Max Liebermann: „Konzert in der Oper“ (1911, Öl auf Leinwand) Foto: Jüdisches Museum Berlin

Das Museum für Kunst und Technik in Baden-Baden erweist sich mehr und mehr als Bühne überraschender Ausstellungsthemen und überzeugender Präsentationen. Eine Schau zur Geschichte der Berliner Philharmoniker unterstreicht diese Ambitionen.

Baden-Baden - Wenn an diesem Freitag Sir Simon Rattle im Baden-Badener Festspielhaus den Taktstock heben wird und die Berliner Philharmoniker den rauschhaften, stürmisch bewegten E-Dur-Orchesterklang des Vorspiels zu Richard Strauss’ „Rosenkavalier“ erblühen lassen, wird das Hauptstadtorchester einmal mehr seine herausragende Stellung als eines der führenden europäischen Klangkörper unter Beweis stellen und sein Publikum mit musikalischem Wohlklang und interpretatorischer Tiefe entzücken.

Gleichzeitig spürt das Baden-Badener Museum für Kunst und Technik des 19. Jahrhunderts in einer materialreichen Ausstellung der Entstehung und den frühen Jahren dieses Weltorchesters nach. Das ist keine einfache ausstellungsdidaktische Aufgabe, denn die ephemere Flüchtigkeit der Musik entzieht sich der musealen Darstellbarkeit weitestgehend.

Dass die Ausstellung dennoch gelungen ist, verdankt sie der klugen Konzentration auf zwei visuell fassbare Aspekte der Musik: einerseits auf die Stars des Orchesters, die ihre Chef- und Gastdirigenten waren. Zum anderen zeichnet sie die beiden wesentlichen materiellen und geistesgeschichtlichen Grundlagen der Musik nach: den Instrumentenbau sowie die bürgerliche Musikbegeisterung des deutschen Bürgertums im 19. und frühen 20. Jahrhundert.

Musiker als Genussbürger des wilhelminischen Deutschlands

Am Anfang der Geschichte des Orchesters stand ein Arbeitskampf: Die späteren Philharmoniker sollten als Mitglieder der Kapelle des Militärmusikers und Konzertveranstalters Benjamin Bilse im Jahre 1882 eine Konzertreise nach Warschau zu schlechten Konditionen – niedrige Löhne und Bahnfahrt vierter Klasse – antreten. Daraufhin traten 50 Musiker der Bilse’schen Kapelle nicht in den Streik, sondern gleich ganz aus dem Orchester aus und gründeten sich neu – als Berliner Philharmoniker, ein selbst verwaltetes, unabhängiges Orchester.

Die Anfangsjahre dieser musikalischen Sezession waren nicht einfach, Berlin war immer noch ein Entwicklungsgebiet der musikalischen Hochkultur, mit den Zentren der Pflege klassischer Musik wie München, Leipzig, Dresden oder gar Wien nicht zu vergleichen.

Schicksalhaft war das 20 Jahre währende Engagement des Impresarios Hermann Wolff, der zum eigentlichen Geburtshelfer der Philharmoniker wurde. Wolff war ein musikalisch gebildeter, aber auch geschäftstüchtiger Netzwerker, der das noch junge Orchester in der Reichshauptstadt als Spitzenensemble etablierte.

Eine überragende künstlerische Persönlichkeit: Hans von Bülow, erste Chefdirigent der Philharmoniker

Zur überragenden künstlerischen Persönlichkeit wurde der erste Chefdirigent der Philharmoniker, Hans von Bülow, der schon die Hofkapelle in Meiningen zu einem deutschen Spitzenorchester geformt hatte und nun mit den Berliner Philharmonikern zu musikalischen Höhenflügen ansetzte.

