschleunigungswerte von Interesse – heute stellt der Konzern etwas anderes in den Mittelpunkt: Eine hohe Durchzugskraft bei niedrigen Drehzahlen bringt einen besonders niedrigen Verbrauch und somit gute Werte beim Ausstoß des Treibhausgases CO2. Eine starke Beschleunigung ermöglicht sie allerdings auch – die Gesetze der Physik haben sich durch die Klimadebatte nicht geändert.

Später, im Konferenzzentrum des Daimler-Werks, schmeichelt der Daimler-Chef dem Regierungschef: „Der sachkundige Blick, die selbstverständlichen Handgriffe: Falls Sie sich beruflich neu orientieren wollen – wir sollten im Gespräch bleiben.“

350 neue Arbeitsplätze werden im Bereich Powertrain geschaffen

Aber im Ernst: Das Verhältnis zur Landesregierung sei heute „pragmatisch, faktisch, gut“, sagt Zetsche. „Es mag sein, dass Baden-Württemberg für uns nicht das Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist, aber es bietet ganz sicher noch viele ungeahnte Chancen, und die gilt es zu nutzen.“ Allein in diesem Jahr werde das Unternehmen zwei Milliarden Euro in die baden-württembergischen Pkw-Standorte Sindelfingen, Untertürkheim und Rastatt investieren, 350 neue Arbeitsplätze werden im Bereich Powertrain geschaffen, der Komponenten wie Motoren und Getriebe herstellt.

Doch ob das auch so bleibt? Das würde Wolfgang Nieke, Betriebsratschef des Werks mit seinen 17.000 Mitarbeitern, gern genauer wissen. Auch er sprach mit Kretschmann – und fordert, dass der Konzern neue Antriebskonzepte im Werk Untertürkheim entwickelt und produziert.

Auch Kretschmann weist auf das wirtschaftliche Gewicht des Arbeitgebers Daimler hin: „Daimler ist so etwas wie die Halsschlagader für den Wohlstand unseres Landes“, sagt er. Er sei „sehr dankbar, dass Baden-Württemberg Kernstandort bleibt, ausgebaut und verstärkt wird“. Nicht nur die Erkenntnis, dass das Land ohne die Steuern von Daimler, dessen Zulieferern und Beschäftigten wohl klamm wäre, bringt Kretschmann dazu, versöhnlichere Töne anzuschlagen. Es ist auch die Tatsache, dass Daimler inzwischen massiv in neue Technologien investiert und darüber hinaus – wie Kretschmann betont – auch den hergebrachten Verbrennungsmotor weiterentwickelt. „Selbst wenn 2020 wirklich eine Million Elektroautos in Deutschland fahren, entspricht das gerade mal einem Anteil von 2,5 Prozent.“ Kretschmanns Fazit: „Der klassische Verbrennungsmotor und dessen Optimierung werden noch lange eine wichtige Rolle spielen.“

„Genauso wahr, dass sich das Umfeld tendenziell eintrübt“

Wichtig ist Kretschmann aber auch, dass das Elektroauto, das bisher am Markt kaum eine Rolle spielt, in der Öffentlichkeit besser sichtbar wird. Im Herbst will Daimler sein Car2go-Angebot, bei dem Fahrzeuge praktisch auf der Stelle angemietet werden können, auch in Stuttgart auf die Straße bringen – und Kretschmann knüpft daran hohe Erwartungen: „Es reicht nicht, wenn alle die Elektromobilität ganz toll finden, es muss sie auch mal jemand nutzen.“ Dafür seien „Leuchttürme“ wie Car2go sehr hilfreich.

Wie sich Daimler denn auf die abflauende Autokonjunktur einstelle, will ein Journalist wissen – und bekommt von Zetsche die Antwort, man befinde sich auf einem Wachstumspfad, und noch nie sei ein neues Modell so gut gestartet wie die neue A-Klasse. Die hohen Investitionen zahlten sich voll aus, sagt Zetsche. Es sei allerdings „genauso wahr, dass sich das Umfeld tendenziell eintrübt“. Die Lage in Europa sei „negativer, als wir noch vor kurzem erwartet haben“, in China habe sich der Wettbewerb „signifikant verschärft“, weswegen der Gewinn der Mercedes-Autosparte nicht mehr das Niveau des Vorjahres erreichen werde. Mit einem neuen Sparprogramm unter dem Titel „Fit for Leadership“ (Fit für die Führung) will Zetsche gegensteuern. Über Details des Programms schweigt der Konzern bisher allerdings.

Innerhalb weniger Minuten erreicht diese Nachricht die Börsenticker, die Anleger an den Kapitalmärkten verkaufen hastig Wertpapiere deutscher Hersteller. Innerhalb weniger Minuten verlieren diese rund zwei Milliarden Euro an Wert, erholen sich später allerdings wieder. Als Zetsche dem Ministerpräsidenten nach der Veranstaltung neue Fahrzeuge des Konzerns zeigt, sind die Kurse an den Börsen schon wieder auf Erholungskurs. Anleger sehen die Chance, jetzt zu günstigen Kursen einzusteigen. So leicht lassen sich die Börsen in Bewegung versetzen.