Das Aus für den Küchenhersteller Alno AG ist besiegelt Foto: dpa

Der Pfullendorfer Küchenhersteller Alno wird abgewickelt. Ein Fall, der auch ein Stück Gesellschaftsgeschichte beschreibt, kommentiert „Stuttgarter Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer

Stuttgart - Die Zahlen sind hart, die mit ihnen verbundenen Schicksale kaum zu ermessen. 2400 Mitarbeiter zählte der Küchenhersteller Alno noch vor wenigen Jahren. Seit Juli können von den letzten 670 Mitarbeitern 400 nicht mehr bezahlt werden. Und seit Donnerstag ist klar: Sie werden nicht zurückkehren können. Ein Käufer für das insolvente Pfullendorfer Unternehmen konnte nicht gefunden werden, Alno stellt den Betrieb endgültig ein.

Keine Rückkehr in Aussicht

Wieder verschwindet ein Traditionsunternehmen, wieder verbindet sich mit dem durch den Börsengang 1995 erhofften Aufstieg und dem realen Abstieg ein Stück Wirtschafts- und Industriegeschichte auf offener Bühne. Doch anders etwa als bei dem Göppinger Modelleisenbahnhersteller Märklin wird es für Alno wohl keine Rückkehr geben.

Niedergang spiegelt Kulturgeschichte

Die Entwicklung der Alno AG ist jedoch mehr als ein Stück Wirtschaftsgeschichte. Sie spiegelt auch Kulturgeschichte. Die Produkte stehen für obere Mittelklasse. Gibt es aber jenen oberen Mittelstand noch, den das Unternehmen als Käufergruppe unterstellt? Längst zeigt ja das wirtschaftliche Auseinanderfallen der Gesellschaft auch hier Wirkung – und provoziert entsprechende Markenprägungen.

Marke nicht klar positioniert

„Seit wir Menschen gemeinsam kochen und essen, wurden stets neue Ideen entwickelt, um die Küche zu einem Lebensraum zu machen, der alle Sinne anspricht“, schreibt die Alno AG. Stimmt. Wer aber eine Küche zum Kochen braucht, sucht schnell realisierbare, praktische Lösungen. Und wer eine Küche als Wohnlandschaft sucht, erwartet über die Marke eine Bestätigung seiner eigenen gesellschaftlichen Positionierung.

Wollen wir Käufer zu viel?

Wollen wir Käufer vielleicht schlicht zu viel? Überfordern wir mit unserem Dauerfeuer an Erwartungen einer immer feineren Produktdifferenzierung die Unternehmen? Und – beschreiben wir Medienschaffende wirklich nur eine Entwicklung, wenn wir Sätze wie diese transportieren: „Die vierte industrielle Revolution kommt ins Rollen. In den großen Industrienationen steigt der Optimismus, durch digitale Transformation das Wachstum anzuregen. Unternehmer erwarten Umsatzplus von mehr als zehn Prozent“?

Wir wollen beides: Höchstgeschwindigkeit und Handarbeit

Industrie 4.0 – das ist längst selbst eine Marke. Eine Dachmarke. Ihre weltweiten Entwickler wissen: Mit ihrem Tempo schaffen sie zugleich Raum für die Sehnsucht nach Entschleunigung, nach bekannter Verlässlichkeit. Und so kennt die aktuelle Gründereuphorie beides – die digitale Höchstgeschwindigkeit und das Ideal der Handarbeit und der regionalen Verwurzelung. Wir hoffen über die Offenlegung unserer Genstruktur im Krankheitsfall wirksamere Medikamentierungen zu erreichen und genießen zugleich die Bierinnovation einer Kleinstbrauerei.

Firmenmuseen stiften Identität

Buchstäblich genüsslich also pflegen wir unsere Widersprüchlichkeiten – und schreiben damit Kulturgeschichte. Auch wer heute den Internethandel beflügelt, verknüpft seine eigene Geschichte nur zu gerne mit historischer Rückversicherung, mit Produktgeschichte und ihren Geschichten. Folgerichtig haben die Firmenmuseen und Ausstellungen zur sich mit Unternehmensgeschichte verbindenden Landesgeschichte herausragende Besucherzahlen.

Mangel an Rückversicherung?

Ist der Küchenhersteller Alno vielleicht auch an einem Mangel an Rückversicherung gescheitert? Und an unserer Erwartung, Produktentwicklung als Teil identitätsstiftender Kulturgeschichte erleben zu können? Man muss es wohl so sehen.