Spanische Auszubildende wie Carlos Prades machen mit rund 70 Prozent den größten Anteil der Auszubildenden aus dem Ausland aus. Foto: dpa

In Deutschland finden Firmen keine Fachkräfte, im Ausland junge Leute keine Arbeit. Südwest-Firmen setzen – wenn auch verhalten – auf ausländische Azubis und Studenten. Die Betriebe können einiges voneinander lernen.

Stuttgart/Kornwestheim – In Deutschland finden Firmen keine Fachkräfte, im Ausland junge Leute keine Arbeit. Südwest-Firmen setzen – wenn auch verhalten – auf ausländische Azubis und Studenten. Die Betriebe können einiges voneinander lernen.

Erfolgsfaktor: Kollegen

Eins stand für Kristian Korsos (19) immer fest: „Ich will in Deutschland leben und arbeiten“, sagt der Rumäne aus der StadtTemeswar. Diesen Wunsch hegten auch die Eltern, hat die Familie ohnehin Verwandte in Norddeutschland, die sie jeden Sommer besucht. Man kennt Deutschland. Korsos ging in Rumänien auf eine Deutsche Schule, wo er das Abitur mit der Note 2,2 bestand.

Seit Juli lebt Korsos seinen Traum. An der Dualen Hochschule in Stuttgart studiert er Angewandte Informatik. Seine praktische Ausbildung macht Korsos bei mm-lab in Kornwestheim. Die IT-Firma bildet seit 2007 an der Hochschule aus. „Das ist unser Beitrag, den eigenen Nachwuchs heranzubilden“, sagt Geschäftsführer Andreas Streit.

Der Umgang mit fremden Kulturen ist bei mm-lab inzwischen Alltag. Die Firma sucht seit 2012 gezielt Fachkräfte aus dem Ausland. Spanier, ein Bulgare und ein Bangladescher gehören zum Team. „Wir müssen freie Stellen besetzen, bekommen aus der Region Stuttgart aber nicht genug Bewerber“, sagt Streit. Er ziehe seinen Hut vor Menschen, die den Mut haben, die Heimat zu verlassen.

„Von zu Hause war ich noch nie so lange weg“, sagt Korsos, „aber das Heimweh vergeht schnell.“ Nicht nur, weil der junge Mann mit Studium, Arbeit und Hausarbeit beschäftigt ist. „Eine Willkommenskultur bedeutet, die Person in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt Streit. Am Anfang müsse man sich um die ausländischen Mitarbeiter intensiv kümmern. „Hinter ihnen stehen“, nennt Streit das. Die Firma hilft bei der Wohnungssuche und ist bei Besichtigungsterminen dabei. Die Studenten lernen alle Kollegen kennen, weil sie mit jedem Team zusammenarbeiten. Die Mitarbeiter machen gemeinsam Ausflüge wie Kanu-Rennen oder helfen, Sportvereine zu finden. Die Neulinge sollen schnell Anschluss finden.

Was für Studenten gilt, gilt für Azubis ebenso: Auch Bosch ist bewusst, wie wichtig Betreuung und Begleitung ist. Der Konzern hat seit mehr als 50 Jahren Erfahrung im internationalen Austausch. Im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit investiert er im Rahmen der „Ausbildungsinitiative Südeuropa“ 7,5 Millionen Euro. 100 junge Leute haben im Herbst eine Ausbildung begonnen, 50 von ihnen in Deutschland. „Die Azubis haben neben Betreuern Paten an ihrer Seite, die sich auch nach Feierabend um sie kümmern“, sagt Bosch-Sprecher Sven Kahn. Der eine lädt den Azubi zum Grillen ein, der andere nimmt Sohn samt Azubi zum Fußballspiel mit. Auch Ausbilder und deutsche Azubis verbringen Zeit mit den ausländischen Azubis. Noch in ihrer Heimat lernten die zukünftigen Lehrlinge Deutsch, „der Sprachkurs geht hier aber weiter“, betont Kahn. In einem Praktikum erlebten die jungen Leute vor Ausbildungsbeginn den Arbeitsalltag bei Bosch. Der Einsatz fruchtet: Nur vier der 50 Azubis sind bisher abgesprungen.

Herausforderung: Sprache

Das Handwerk betrat Neuland, als es sich im Herbst 2013 auf Azubis aus dem Ausland einließ. Die Handwerkskammer (HWK) Ulm begrüßte neun spanische Azubis. Ein Betrieb nahm sie alle auf – und scheiterte. Sieben Azubis kehrten zurück nach Hause. Die zwei, die im Kammergebiet geblieben sind, haben sich beruflich umorientiert. Manchen Azubis fiel in der Berufsschule die deutsche Sprache schwer. Andere hatten Heimweh und fühlten sich allein. Einige waren es.