Er leitete sie zwar nur von 1887 bis 1893, prägte das Orchester jedoch durch seine überragende Musikalität und seine charismatische Persönlichkeit als ein dirigierender Übermensch, der sich als der Hohepriester der Musik verstand und eine magische Wirkung auf Musiker und Publikum hatte. In der Ausstellung wird Bülows richtungweisender Bedeutung für die Philharmoniker breiter Raum eingeräumt, ebenso wie seinem Nachfolger, dem Ungarn Arthur Nikisch. Dieser prägte das Orchester fast drei Jahrzehnte lang und machte es endgültig zu einem der führenden europäischen Klangkörper.

Die Ausstellung dokumentiert die zahlreichen Tourneereisen des Orchesters und den Beginn der technischen Aufzeichnungen mittels Schallplatte. Das erste erhaltene Tondokument der Philharmoniker sind Vorspiele, Verwandlungsmusik und „Karfreitagszauber“ aus Richard Wagners „Parsifal“ und stammen aus dem Jahr 1913. Bereits 30 Jahre zuvor, also unmittelbar nach Gründung der Berliner Philharmoniker, wurden Konzerte des Orchesters per Telefonleitung innerhalb Berlins und an bis zu 200 Kilometer entfernte Orte übertragen.

Arthur Nikisch kann man in der Ausstellung in einem kurzen Film als Dirigent erleben, die vielen Konzertreisen der Philharmoniker, die dem Orchester Weltruhm und finanziellen Erfolg bescherten, sind durch Fotografien, Konzertprogramme und Zeitungrezensionen dokumentiert. Während sich die Musiker auf Fotos ihrer Auftritte als ein im feierlich schwarzen Abendanzug gewandeter Klangkörper präsentieren, zeigen sie sich nach der Aufführung wie auf einem Schnappschuss von 1905 als bierselige, zigarrenrauchende Gruppe fröhlicher Genussbürger des wilhelminischen Deutschland.

Das Bürgertum: Fast grenzenloser Musikenthusiasmus

Die Ausstellung versteht es, die Hochkunst klassischer Musik und bildungsbürgerlicher Musikbegeisterung kulturgeschichtlich zu erden. Eine nachempfundene Geigenbauwerkstatt versinnbildlicht die im 19. Jahrhundert und letztlich bis in unsere Tage vorindustriell geprägte Ausstattung des Sinfonieorchesters. Violinen, Celli, Oboen, Trompeten und Pauken sind trotz vieler Neuerungen im Detail technologische Relikte des traditionell handwerklichen Instrumentenbaus geblieben.

Den Komponisten des 19. Jahrhunderts waren bei der Instrumentierung ihrer Werke enge Grenzen gesetzt, nur wenige neue Instrumente wurden von Progressiven wie Richard Wagner, Gustav Mahler oder Richard Strauss dauerhaft in den Sinfonieorchestern etabliert, es waren allenfalls die Größe der Orchester, Details im Instrumentenbau und die ungewöhnliche Kombination von Klangfarben, die neue Wege der Sinfonik eröffneten.

Ein detailreich arrangiertes bürgerliches Wohnzimmer illustriert in der Ausstellung den fast grenzenlosen Musikenthusiasmus des deutschen Bürgertums im 19. Jahrhundert. Mittels Gemälden, Gips- oder Porzellanbüsten wurde den großen Meistern der Tonkunst gehuldigt.

Es waren vor allem Beethoven und Wagner, die als unerreichte Genies galten und mit ihren Werken den Gipfelpunkt deutscher Kulturleistung darstellten. Der musikalische Genie- und Starkult, der auch Spitzenorchester wie die Berliner Philharmoniker umfasste, war ein zentraler Identifikationspunkt der nationalen und bürgerlichen Identität in Deutschland. Aus diesem Verständnis muss man die Bedeutung der deutschen Spitzenorchester als kulturelle Chiffre bis heute verstehen.

Baden-Baden, Lichtentaler Allee 8. Bis zum 30. August. Di bis So 11 bis 18 Uhr. Mehr Informationen unter www.la8.de