Claudia, Sercan und Pervin (von links) nehmen die ersten Plakate in Augenschein. Foto: Ines Rudel

Schüler der Kaufmännischen Schule wollen mit einem Ausstellungsprojekt an das Leid erinnern, das Göppinger Juden in der NS-Zeit erlitten haben. Die Schau ist von Montag, 16. Januar, bis Freitag, 20. Januar, zu sehen.

Göppingen - Vier junge Menschen stecken an diesem Nachmittag in der Göppinger Stadtbibliothek die Köpfe zusammen und diskutieren angeregt. Das Thema, das sie beschäftigt: eine Ausstellung über Göppinger Juden – nicht irgendeine, ihre eigene. Im Rahmen eines Projektes am Berufskolleg Fremdsprachen der Kaufmännischen Schule haben sich die Zwölftklässler mit diesem schrecklichen Kapitel der Göppinger Stadtgeschichte befasst und es für eine Ausstellung im Foyer des Rathauses aufbereitet. Ihre Motivation bringt Sabrina auf den Punkt: „Viele wissen gar nicht, was damals geschehen ist. So etwas darf nie wieder passieren.“

Multikulti in seiner allerschönsten Form ist an diesem Tisch bereits Wirklichkeit. Sieben Sprachen sprechen diese jungen Menschen: Englisch und Französisch haben sie in der Schule gelernt. Dazu kommen noch ihre verschiedenen Muttersprachen. Pervin (19) ist in Deutschland geboren. Ihre Eltern sind Kurden und stammen aus der Türkei, zu Hause wird wahlweise Deutsch, Kurdisch oder Türkisch gesprochen. Claudias (22) Eltern sind Portugiesen, und Nikolas (19) ist mit sieben Jahren von Kasachstan nach Deutschland gezogen. Er spricht fließend Russisch. Alle drei Jugendlichen haben harmlosere Formen der Ausgrenzung schon selbst erlebt.

Thema liegt auf der Straße

Allein Sabrina hat ausschließlich deutsche Wurzeln, wie sie sagt. Zusammen mit Pervin ist sie regelrecht über das Thema ihrer Ausstellung gestolpert. Sabrina entdeckte einen der Stolpersteine, die an die Göppinger Juden erinnern, die in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden. Da sie nicht wusste, was es damit auf sich hat, erklärte es Pervin ihr. Weil sie vermuteten, dass viele Göppinger ebenfalls nichts darüber wissen, beschlossen sie zusammen mit Claudia, Nikolas und Sercan (17), der an diesem Nachmittag nicht dabei sein kann, dieses Thema in den Blick zu rücken. „Uns war klar, dass wir dann aus der Schule rausmüssen“, sagt Pervin. Die Idee, eine Ausstellung zu machen, war geboren.

Seit November arbeiten sie an ihrem Projekt. Da sie Projekte nicht aus eigener Tasche bezahlen dürfen, gingen die Jugendlichen zunächst auf Sponsorensuche – und landeten erst einmal auf dem Bauch. Da sie versäumt hatten, den Schulleiter zu informieren, wies dieser einen Sponsor ab, der sich bei ihm vergewissern wollte, dass die Anfrage echt war. Der Irrtum klärte sich auf, und das Geld floss doch noch. Pervin ist die Erleichterung darüber noch immer ins Gesicht geschrieben.

Verschiedene Aspekte werden beleuchtet

Gleichzeitig setzten sich die jungen Ausstellungsmacher mit Klaus Maier-Rubner von der Göppinger Stolperstein-Initiative in Verbindung und nahmen Kontakt mit Karl-Heinz Rueß, dem Leiter des Stadtarchivs, auf. Sie lasen Bücher, recherchierten im Internet und im jüdischen Museum und holten Wolfram Hosch, den Leiter des Kulturreferates, ins Boot. Er besorgte fünf Stellwände – für jeden von ihnen eine. Nikolas steuert einen Überblick über die Restriktionen für Juden in der NS-Zeit bei, Claudia informiert über jüdische Festtage und Feiern, Pervin befasst sich mit der Reichspogromnacht in Göppingen, Sabrina listet auf, wo sich in der Stadt Mahnmale und Gedenktafeln befinden, die an den Holocaust erinnern, und Sercan beleuchtet die Rolle der Juden in der Göppinger Wirtschaft. Ihre Texte und die Fotos, die sie zur Illustration ihrer Schwerpunkte ausgesucht haben, sind bereits in der Druckerei.

Bis zur Eröffnung der Ausstellung am Montag bleibt noch viel zu tun. Pervin hat die Flyer für die Ausstellung von der Druckerei abgeholt. Gemeinsam packen die jungen Leute sie aus. „Das Leben der Juden in Göppingen“ prangt in gelber Schrift auf dunklem Hintergrund. Darüber befindet sich der Davidstern neben einem Kreuz und der schmalen Sichel des Neumondes – ein Appell, niemanden aufgrund seines Glaubens auszugrenzen.

Nun fiebern die Ausstellungsmacher dem Montag entgegen. An diesem ersten Ausstellungstag bieten sie zwei Führungen an. Zwei weitere sind am Donnerstag geplant. „Womöglich werden wir Dinge gefragt, die wir gar nicht wissen“, befürchten sie. Auch nach Ende der Ausstellung dürfen sie die Beine nicht hochlegen. In wenigen Tagen müssen sie die Präsentation des Projektes für die Schule vorbereiten. Auch die Reaktionen der Ausstellungsbesucher sollen mit aufgenommen werden. Trotz der vielen Arbeit bereuen die Jugendlichen nicht, sich dieses schwierige Thema ausgesucht zu haben. Gerade vor dem Hintergrund einer wachsenden Fremdenfeindlichkeit dürfe der Holocaust als die extremste Form der Ausgrenzung von Menschen nicht in Vergessenheit geraten, finden sie. „So etwas kann wieder kommen“, befürchtet Claudia. „Die Menschen lassen sich so schnell verführen.“

Vier Führungen sind geplant

„Das Leben der Juden in Göppingen“ ist von Montag, 16. Januar, bis Freitag, 20. Januar, im Foyer des Göppinger Rathauses zu sehen. Führungen finden am Montag um 13.30 und 14.20 Uhr sowie am Donnerstag um 14.30 und 15.20 Uhr statt. Spenden sind willkommen. Sie sollen dem jüdischen Museum zugeleitet werden.