Blick auf das legendäre Hotel Bogota in Berlin Foto: dpa

Das Hotel Bogota in Berlin macht dicht, das Entsetzen ist groß. Fans der Legende können aber Teile der Inneneinrichtung ersteigern.

Berlin - Unter dem roten Baldachin stehen die Besucher Schlange. Wäre das doch nur die letzten Jahre öfter so gewesen. Aber diese Besucher sind keine Übernachtungsgäste. Sie sind Berliner und wollen hinein ins Hotel Bogota, um einen Blick auf den Ausverkauf zu werfen, ein silbernes Kännchen zu erstehen oder ein Gebot für einen Thonet-Stuhl abzugeben. Das legendäre Bogota im alten Berliner Westen muss schließen, das Inventar kommt unter den Hammer. Hotelier Rissmann konnte seit Monaten die Miete nicht mehr bezahlen. Er schuldete dem Vermieter inzwischen mehr als 288 000 Euro.

Nun setzt in der Stadt ein Wehklagen über den Verlust ein, denn das Bogota verkörpert die Geschichte Berlins der letzten hundert Jahre. 1911 als Wohnhaus erbaut, war es ein Treffpunkt der wilden zwanziger Jahre. Jener Epoche, in der es zwar vielen Berlinern in feuchten Wohnblöcken und dunklen Hinterhöfen dreckig ging, manche aber den Tanz auf dem Vulkan wagten. Der Swing wogte durch die Metropole, beschienen von den Lichtern der Großstadt. Im Haus in der Schlüterstraße 45, gleich um die Ecke vom Ku’damm, schmiss der Unternehmer Oskar Skaller Feste, oft lud er einen jungen amerikanischen Musiker ein: Benny Goodman.

In die vierte und fünfte Etage, verbunden mit einer geschwungenen Treppe, zog eine Fotografin ein: Else Ernestine Neuländer-Simon, Künstlername YVA. Viele ihrer Modefotos zeigen die Treppe. Ab 1936 war Helmut Neustädter einer ihrer Lehrlinge, später berühmt geworden unter seinem Künstlernamen: Helmut Newton. Newton flüchtete 1938 nach Singapur. YVA blieb. 1942 verschleppten die Nazis sie und ermordeten sie im Konzentrationslager Sobibor. Dann wurde das Haus in der Schlüterstraße Sitz der Reichskulturkammer, und 1945 mussten Kulturschaffende wie Gründgens oder Furtwängler antanzen und aussagen – die Briten führten hier die Entnazifizierung im Kultursektor durch. In den Sechzigern schließlich gab es vier typische Berliner Etagen-Pensionen, die Hotelier Heinz Rewald zum Hotel Bogotá vereinigte, damals noch mit Akzent: Rewald war vor den Nazis geflüchtet und hatte in Kolumbien überlebt. 1976 übernahmen die Eltern von Joachim Rissmann das Hotel, vor sieben Jahren ging es an den Sohn.

Die Holzstiegen knarren, der Aufzug rumpelt

An der Rezeption steht ein schwarzes Bakelit-Telefon, natürlich mit Wählscheibe. An den Wänden hängen Gemälde und Fotos. Rissmann hat sein Haus als Künsterhotel geführt, am Sonntag wurde im Saal Tango getanzt, an anderen Abenden natrülich Swing. Es gab Lesungen, Ausstellungen. Im Frühstückssaal stehen nun Lampen, Servierplatten, Stühle, Stapel von Bildern. Ein Großteil des Geschirrs wartet noch im Keller, ein Gastronom habe Interesse angemeldet. Das Mobiliar wird versteigert, dafür bekommen die Besucher einen Zettel. „Ich interessiere mich für Bild Nr . . . aus Zimmer . . ., es ist mir . . . wert.“

Die Holzstiegen knarren, der Aufzug rumpelt. Im vierten Stock hängen, neben der geschwungenen Treppe, Fotos von YVA. Die Möbel erzählen von einer Villa Kunterbunt, Sechziger-Jahre-Eleganz, Gründerzeit-Schwere, Plastik der Moderne. Viele Zimmer hatten „fließend Wasser“, also ein Waschbecken. Toiletten und Dusche auf dem Flur. So ein Einzelzimmer kostete 40 Euro, ein Doppelzimmer mit Dusche und WC bis zu 150 Euro. Für Berlin ist das teuer. In Berlin warten rund 800 Hotels auf Gäste, nirgendwo sonst sind Luxushotels so günstig wie hier – und neue Kettenhotels eröffnen fast wöchentlich.

Der Vermieter zeigte sich zuletzt kulant, er reduzierte seine Forderungen auf 100 000 Euro, aber am 15. Dezember muss das Haus übergeben werden. Viele Künstler setzten sich bis zuletzt für den Erhalt ein, Schauspieler Lars Eidinger sagte dem „Tagesspiegel“, in einer Welt, die nur aus Starbucks, H&M, McDonald’s, Hyatt und Motel One bestehe, wolle er nicht leben. Hanna Schygulla lobte die Atmosphäre: „Das wäre für mich ein Fall von Verrohung, wenn das Bogata verschwände.“ Für Eva Mattes repräsentierte das Haus eine Kultur, „die mit der Judenverfolgung verschwunden ist“. Und Ilja Richter hämte: „Jedem Anfang wohnt ein Penthouse inne.“ Richters inzwischen verstorbene jüdische Mutter lebte lange im Bogota.

Das Bogota war für Berlin im Kleinen das, was das Chelsea Hotel für Manhattan bedeutete. Doch auch das New Yorker Künstlerhotel wurde von einer Kette übernommen und wird nun modernisiert. Und im legendären Raffles in Singapur wird der Singapore Sling vorgemixt aus Eimern ausgeschenkt. Wenigstens krächzt bis heute im Istanbuler Grand Hotel de Londres in der Lobby noch der graue Papagei in seinem Käfig. Aber das Klagen hilft nichts. Der Strom der Touristen logiert entweder ganz billig oder ganz edel, Letzteres dann aber gern in einer historisch anmutenden Hülle.

www.bogota.de

– Ausverkauf im Bogota: bis 13. Dezember täglich von 16 bis 20 Uhr