Auch der Polizeihubschrauber kam am Mittwochabend bei der Fahndung nach dem Tankstellen-Räuber zum Einsatz Foto: Lg/ Willikonsky

Drei Stuttgarter erkunden, wie der Punk in die Stadt kam und was davon übrig ist. Für ihre Schau haben sie ganz tief in den Archiven gewühlt und zeigen eine Jugendkultur, die der Stadt auf ganz eigene Weise den Spiegel vorhält – bis heute.

Stuttgart - Punks? Das sind doch die Typen in Lederjacken, die am Kleinen Schlossplatz Passanten belästigt haben und in besetzten Häusern wohnten. Und da gibt’s doch diese Bands, Wizo und Normahl. Viel mehr dürfte den meisten zum Stichwort „Punk in Stuttgart“ kaum einfallen.

Norbert Prothmann, Barny Schmidt und Simon Steiner wollen das ändern – mit ihrer Ausstellung „Wie der Punk nach Stuttgart kam“, die am Freitag im Württembergischen Kunstverein eröffnet wird. Es ist der erste Versuch, diesen Teil der regionalen Musikgeschichte konzentriert festzuhalten.

Die Art und Weise, wie vor allem junge Männer in der Region Stuttgart sich die rohe, oft mit einfachsten Mitteln erzeugte Ästhetik von Punk angeeignet haben, wirkt dabei in der Rückschau so faszinierend wie fremd. Auf dem Sampler zur Ausstellung schnarrt etwa der Sänger von Ätzer 81 in „Stuttgart Kaputtgart“ stark schwäbelnd „Betonstadt, Betonstadt, ich hab deine Mauern satt!“. Die Herbärds zersägen in „Arbeitslos“ von 1983 erst im Stile eines Jimi Hendrix das Deutschlandlied und grölen danach eine biergetränkte Hymne auf das Leben der Erwerbslosen – von denen es selbst in den damals schwierigen Zeiten in Stuttgart nur vergleichsweise wenige gab.

Die Gruppe Dreimalcurrywurstundpommes skandiert in einem Livemitschnitt immerfort „Bitte geh weiter, lieb mich nicht“ und bringen das Publikum zunehmend gegen sich auf. Was nach einer Kunstperformance in einer großstädtischen Galerie klingt, wurde 1981 in Weilheim aufgenommen.

Was Schwaben und Punks gemein haben

Solche Aufnahmen und die in der Ausstellung gezeigten Magazine, Plakate und Bilder sollen dem Blick auf das Stuttgart der Jahre 1977 bis 1983 – darauf beschränkt sich die Schau – einen neuen Aspekt hinzufügen. Die damalige Punkszene wurde von der Stadt geprägt und hielt ihr zugleich den Spiegel vor. Punk war das gelebte Dagegensein in einem für viele Heranwachsende öden Umfeld: überall nur Konformität und Materialismus – und in den Jugendhäusern bekifft-lethargische Hippies. „Stuttgart brennt vor Langeweile“, steht auf einem Schild, das der Normahl-Bassist Lars Behsa auf der Königstraße in die Kamera hält. Der Fotograf, Germar Rehlinger, hatte einst per Kleinanzeige im „Musikexpress“ Gleichgesinnte gesucht und gefunden und so die regionale Punkszene mitgegründet.

So unähnlich sind sich Schwaben und Punks nicht, findet Simon Steiner: „Beide bruddeln gern, können aber auch schaffen.“ Die Stuttgarter Punks haben eben nicht nur, wie der Ausstellungsmacher sagt, „Mülleimer vollgepinkelt“, sondern auch mit selbst gemachten Konzerten und Szenemedien gegen ihre Langeweile angekämpft. Nicht zuletzt, so Steiner, „waren viele Songtexte kokettierend politisch“.

Sprüche, die das Wort „vergasen“ enthielten

Auf Gegenliebe stießen die Punks, die zwischen Karlsplatz, Kleinem Schlossplatz und der „Spinne“ im Stadtgarten ihre Anti-Ästhetik zur Schau stellten, nur selten: „Auf der Straße bekamen wir Sprüche zu hören, die das Wort ‚vergasen‘ enthielten“, erinnert sich Germar Rehlinger. „In manchen Ecken Stuttgarts brauchtest du dich als Punk nicht blicken zu lassen“, ergänzt Norbert Prothmann.

