Update Polizeipräsident Stumpf geht aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Ruhestand.

Stuttgart - Polizeipräsident Siegfried Stumpf tritt ab. Sieben Monate stand er wegen des Polizeieinsatzes am 30. September im Schlossgarten in der Kritik. Nun kommt der 60-Jährige einer Versetzung durch die neue Landesregierung zuvor.

Der Blick aus dem Fenster fällt auf einen wolkenverhangenen Himmel, als Siegfried Stumpf im fünften Stock des Innenministeriums an der Dorotheenstraße eine Urkunde entgegennimmt. Nach einem einstündigen Gespräch, das gegen 10.30 Uhr im Zimmer des Ministerialdirektors Günther Benz begonnen hat, ist das Ende der fünfjährigen Amtszeit Stumpfs als Stuttgarter Polizeipräsident besiegelt. Ein nüchterner, unspektakulärer Akt. Um 11.01 Uhr werden die Mitarbeiter der Stuttgarter Polizei per Rundmail informiert, um 13 Uhr versendet das Innenministerium eine Pressemitteilung mit zwei Sätzen. Man habe dem "Antrag auf Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen entsprochen", heißt es. "Die Amtszeit endet mit Ablauf des Monats April."

Kurz und knapp. Kein Wort mehr. Stumpf geht als einsamer Mann, um ihn herum beredtes Schweigen. Es passt zum Bild, das Stumpf in den vergangenen Wochen mehr oder weniger deutlich beklagte: Egal, ob Revierstrukturreform, 30. September oder der Umgang mit einer bürgerlichen Protestbewegung - eine politische Unterstützung der Polizei, die für die Politik den Kopf hinhält, habe er nicht bemerkt.

Doch Loyalität ist für den gebürtigen Viernheimer oberstes Gebot. Nach der Eskalation vom 30. September 2010, als sich Tausende Stuttgart-21-Gegner der Polizei in den Weg stellten und die Ordnungshüter Pfefferspray, Schlagstock und Wasserwerfer einsetzten, übernahm Stumpf früh die Verantwortung. Er stellte sich vor CDU-Ministerpräsident Mappus, bestritt politische Einflussnahme, manövrierte sich in die Rolle des Bauernopfers.

Dem Druck wiederholter Rücktrittsforderungen widerstand er. Ein Verwaltungsbeamter kann nicht zurücktreten, schon gar nicht aus politischen Gründen. Stumpf litt still, verzichtete auf Stellungnahmen, auch wenn die Wellen bis nach Hause ins beschauliche Dettenhausen im Kreis Tübingen schlugen. Einen Grund für einen Rücktritt gab es für ihn nicht: Der Polizeieinsatz fußte auf einer klaren Rechtsgrundlage, die Taktik war richtig, auch wenn es in Einzelfällen handwerkliche Fehler gegeben haben sollte. Das war die Auffassung eines Polizisten, der 1967 bei der Bereitschaftspolizei anfing, 1970 erstmals in Stuttgart Streife lief, 1999 brisante Lagen bei Kurden-Demonstrationen bewältigte. Es verwundert ihn, dass das Verhalten der Demonstranten am 30.September nie infrage gestellt wurde.


Ob man die Polizei auf dem Weg zu einem Einsatz behindern und blockieren darf, ob Gewalt gegen die Polizei zulässig ist, ob man auf Polizeibeamte Steine und Kastanien werfen darf - "hierüber sollte die Politik eine klare Position beziehen", so Stumpf. Wer das alles wolle, müsse nämlich Recht und Gesetz ändern.

Doch Stumpf spürt, dass ihm gar nicht mehr zugehört wird. Eine Diskussionsveranstaltung in der Hospitalkirche Anfang April endet mit einem Debakel. Gaddafi gehe gegen ein ganzes Volk vor - "und Sie gegen Kinder und Rentner", bekommt Stumpf zu hören. Er hört sich das an. Er versucht auch, dem Schwerverletzten Dietrich Wagner, der nach dem Wasserwerfereinsatz nahezu erblindet ist und unter den Zuhörern sitzt, ruhig nahezubringen, "dass die Kollegen Sie zwei- bis dreimal aus dem Wasserwerfereinsatz herausgeführt hatten". Doch Stumpf spricht allein gegen alle. Nach der Landtagswahl am 27.März ist auch klar, dass sich das politische Umfeld seiner Dienstherren grundlegend ändern wird. Grüne und SPD, demnächst an der Macht, haben sich im Untersuchungsausschuss des Landtags eindeutig gegen den Polizeipräsidenten ausgesprochen. Er weiß, dass ihm das Amt unter einem SPD-Innenminister genommen werden würde.

"Muss ich das ertragen?", fragt er sich. Vielleicht hätte es im Innenministerium eine reizvolle Aufgabe gegeben. Reizvoller als der Posten, den sein sendungsbewusster Vorvorgänger Volker Haas 1999 nach seiner Amtsenthebung bekleiden musste. Doch Stumpf entscheidet sich für den Rückzug. Er ist der erste Polizeivollzugsbeamte im Land gewesen, der Polizeipräsident wurde - und der zweite Stuttgarter Präsident, der vorzeitig geht.

Stumpfs persönliche Tragik ist es, dass er ausgerechnet an seiner größten Stärke scheitert - dem Führen von Polizeieinsätzen. Profilieren konnte er sich 1999, als er bei den Kurden-Protesten die Besetzung des griechischen Generalkonsulats in Stuttgart beendete und später Ministerpräsident Erwin Teufel vor einem Fernsehauftritt mit einem PKK-Aktivisten bewahrte. Stumpf stieg auf: 1997 Stuttgarter Schutzpolizeichef, 1999 Leiter Polizeiliche Aufgaben, 2003 Chef der Polizeidirektion Reutlingen.

Dort hätte er es ruhig haben können, hätte als Vollzugsbeamter im Oktober 2010 in Ruhestand gehen können. Doch Stuttgart rief, weil man hier einen brauchte - und er kam: 2004 als Landeskriminaldirektor im Innenministerium, 2006 als Polizeipräsident. Nun geht er, still, an einem Tag, an dem der neue grün-rote Koalitionsvertrag die Schlagzeilen beherrscht.