Wenn Steine reden könnten...: Die winkligen Mauerreste im Vordergrund im Bildvordergrund sind die Überbleibsel von zwei Meter dicken Wehrmauern der bei den Ausgrabungen entdeckten „Alten Burg“. Sie werden schon bald unter Neubauten verschwinden. Foto: Leonard Cohen

Demnächst beginnt der Abriss des Steiggemeindehauses – womöglich archäologische Funde inklusive. Es wurden bereits Mauerreste entdeckt. Sie sind die Überbleibsel von zwei Meter dicken Wehrmauern der „Alten Burg“.

Bad Cannstatt - Im Frühjahr vergangenen Jahres hatte sich die evangelische Steigkirchengemeinde von ihrem Gemeindehaus an der Altenburger Steige 20 verabschiedet. Das Areal wurde an einen Investor verkauft, der hier vier Häuser mit 20 Eigentumswohnungen errichten will. Das damit nicht gleich begonnen werden konnte, hatte Marcel Djafari, Geschäftsführer der Oswa Planen und Bauen GmbH aus Ingersheim, allerdings nicht überrascht: „Wir wussten von Anfang an, dass auf dem Grundstück mit archäologischen Funden zu rechnen war. Wir haben deshalb mit der oberen Denkmalbehörde einen Vertrag gemacht, der die zeitlichen Abläufe regelt.”

Die Grabungsleitung vor Ort hatte Andreas Thiel. Die Grabung selbst war für ihn „zunächst reine Routine. Wir wollten nur dokumentieren, was hier aus der Zeit der römischen Ansiedlung im Umfeld des Kastells noch zu finden war”, erklärt der Archäologe. Dann aber gab es „eine faustdicke Überraschung”: Entdeckt wurden 25 Bestattungen aus dem 6., 7. Jahrhundert nach Christus, also aus alemannischer Zeit. Gefäße, Eisenwaffen, Schwerter, Pfeilspitzen und Waffengürtel, dazu Schnallen aus Bronce, Eisen und Silber. Außerdem Frauenschmuck wie Kämme, Kleiderverschlüsse und Glasperlen. Thiel: „Die Funde allein schon sind von einer Art, dass sie jedem Museum zur Zierde gereichen würden.”

Ein Ort mit Geschichte

Die eigentliche, historische überragende Bedeutung der Funde wird aber erst mit ihrer wissenschaftlichen Gewichtung klar: „Die Funde stammen aus der Zeit, als die Alemannen von den Franken unterworfen wurden, die Gegend also Teil des Fränkischen Reiches war.“ Und da die Fundobjekte „wie Sachen vom Niederrhein sind“, ergeben sich für Thiel zwei mögliche Schlussfolgerungen: „Entweder waren die Bestatteten von hier und ganz auf der Höhe der Mode der Zeit. Oder es waren tatsächlich Franken. Wahrscheinlich Statthalter des Königs, mit ihren Familien und allem Trallala.“ Dies könne noch mit Hilfe einer Isotopen-Untersuchung der Knochen geklärt werden: „Denn die Schwermetalle im Trinkwasser waren hier andere als die im Stammland der Franken.“

Der Gräberfund stammt in beiden Fällen aus der Zeit der Franken-Herrschaft. „Hinzu kommt ein zweiter Knaller“, sagt Thiel und stellt fest: „Bisher gab es nur schriftliche Zeugnisse von der ,Alten Burg‘, etwa in Flurkarten. Man wusste nicht, wo sie sich genau befand. Jetzt aber haben wir sie gefunden!“ In Form von „mächtigen, zwei Meter dicken Wehrmauern“. Und Thiels Folgerungen gehen noch einen Schritt weiter: „In diesem Bereich müssten auch die Königshöfe gestanden haben – und in diesem Bereich dürfte auch das sogenannte Cannstatter Blutgericht stattgefunden haben, das die Franken an den alemannischen Adeligen vollzogen haben.“ Kurz: „Wir haben hier einen Ort entdeckt, der ein bedeutendes Stück Geschichte repräsentiert.“

Weitere Funde erwartet

Im übrigen erwartet Thiel im nicht unterkellerten Bereich des Gebäudes sowie unterm Parkplatz weitere einschlägige Funde. Mit einer weiteren Verzögerung rechnet der Investor deshalb aber nicht: „Wir arbeiten im guten Einvernehmen mit der Behörde, die zeitlichen Abläufe sind vertraglich geregelt.“ Den Abriss will Djafari „noch im Januar“ angehen: „Der hintere Teil des Grundstücks wurde von der oberen Denkmalbehörde freigegeben, so dass wir jetzt mit den Abbruch- und Erdarbeiten in diesem Bereich beginnen werden.“ Auch der Verkauf habe bereits begonnen, die Nachfrage sei „sehr rege, denn das Projekt besticht durch die Größe des Grundstücks und die einzigartige, erhabene Lage.” Letzteres hatten ja auch schon Römer und Alemannen zu schätzen gewusst. Und, wie man jetzt weiß, auch die Franken.