Zwei Stunden lang ist Martin Winterkorn von den Abgeordneten vernommen worden. Foto: dpa

Die erste öffentliche Vernehmung des früheren Volkswagen-Chefs zur Diesel-Affäre wirft viele neue Fragen auf. Was zum Beispiel hat er schon am Rande des Genfer Autosalons im März 2015 erfahren?

Berlin - Das Klicken der Kameras will nicht enden. Die Sitzung des Untersuchungsausschusses, der die VW-Abgasaffäre und die Verwicklung der Politik darin aufklären soll, ist eigens in den größten Anhörungssaal verlegt worden, um den Ansturm auf die Zuschauer- und Pressetribüne zu bewältigen. Erstmals wird Martin Winterkorn öffentlich zum wohl größten Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte vernommen. Er nimmt nun in Raum 3101 des Marie-Elisabeth-Lüders-Hauses Platz, hinter dessen hoher Glasfront direkt die Spree vorbeifließt.

Der 69-jährige Schwabe weiß um die Bedeutung des Augenblicks, dass alle Augen auf ihn gerichtet sind. In dem ihm zustehenden Eingangsstatement gibt er sich reumütig und entschuldigt sich bei den Millionen geprellter Kunden: „Das Undenkbare ist geschehen.“ Der Ingenieur Winterkorn, über die Max-Planck-Gesellschaft in Stuttgart, Bosch und Audi auf dem Chefsessel des weltgrößten Autobauers gelandet, schildert seine „Liebe zum Detail“ und sein stetes Bemühen um „das beste Produkt“. Angesichts der am 18. September 2015 ans Licht gekommenen Betrugssoftware zur Einhaltung vorgeschriebener Abgaswerte müsse das, fügt Winterkorn hinzu, „in Ihren Ohren wie Hohn klingen“. Er habe zwar mit seinem Rücktritt fünf Tage später „politische Verantwortung“ übernommen für den Skandal, dessen endgültiges Ausmaß selbst der frühere Chef „bis heute nicht vollständig absehbar“ hält – gewusst habe er selbst davon jedoch nichts.

Kultur der Kritik

Umfangreich schildert Martin Winterkorn, dass Schwierigkeiten dieser Größenordnung normalerweise auf seinem Tisch landeten – wie damals, als ein neuer VW Polo die in den Niederlanden maximal zulässigen 82 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer nicht schaffte und er, Winterkorn, die weitere Entwicklung stoppte. Er sieht das als Beispiel dafür, dass es bei Volkswagen durchaus eine Kultur der Kritik gab und „kein Schreckensregime“, wie das zuweilen berichtet wird: „Niemals hatte ich den Eindruck, dass man sich scheute, ein klares Wort an mich zu richten.“ Deshalb ist es seiner Ansicht nach auch „nicht zu verstehen, warum ich nicht frühzeitig über die US-Probleme aufgeklärt worden bin.“

Zwei Stunden lang wird der Zeuge vernommen. Am Ende jedoch wird Herbert Behrens von der Linkspartei als Ausschussvorsitzender sagen, dass Winterkorn viel geredet, aber wenig gesagt habe. Teilweise war das natürlich erwartet worden, weil die Staatsanwaltschaft Braunschweig parallel gegen ihn ermittelt und er Antworten verweigern durfte, die ihn in seinem Strafverfahren zusätzlich belastet hätten. Angesichts dessen, was er gehört hat, ist der CDU-Ausschussobmann Ulrich Lange jedoch noch misstrauischer geworden, was Winterkorns Behauptung angeht, vor September 2015 von nichts gewusst zu haben: „Das Fragezeichen ist riesengroß.“

Zu tun hat das vor allem mit einem Gespräch zwischen dem VW-Vorstandsvorsitzenden und dem Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch am Rande des Genfer Autosalons im März 2015. Winterkorn bestreitet vor dem Ausschuss nicht, dass es stattgefunden hat und Thema der Unterredung eine Rückrufaktion von VW-Fahrzeugen in den USA gewesen sei, um „in Abstimmung mit den Behörden“ mittels der Motorsteuerungssoftware die Abgaswerte bei Dieseln zu verbessern. Das jedoch heißt, dass VW zu diesem Zeitpunkt schon zum Handeln gezwungen wurde, von den US-Behörden quasi noch eine Chance eingeräumt bekam. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Kirsten Lühmann verweist auf Erkenntnisse der US-Bundespolizei FBI von voriger Woche , die darauf hindeuteten, dass „VW daraufhin die Software nur an anderer Stelle versteckt“ habe – und dann eben im September vollends aufgeflogen. Sollte Winterkorn die näheren Hintergründe der Rückrufaktion tatsächlich nicht gekannt haben, dann, so Lühmann, „stellt sich die Frage: Warum hat er nicht danach gefragt?“

Lückenlose Aufklärung

„Lückenlose Aufklärung war und ist das Gebot der Stunde“, hat Winterkorn zu Beginn der Vernehmung gesagt, im U-Ausschuss jedoch wenig dazu beigetragen. Vor allem mit einer Aussage hat er seine eigene Glaubwürdigkeit dem Linken Behrens zufolge „etwas erschüttert“. Dass nämlich der Boss eines global agierenden Fahrzeugherstellers vor September 2015 noch nie von einem „defeat device“ gehört haben will, obwohl das englische Wort für die besagten Abschalteinrichtungen ausdrücklich in der entsprechenden EU-Verordnung auftaucht, um Missbrauch zu verhindern, erscheint nicht unbedingt sehr wahrscheinlich. „Das Bild vom technikversessenen Topmanager, das Winterkorn zu Beginn zu zeichnen versucht hat“, so das grüne Ausschussmitlied Oliver Krischer, „hat Kratzer bekommen.“ So wie das Image von VW.