Die 17 Betriebe, bei denen 35 Spanier und Italiener jetzt ihre Lehre begonnen haben, haben aus der Erfahrung gelernt. Der zweite Versuch soll besser werden. „Man muss mehr tun, als dem Azubi nur einen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen“, sagt Tobias Mehlich, Hauptgeschäftsführer der HWK Ulm. „Den beteiligten Betrieben ist klar, dass sie die neue Familie der jungen Leute werden und ihnen auch soziale Kontakte außerhalb der Firma ermöglichen müssen.“

Aus Sicht von Stefan Baron, Abteilungsleiter Bildungspolitik beim Baden-Württembergischen Handwerkstag, sind Handwerksbetriebe auch wegen ihrer Größe mit den hohen Anforderungen überfordert. „Ein Fünf-Mann-Betrieb hat nicht das nötige Personal, um sich ausreichend um die Azubis zu kümmern.“ Viele Meister – eher älter – sprechen nicht einmal genug Englisch. Laut Baron ist 2013 landesweit schätzungsweise die Hälfte der Bewerber im Handwerk noch vor Ausbildungsstart während des Praktikums im Betrieb abgesprungen.

Kleinere und mittlere Betriebe tun sich mit ausländischen Azubis grundsätzlich schwerer als große, die mehr Kapazitäten aufbringen können. Im Südwesten ist das Bestreben trotz steigender Zahlen verhalten. Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammern (IHK) zeigt: Nur fünf Prozent der Firmen suchen verstärkt im Ausland nach Azubis. „Viele Firmen können das auch finanziell gar nicht stemmen“, sagt Anke Seifert von der IHK Region Stuttgart. Die Anwerbung aus dem Ausland gegen Azubi-Mangel könne daher nur ein Baustein von mehreren sein. „Wir müssen hausgemachte Ausbildungshemmnisse abbauen“, sagt Seifert. Schulabgänger seien häufig nicht reif für eine Ausbildung (76 Prozent der Betriebe im Land sind der Meinung). Sie wüssten nicht, welchen Beruf sie ergreifen wollen.

Unterstützung: Anlaufstellen

Landesweit werden elf Welcome-Center aufgebaut. Die Anlaufstellen für ausländische Arbeitskräfte vermitteln Deutschkurse oder Kontakte zu Ärzten, Kulturvereinen oder Gleichgesinnten. Das Land beteiligt sich an den Zentren mit zwei Millionen Euro aus dem Europäischen Sozialfonds.

Das Bundesprogramm „MobiPro“ unterstützt junge Leute, die hier eine betriebliche Ausbildung machen wollen. Seit Juli können keine Ausbildungsinteressenten mehr Anträge stellen. Nur noch freie und öffentliche Einrichtungen, Firmen oder Verbände werden als Antragsteller für das Ausbildungsjahr 2015 akzeptiert. Firmen hoffen so auf Erleichterung, da man in Projekten für eine Gruppe von bis zu 30 Azubis zuständig ist.

Ziel: Integration

Die Erfahrung im Handwerk deckt sich mit einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Demnach verlässt die Hälfte bis zwei Drittel der Einwanderer Deutschland im ersten Jahr. Unter anderem, weil sie sich zu wenig integriert fühlen.

Kristian Korsos hat hier rumänische und deutsche Freunde gefunden. „Ich glaube nicht, dass ich zurückgehe“, ist er überzeugt. Bald wolle er München und Berlin sehen. Geschäftsführer Streit ist sich indes bewusst, dass jeder Mitarbeiter einmal seine Sachen packen könnte. „Man kann niemanden ewig an sein Unternehmen binden.“

Ausblick: Wachstumskurs

Die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit vermittelte 2014 dreimal so viele junge Menschen aus EU-Staaten in eine Lehre wie im Vorjahr. 2013 waren es 419 Bewerber, 2014 mehr als 1300. In den Südwesten kamen laut eines Sprechers der Regionaldirektion der Bundesagentur bis August mehr als 338 junge Menschen, 2013 waren es mehr als 200. Die Gesamtzahl liegt deutlich höher, denn junge Leute gelangen auch über Projekte von Firmen nach Deutschland – siehe Bosch. Die Zahl ausländischer Studenten an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg lag 2011 bei 611. Konkrete Zahlen ermittelt die Einrichtung derzeit. Der Anteil an allen Studenten (34 000) steige zwar stetig, liege aber noch im einstelligen Prozentbereich.