Literatur sei eine Kraft, sagt die Eislinger Schriftstellerin Tina Stroheker. Foto: privat

Die Künstlergilde Esslingen würdigt das Gesamtwerk der Autorin, die 1948 in Ulm geboren wurde. Die Preisverleihung findet am 10. November in Düsseldorf statt.

Eislingen - Die Eislinger Schriftstellerin Tina Stroheker erhält dieses Jahr den Andreas-Gryphius-Preis. Die Künstlergilde Esslingen zeichnet damit seit nunmehr 60 Jahren Autorinnen und Autoren aus, deren Veröffentlichungen zur Verständigung zwischen Deutschen und ihren östlichen Nachbarn beitragen. Gewürdigt wird jeweils das Gesamtwerk. Die Preisverleihung findet am Freitag, 10. November, in Düsseldorf statt.

Sie sei ein „total westliches Wesen“, sagt Tina Stroheker von sich. Deshalb war sie auch überrascht, als der Anruf kam, dass der Preis, der seinen Namen dem bedeutendsten deutschsprachigen Dichter des Barock verdankt, in diesem Jahr an sie geht. Namhafte Autoren haben ihn bereits vor ihr erhalten: Günter Eich, Peter Härtling, Horst Bienek und Peter Huchel, aber auch Jiri Grusa aus Tschechien und Andrzej Szczypiorski aus Polen.

Begegnung mit Polen und Tschechien

Doch so westlich geprägt die gebürtige Ulmerin auch sein mag, als Politologin und Historikerin richtete Tina Stroheker den Blick stets auch nach Osten. Verstärkt wurde ihr Interesse durch die Beschäftigung mit dem Schriftsteller und Publizisten Josef Mühlberger, der nach seiner Vertreibung im Jahr 1946 aus Trautenau/Trutnov im heutigen Tschechien in der kleinen Stadt Eislingen eine neue Heimat fand. Als junge Autorin, die es ebenfalls nach Eislingen verschlagen hatte, begab sich Stroheker auf Spurensuche. Mühlberger lebte da schon nicht mehr. Sie habe es versäumt, ihn persönlich kennenzulernen, bedauert sie. Sie initiierte Mühlberger-Tage und schrieb über den heimatvertriebenen Autor. Daraus ergaben sich Kontakte nach Tschechien, wohin sie regelmäßig fuhr, auch um Lesungen abzuhalten. Weitere Reisen führten sie nach Polen. Sie lernte Polnisch und veröffentlichte im Jahr 1998 den Band „Polnisches Journal. Aufzeichnungen von unterwegs“, in dem sie über das Verhältnis zwischen Polen und Deutschen reflektiert. Zwei weitere Polenbücher folgten. Sie entdeckte die tschechische und die polnische Literatur für sich und lernte viele Autoren der Gegenwart kennen.

Ausdrücklich will die Künstlergilde jedoch nicht nur diesen „östlichen“ Schwerpunkt im Werk der Autorin würdigen. Anerkannt werden auch ihre Lyrikbände – zuletzt ist 2008 „Was vor Augen liegt“ erschienen – und ihre Kurzprosa wie etwa „Luftpost für eine Stelzengängerin“, eine Liebesgeschichte in Miniaturen. Aber Strohekers Engagement für die Literatur geht über das Schreiben hinaus. Sie ist unter anderem auch Initiatorin und Kuratorin des Eislinger Poetenwegs, der sich mit dem Thema Heimat befasst und der auf Glasstelen Dichter aus der ganzen Welt zu Wort kommen lässt.

Gryphius heute aktueller denn je

Anlässlich der bevorstehenden Preisverleihung hat sich Tina Stroheker das literarische Werk von Andreas Gryphius (1616 bis 1664) vergegenwärtigt. Er gilt als bedeutendster Dichter des Barock. Sein Leben war geprägt von den Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, die auch in seiner Lyrik Eingang fanden. Entsprechend aktuell wirkt das, was er schrieb, oder, wie Tina Stroheker es sagt: „Wow, Gryphius ist ein aktueller Autor.“ Vor allem beim Lesen des Sonetts „Tränen des Vaterlands“ habe sie Mossul vor sich gesehen. Gerade in Jahren der Unruhe wie zu Gryphius’ Lebzeiten oder auch heute zeige sich, dass Literatur nicht wirkungslos sei: „Sie ist eine Kraft, sonst müssten autoritäre Regime Autoren nicht unterdrücken“, sagt sie.

Literaturpreis gibt es seit 1957

Die Künstlergilde wurde 1948 in Esslingen von heimatvertriebenen Künstlern als Selbsthilfeorganisation gegründet. Sie zählt heute rund 400 Mitglieder. Der Verein vergibt jährlich Preise in den Sparten Bildende Kunst, Musik und Literatur, und unter anderem auch den Andreas-Gryphius-Preis, der erstmals im Jahr 1957 in Düsseldorf verliehen wurde.

Andreas Gryphius wurde 1616 in Glogau im heutigen Polen geboren. Er gilt als der bedeutendste deutschsprachige Dichter des Barock. Prägend für sein Werk ist die Auseinandersetzung mit dem Dreißigjährigen Krieg.

Tina Stroheker wurde am 13. Juni 1948 in Ulm geboren. Seit 1983 arbeitet sie als freie Schriftstellerin. Sie wurde mit dem Leonce-und-Lena-Förderpreis der Stadt Darmstadt und dem Literaturpreis der Stadt Stuttgart bedacht. Außerdem erhielt sie 1986 ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom.