Arhur Schnitzler auf dem Weg nach Foto: DLA Marbach

Arthur Schnitzler im Auto auf dem Karerpass nach Südtirol, Claire und Yvan Goll auf der Brooklyn Bridge in New York, Siegfried Unseld in San Francisco, Peter Handke in Alaska. Das Literaturmuseum der Moderne in Marbach zeigt Autoren auf der Durchreise.

Marbach - Es ist der umfangreichste, schwerste und bilderreichste Katalog in der Geschichte des Marbacher Literaturmuseums der Moderne. Mit gutem Grund. „Reisen – Fotos von unterwegs“ ist sein Titel. Auf mehr als 500 Seiten versammelt dieser Katalog Fotografien, die Schriftsteller fern der Heimat aufnahmen – Bilder, die weiter reichen, den Augenblick unmittelbarer einfangen, ein dichtes Panorama der Zeiten und ihres Wandels auf vielen Ebenen ausbreiten. Die Ausstellung, die an diesem Freitag im Literaturmuseum der Moderne eröffnet, führt noch tiefer hinein, in dieses Labyrinth der Augenblicke.

Einer wollte nicht

Sie beginnt mit einer Negation, diese Ausstellung, einem glatten Nein zur Fotografie. Es stammt von Robert Gernhardt und baumelt über dem „Starting Point“, dem blauen Punkt, mit dem das Literaturmuseum seine Reiseausstellung beginnen lässt. Dort hängt, an einem Faden, ein Heft Gernhardts. Darin sein Bekenntnis: „Die Konsequenz kann nur sein: keine Fotos“ – und die Konsequenz dieser Konsequenz: Gernhardts Zeichnungen. Wer würde sich beklagen über solch produktive Verweigerung?

Film und Insel

Der Kreis und die Linie sind die Formen, in denen das Literaturmuseum sein Thema arrangiert hat: ringsum an den Wänden der Räume der Reiseausstellung zieht sich jeweils ein Streifen, in dem die Bilder der unterschiedlichen Autoren direkt nebeneinander liegen, eine Abfolge einander gleichgestellter Augenblicke, an denen der Besucher entlangschreiten kann. Im Zentrum der Räume dann die großen, weltkreisrunden Vitrinentische in denen sich die Funde, Bestände, Beiträge thematisch auffächern. Die Schatten der runden Tische werden von Skalen unterteilt, Kreuze markieren Städte: Rom, Paris – oder auch Verdun.

Krieg und Frieden

Viele der Fotografien, die nun im Literaturmuseum zu sehen sind, sind privater Natur. Reisende wie Hermann Hesse, Ernst Jünger, Mascha Kaléko, Hilde Domin, Siegfried Kracauer, Ilse Aichinger, Jörg Fauser, Carl Weissner, W. G. Sebald, Peter Handke und viele andere fotografierten privat. Manche der Reisen, die im Museum nun sichtbar werden, wurden zudem nicht freiwillig unternommen. Eine der Vitrineninseln der Ausstellung widmet sich ganz dem Ersten Weltkrieg, der sich für manch einen Soldaten zunächst noch ausnahm wie eine Urlaubsfahrt: Ernst Jünger ließ sich im Badetuch fotografieren. Erst allmählich breitet sich auf den Bilddokumenten jener Zeit die Zerstörung aus. Andere Bilder erzählen von Reisen, von denen es keine Wiederkehr gab: von Fluchten, vom Exil.

Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Die Reise im Museum beginnt 1890. 1892 machte sich der wohlhabende Sammler und Publizist Harry Graf Kessler auf, die Welt zu umrunden. Er fotografierte viel, in Indien, Amerika, zu Land, zu Schiff, Schönes und Grausames. Seine Fotografien füllen Prunkbände, die nun in Marbach unter Glas liegen. Die jüngsten Exponate dort wurden dagegen eigens für diese Ausstellung aufgenommen – das Literaturmuseum fragte Autoren wie Nora Gomringer, Thomas Meinecke oder Rainald Goetz an, sie sandten Aufnahmen, ganze Serien, Schnappschüsse. Die Ausstellung zeigt Handyfotografien und Bilder, die in Blogs erschienen. Eine Geschichte der Fotografie, eine Geschichte des Fotografierens wird erzählt, die Geschichte eines Mediums, einer Ästhetik im gesellschaftlichen Wandel.

Souvenirs

Für manchen reisenden Literaten lebte die Erinnerung an seine Bewegung durch die Welt nicht nur im Bild fort, er trug ein Souvenir nach Hause. Für Rilke war dies ein Klappaltärchen, er bekam es von Tolstoi und gab es bei passender Gelegenheit weiter. Alexander von Humboldt kam mit Schmetterlingen zurück, Hermann Hesse ebenfalls. Friedrich Schiller dagegen bevorzugte den Bergkristall, W. G. Sebald einen Sandstein, den er an der englischen Nordseeküste gefunden hatte. Der Kunsthistoriker Gottfried Boehm kehrte aus dem Fichtelgebirge heim und brachte als Souvenir einen Pflasterstein mit, Franz Kafka verlor eine Gabel an einen Kutscher. Und Peter Handke durchquerte Spanien mit einer spanischen Ausgabe des „Don Quichotte“. All diese Andenken liegen nun im Tageslichtraum des Literaturmuseums.

Die Reise geht weiter

Die fotografischen Bestände des Deutschen Literaturarchivs sind beträchtlich, präsentiert wurden sie bislang nur unvollständig. Die Ausstellung „Reisen – Fotos von unterwegs“ soll einen Anfang machen, sagt Ulrich Raulff, Direktor des Museums. Für ihn ist die Fotografie längst zur wichtigsten Assistenzkunst der Literatur geworden, die Kamera zu einem „Pencil of Light“, einem Stift aus Licht, dessen sich Autoren auf verschiedenste Weise bedienen. An diesem Freitagabend um 19.30 Uhr wird die Ausstellung eröffnet, der vielgereiste Autor Christoph Ransmayr wird zu diesem Anlass sprechen, Felicitas Hoppe wird bei der Finissage am 5. Oktober zu Gast sein. Ergänzende Wechselausstellungen zum Thema Reisen werden während der Dauer der Hauptausstellung das Augenmerk auf verschiedene Themenkomplexe und Autoren legen. Und weitere bildreiche Ausstellungen sollen in Marbach folgen.