Der Flüchtling Bubacar Marone (Mitte) und seine Mitschüler lernen Wörter, die Anfänger sonst nicht kennen: Fleischwolf, Schlesinger und Lyoner. Er macht eine Ausbildung in einer Metzgerei Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Seit einem halben Jahr bieten sechs Berufsschulen in Stuttgart Spezialklassen für Flüchtlinge ab 16 Jahren an. Das Konzept der neuen Klassen: Deutsch lernen durch praktische Arbeit und Kontakt zu Unternehmen aufbauen. Der erste Flüchtling hat jetzt einen Ausbildungsplatz gefunden.

Stuttgart - Er hat Angst vor Mathe und Ärger mit seinem unordentlichen Mitbewohner. Er findet Stuttgart schöner als Berlin. Wenn’s um die Wurst geht, isst er am liebsten Putenlyoner. Und von seinem ersten Gehalt – er grinst, bevor er antwortet – würde er am liebsten seiner Schwester ein Auto kaufen. Aber dafür wird das Geld nicht reichen.

Wenn Bubacar Marones von seinem Alltag erzählt, könnte er irgendein 19-Jähriger aus Stuttgart sein, der kurz vor seiner Ausbildung zum Metzger steht. Nur dass Marone erst vor etwa zweieinhalb Jahren nach Deutschland gekommen ist, auf einem Schiff mit Zwischenstopp in Italien, wie er sagt. Seine Eltern seien tot. Er denke viel an seine Schwester, die noch in seinem Heimatland Gambia lebt.

„In Afrika ist es manchmal schwierig“, sagt Marone vorsichtig. Die Arbeit bei der Metzgerei Schrotter im Stuttgarter Osten, wo er jeden Mittwoch und Samstag in der Wurstküche mit anpackt, mache ihm großen Spaß. Juniorchef Sebastian Schrotter hat Marone einen Ausbildungsplatz angeboten – für den jungen Mann ein großer Schritt in ein neues Leben.

„Sprache, Arbeit, Beruf“, sagt Gerald Machner: In dieser Reihenfolge könne Integration am besten gelingen. Machner leitet die Gewerbliche Schule im Hoppenlau. Die ersten beiden Bausteine will die Schule jungen Flüchtlingen in zwei sogenannten Vabo-Klassen vermitteln. Die Abkürzung steht für „Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf für Menschen ohne Deutschkenntnisse“. Rund 160 Jugendliche werden in Stuttgart seit Schuljahresbeginn in neun Vabo-Klassen an sechs Schulen unterrichtet. Der Bedarf ist groß: Erst vor rund zwei Wochen hat eine weitere Berufsschule die zehnte Klasse eröffnet.

Deutsch lernen durch praktische Arbeit

Anders als die 72 Vorbereitungsklassen für Flüchtlinge an allgemeinbildenden Schulen (etwa 720 Schüler) richtet sich Vabo speziell an Flüchtlinge, die schon 16 Jahre alt sind oder es bald werden, wenn sie in Stuttgart ankommen. Ihnen soll das Modell schnell berufliche Perspektiven eröffnen – gegebenenfalls auch ohne Hauptschulabschluss. Ein Praktikum ist im Vabo fest vorgesehen.

Damit die Flüchtlinge dafür schnell fit werden, lernen sie Deutsch vor allem durch praktische Arbeit. In der Hoppenlau-Schule schrubben Bubacar, Tegest und Saba am Dienstagmittag in der Wurstküche die Platten, auf denen sie davor Würstchen gemacht haben. „Saba, bitte gib die Schüssel zum Spülen“, sagt Lehrer Stefan Beck, einen Tick langsamer als im Gespräch mit Kollegen. „Nein, bitte nur die Schüssel, ohne das Messer.“ Saba, die aus Eritrea kommt, nimmt das Messer aus der Schale und sieht ihn fragend an. Beck nickt ihr ermutigend zu.

Arbeit könnten mit etwas Glück viele der Stuttgarter Vabo-Schüler finden. „Wir würden gern ein Viertel mehr Lehrstellen in der Produktion besetzen als bisher“, sagt der Obermeister der Fleischer-Innung Stuttgart-Neckar-Fils. Kurt Matthes klagt über enorme Nachwuchssorgen. In den neuen Vabo-Klassen sieht er „eine große Chance“.

Schulleiter Machner und Lehrerin Petra Hanser-Cichos haben einen Brief an rund 40 Partnerbetriebe der Schule geschrieben, um Vabo zu erklären und für die Schüler Praktikumsplätze zu finden. Am vergangenen Mittwoch sind Betriebsvertreter in die Hoppenlau-Schule gekommen: Mit sichtlicher Aufregung stellen sich die jungen Flüchtlinge vor – auf Deutsch.

Die Lehrerin geht mit den Schülern bowlen

Lehrerin Petra Hanser-Cichos flüstert vor, wenn jemand nicht mehr weiter weiß und nervös die Augen niederschlägt. Sie ist in regem Kontakt mit den Betreuern in den Flüchtlingsunterkünften und geht mit den jungen Leuten bowlen oder aufs landwirtschaftliche Hauptfest. Die Metzgerfamilie Schrotter und Bubacar Marone hat sie durch einen Besuch bei der Innungssitzung zusammengebracht. „Sonst hätte ich wahrscheinlich nie von Bubacar erfahren“, sagt Sebastian Schrotter, Juniorchef der Metzgerei. Er ist mit seinem Lehrling in spe schon jetzt hoch zufrieden.

Im nächsten Schuljahr sollen zusätzliche Vabo-Klassen kommen, auch an der Hoppenlau-Schule. Schulleiter Machner würde sich freuen, nicht nur der Flüchtlinge wegen. Sie beeinflussen auch die einheimischen Schüler. Und zwar positiv. „Wir haben jedes Jahr ein paar Fälle von Drogenkriminalität“, sagt Machner. Aber in der Klasse, deren Zimmer direkt neben der Vabo-Klasse liegt, sei in diesem Schuljahr bisher alles ruhig geblieben. „Kann natürlich auch Zufall sein“, sagt Machner, „aber das glaube ich nicht.“