Kein Wunder, dass vom Punk in Stuttgart nur wenige Stuttgarter etwas mitbekamen: „Wenn irgendwo ein Konzert stattfand, hat sich das am Kleinen Schlossplatz herumgesprochen, und alle sind dann dorthin gefahren“, erinnert sich Prothmann. Plattenveröffentlichungen waren die Ausnahme; vielleicht konnte man ein paar Kassetten direkt bei den Bands kaufen. Mit viel Glück ließ Stefan Siller einen Musiker während seiner Montagabendsendung „Schlafrock“ ins SWR-Funkhaus hinein und spielte spontan eine der Kassetten im Radio.

Es war Simon Steiners Impuls, die Anfänge von Punk in Stuttgart näher zu beleuchten. Das hatte er schon 1981 für seine Zulassungsarbeit getan; nach seiner Pensionierung griff der Lehrer das Thema wieder auf. Allerdings war Steiner nie ein Punk – keine Kleinigkeit in einer Zeit, in der sich Jugendkulturen deutlich voneinander abgrenzten. „Ich habe zu den Punks aufgeschaut“, erinnert sich der mit 63 Jahren Älteste im Kuratorenteam, „immerhin durfte ich ab und zu mit ihnen flippern.“ Noch heute, nach rund 100 Interviews mit Mitgliedern der damaligen Szene, imponiert ihm „der Wille, etwas zu bewegen und selbst zu machen“.

Aus der Kuratoren-Trias war nur Norbert Prothmann, 52, eine Zeit lang Mitglied der Punkszene. Er half Steiner mit einer hundertseitigen Unterlage und beim Kontakteknüpfen mit den alten Haudegen. Der Dritte im Bunde, Barny Schmidt (56), ist zwar einer der profiliertesten Sammler von Punkplatten in Deutschland, hielt sich zwischen 1977 und 1983 aber nicht in seiner schwäbischen Heimat auf.

Wo der Punk hinging

Um den Anschluss an die Jetztzeit zu schaffen, nimmt die Ausstellung auch in den Blick, wo der Punk nach seiner ungestümen Anfangszeit hinging. Mit den Punks der ersten Generation verabschiedeten sich 1983 die Bürgersöhne aus der Szene; ihren Platz nahmen Straßenpunks aus anderen sozialen Schichten ein, die einen roheren Stil und nicht zuletzt einen exzessiveren Drogenkonsum pflegten.

Von dieser zweiten Generation sind heute viele nicht mehr am Leben. Die Punk-Pioniere indes traten keinen Marsch durch die Institutionen an. Sie blieben vielmehr, so der Eindruck der Ausstellungsmacher, sich selbst treu. Micha Schmidt oder Ralf Sandner holen bis heute Punkbands aus aller Welt auf die Stuttgarter Bühnen, Georg „GAW“ Wittner leitet das Jugendhaus Mitte, die Band Normahl ist weiterhin im Geschäft, und Michael „Morscher“ Mörsch steht selbst auf der Bühne oder bucht Bands für Veranstaltungen.

Sie alle waren Teil jener Szene, die in den selten gelüfteten Kellern eine Gegenwelt zur kehrwochensauberen Beton- und Autostadt schuf – und die, wie der kürzlich veröffentlichte Punk-Sampler „Kaputtgart“ anhand von 19 aktuellen politischen Punksongs aus der Region zeigt, bis heute nicht verschwunden ist. „Man läuft einfach anders durch die Stadt, wenn man weiß, dass irgendwo im Untergrund noch etwas ist“, glaubt Norbert Prothmann.

Den Brückenschlag zum Jetzt soll auch das Begleitprogramm leisten. Damals wie heute bruddeln und schaffen die Stuttgarter Punks – meist mit wenig Budget, dafür aber mit viel und gern politischer Haltung. Insofern hat nicht nur der Punk etwas mit Stuttgart gemacht, sondern auch umgekehrt. Die Stadt war im deutschlandweiten Vergleich nie eine Punk-Hochburg, die Szene zumeist auf sich selbst fokussiert. Dass das hier niemanden auch nur ansatzweise juckt, ist für sich genommen schon wieder Punk.