Viele junge Leute wollen eine kaufmännische Ausbildung machen. Dafür brauchen sie aber im Normalfall mindestens eine sehr gute Mittlere Reife. Foto: dpa-tmn

Zum Start des Ausbildungsjahres suchen Unternehmen im Verbreitungsgebiet der Nord-Rundschau verstärkt nach Auszubildenden in klassischen Handwerksberufen wie Flaschner, Maurer, Dachdecker oder Schlosser. Viele junge Leute wollen eine kaufmännische Ausbildung machen. Dafür brauchen sie aber im Normalfall mindestens eine sehr gute Mittlere Reife.

Stuttgarter Norden - Am Dienstag haben zahlreiche Auszubildende ihre Lehre begonnen. Doch nicht alle Branchen sind bei den Berufsanfängern gleichermaßen beliebt. Einen Überblick über die Lage in der Gesamtstadt haben die Mitarbeiter der Handwerkskammer (HWK). Laut HWK-Sprecherin Alexandra Peschke fehlt es in diesem Jahr vor allem an Verkäufern in Bäckereien und Metzgereien. Die Industrie- und Handelskammer sucht vor allem noch Bewerber im Hotel- und Gastgewerbe. „Uns fehlen vor allem Azubis, die sich als Köche und Hotelfachkräfte ausbilden lassen, aber auch in der IT-Branche tun sich Unternehmen schwer, Auszubildende zu finden“, sagt Pressesprecherin Anke Seifert. Einen Überschuss an Bewerbern verzeichnen beide Organisationen im Bereich Kfz-Mechatronik und Elektrotechnik.

Porsche, Bosch und Daimler sind besonders beliebt

In den nördlichen Stadtbezirken stellt sich die Lage anders dar. Sowohl in Stammheim als auch in Zuffenhausen leiden vor allem die Handwerksbetriebe unter fehlenden Bewerbern. „Alles, was von den großen Firmen wie Bosch, Daimler oder Porsche abweicht, ist bei den Azubis kaum noch gefragt“, sagt Martin Schaaf vom Bund der Selbstständigen Gewerbe und Handelsverein Zuffenhausen (GHV). „Das liegt meiner Meinung nach auch daran, dass die Handwerksbetriebe wie Flaschner, Schlosser und Maurer im Stadtbild nicht mehr vertreten sind“, erläutert er. Diese fänden sich zunehmend in den Industrie- und Gewerbegebieten. Den Jugendlichen fehle der direkte und regelmäßige Kontakt zu den Betrieben; dadurch könnten sich viele dann auch die Tätigkeit nicht mehr vorstellen. Transparenz und Aufklärung seien nötig, daran habe der GHV in der Vergangenheit auch gearbeitet. „Wir hatten einige Kooperationen mit verschiedenen Schulen, aber die Beziehungen sind leider eingeschlafen“, bemängelt Schaaf.

Eingeschlafen ist in Stammheim das Interesse an der Mechatronik. Früher strömten die Azubis auf solche Lehrstellen; heutzutage sei das nicht mehr der Fall. „Mittlerweile will sich keiner mehr die Hände schmutzig machen“, sagt Axel Ueberschär vom Handels- und Gewerbeverein Stammheim. Doch auch in anderen Branchen gebe es generell weniger Azubis; etwa in der Branche der Bürokaufleute. „Vor ein paar Jahren hatte ich in meinem Betrieb Bewerbungen im zweistelligen Bereich, mittlerweile liegen die Zahlen bei unter zehn Bewerbern“, sagt Ueberschär. Und längst nicht alle, die sich bewürben, sähen ihre langfristige Zukunft beim Ausbildungsbetrieb. „Einige Bewerber haben das Abitur in der Tasche und sehen die Ausbildung als Sprungbrett ins Studium“, sagt Ueberschär. „Leider gehen diese Azubis dann nach der Ausbildung, was vor allem für die Betriebe ein Problem ist, da sie spezifisch ausgebildete Mitarbeiter gleich wieder verlieren.“

Es mangelt an Selbstdisziplin und Pünktlichkeit

Beim GHV in Feuerbach kritisiert der Vorsitzende nicht die Quantität, sehr wohl aber die Qualität der Bewerber. „Viele Ausbildungsbetriebe bemängeln vor allem Selbstdisziplin und Pünktlichkeit, aber auch die Rechtschreibung ihrer Azubis“, sagt Jochen Heidenwag, der Vorsitzende des Gewerbe- und Handelsvereins Feuerbach. Der Andrang sei groß, vor allem auf die kaufmännischen Ausbildungsstellen. „Diese setzen aber eine sehr gute mittlere Reife voraus, die manche Bewerber nicht mitbringen.“ Wenn es die Azubis eher zum Handwerk zieht, dann zu den großen Firmen. „Bosch und Daimler sind bei Bewerbern sehr attraktiv“, sagt Heidenwag. Niedrig im Kurs stünden Rohrreinigungsfirmen. Das liege vor allem am schlechten Image, das solche Unternehmen bei Jugendlichen hätten. „In diesem Bereich müssen die Firmen aufklären und ihr Image aufpolieren. Rohrreinigung ist mittlerweile ein absoluter High-Tech Job.“

Wichtiger denn je sei es heutzutage, die Eltern der Jugendlichen zu erreichen. Doch nicht jeder Versuch führe automatisch zum Erfolg. „Für einen 14-jährigen Schulabgänger ist es wichtig, die Eindrücke von unseren Jobmessen, die wir an verschiedenen Schulen anbieten, zu verarbeiten. Da fehlt es vor allem an der Unterstützung durch die Eltern“, sagt Heidenwang.

Entspannter stellt sich die Situation beim Gewerbe- und Handelsverein Botnang dar. Der erste Vorsitzende Matthias Oechsner spricht hier aus Erfahrung: „Wir bekommen unsere Bewerberzahlen zwar erst Mitte September, ich habe von den Betrieben aber noch nie große Klagen vernommen.“ In Botnang würden viele Lehrstellen von Botnangern besetzt. „Es kommen meist alle unter, die hier eine Stelle suchen, und die Ausbildungsbetriebe sind auch zufrieden“, sagt Oechsner.