Junge Flüchtlinge bei einem Sprachkurs. Foto: dpa

Immer mehr junge Flüchtlinge kommen nach Baden-Württemberg. Nun fordern Berufsschullehrer und Arbeitgeber im Land mehr Unterstützung für die Ausbildung junger Asylbewerber: Sie wollen mehr Lehrerstellen, mehr Sozialarbeiter und einen schnelleren Schulbeginn für jugendliche Flüchtlinge.

Stuttgart - Vor drei Jahren kam Sami Kheder Kodji aus dem Nordirak nach Deutschland. Für Jesiden wie ihn habe es schon vor der Verfolgung durch die Terrorgruppe Islamischer Staat in seiner Heimat keine Perspektive gegeben, sagt er. Eine gute Ausbildung oder eine offizielle Arbeitsstelle zu bekommen sei dort wegen seiner Religion kaum möglich gewesen. Seit seiner Ankunft in Deutschland bereitet sich der heute 19-Jährige an einer beruflichen Schule in Pforzheim auf seine Berufsausbildung vor.

Wie Sami Kheder Kodji kommen immer mehr junge Flüchtlinge nach Baden-Württemberg. „Für die beruflichen Schulen im Land stellt das eine große Herausforderung dar“, sagte der Vorsitzende des Berufsschullehrerverbandes (BLV), Herbert Huber, am Montag in Stuttgart.

Die Lehrer fordern, jungen Flüchtlingen schneller als bisher den Schulbesuch zu ermöglichen und die individuelle Betreuung der Schüler auszubauen. Vor allem im Hinblick auf den Spracherwerb jugendlicher Asylbewerber spielen die beruflichen Schulen eine tragende Rolle.

240 zusätzliche Lehrdeputate sind erforderlich

„Unser Ziel ist es, gesellschaftlich integrierte und gut ausgebildete Fachkräfte zu gewinnen, die Steuern und Sozialabgaben zahlen und sich in Deutschland wohlfühlen und anerkannt werden“, sagte Huber. „Dafür muss man viel Geld in die Hand nehmen.“ Nur so könne man den wachsenden Fachkräftebedarf decken.

240 zusätzliche Lehrdeputate seien erforderlich, um die Ausbildung von Flüchtlingen an den 290 beruflichen Schulen im Land tragen zu können. Darüber hinaus fordert der Verband spezielle Lehrerfortbildungen, mehr Schulsozialarbeiter, Psychologen sowie Jugendberufshelfer.

„Der Umgang mit traumatisierten Flüchtlingskindern erfordert ein umfassendes Betreuungskonzept“, so Huber. Eintägige Fortbildungen zum Thema Deutsch als Fremdsprache reichten nicht aus, um die Lehrer entsprechend vorzubereiten. „Nicht alle Flüchtlingskinder kennen die lateinische Schrift, und viele sind schon seit mehr als einem Jahr auf der Flucht, müssen sich daher erst wieder an einen geordneten Tagesablauf gewöhnen“, so Huber.

In einjährigen Kursen können junge Asylbewerber ihre Sprachkenntnisse verbessern

Der Anteil jugendlicher Asylbewerber ist hoch. Ihre Ausbildung, Integration und Berufsvorbereitung übernehmen zu einem großen Teil die beruflichen Schulen im Land, die ohnehin einen hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund haben. Nach sechs Monaten Aufenthalt sind Asylbewerber unter 18 schulpflichtig.

An den beruflichen Schulen können 16- bis 18-Jährige in einjährigen Kursen zunächst ihre Sprachkenntnisse verbessern, bevor sie einen Hauptschulabschluss machen. 150 solcher Vorbereitungsklassen gibt es derzeit an den beruflichen Schulen im Land.

Die berufsschulpolitische Sprecherin der CDU-Landtagsfraktion, Viktoria Schmid, mahnte mehr Unterstützung der Landesregierung für die beruflichen Schulen an: „Kultusminister Stoch muss die beruflichen Schulen mit den nötigen Ressourcen ausstatten, um diese gewaltige Aufgabe erfolgreich zu bewältigen“, so Schmid.

11,7 Millionen Euro stellt das Land 2015 zur Verfügung

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) forderte zudem, den Schulbesuch für Flüchtlinge bis 25 Jahren zu ermöglichen. Den 19- bis 25-jährigen Asylbewerbern sei ein berufliches Bildungsangebot bislang verwehrt, bestätigte der BLV-Vorsitzende Huber. Diese Gruppe dürfe man aber nicht verloren geben.

Die Baden-Württembergischen Arbeitgeberverbände fordern zusätzlich eine nachhaltige Perspektive für eine duale Berufsausbildung. Die Bereitschaft der Unternehmen, sich in der Ausbildung von Flüchtlingen zu engagieren, müsse aktiv unterstützt werden. Auch nach Abschluss einer Aus- oder Weiterbildung solle der Aufenthalt junger Flüchtlinge um ein Jahr verlängert werden, um einen Arbeitsplatz zu finden.

Aus dem Kultusministerium des Landes heißt es indes, man reagiere bereits auf die neuen Herausforderungen: Insgesamt 11,7 Millionen Euro im Jahr 2015 und 13 Millionen im Jahr 2016 stellt das Land für die Unterstützung junger Flüchtlinge und Zuwanderer in Vorbereitungsklassen und anderen Angeboten zur Verfügung.

Bis Jahresende 162 neue Stellen für Lehrkräfte in der Flüchtlingsarbeit

162 neue Stellen für Lehrkräfte in der Flüchtlingsarbeit sollen bis Jahresende besetzt werden, davon fallen 122 unbefristete Stellen zur Sprachförderung auf berufliche Schulen.

„Es ist selbstverständlich, dass wir die Schulen und Lehrkräfte beim Unterricht von Flüchtlingen schnell und unkompliziert unterstützen, etwa durch zusätzliches Personal, Fortbildungsangebote oder Beratung“, sagte eine Sprecherin des Kultusministeriums. Bereits im Schuljahr 2014/15 habe es Lehrerfortbildungen an den Schulpsychologischen Beratungsstellen im Land gegeben.

Sami Kheder Kodji hat an der Johanna-Wittum-Schule in Pforzheim Deutsch gelernt und wird im Sommer seinen Hauptschulabschluss machen. Auch seinen Ausbildungsplatz hat er schon in der Tasche: Restaurantfachmann möchte er werden – „im Irak habe ich schon in einem Restaurant gearbeitet, das macht mir Spaß“, sagt der 19-Jährige.

Doch für ihn ist klar: Seine Zukunft liegt in Deutschland – noch einmal in den Irak zurück, wo die Jesiden unerwünscht sind, das kann er sich nicht vorstellen.