„Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“: Konstantin Wecker, hier bei einem Auftritt im vergangenen Jahr in Leonberg Foto: factum/Bach

Der Münchner Liedermacher Konstantin Wecker kommt zum Gedenken an den 8. Mai 1945 in die Friedenskirche. Im Interview spricht er über seine Verzweiflung, dass das Militär weltweit aufgerüstet wird – und über seine großen Hoffnungen in die Jugend.

Stuttgart - An diesem Montag (20 Uhr) tritt der Liedermacher Konstantin Wecker mit anderen Künstlern und Rednern wie dem Journalisten Franz Alt bei der Gedenkfeier zum 8. Mai in Stuttgart in der Friedenskirche auf.

Herr Wecker, wenn es um unsere Geschichte geht, hört man oft genug aus der konservativen Ecke, man solle die Vergangenheit ruhen lassen. Am 1. Juni werden Sie 70, der Zweite Weltkrieg ging vor 72 Jahren zu Ende. Kommt Ihnen diese Zeitspanne mit Blick auf das eigene Leben nicht eher kurz vor?
Ich denke, man muss die verschiedenen Perspektiven bei der Auseinandersetzung mit der Geschichte sehen. Historisch betrachte ich als Pazifist die mehr als 70 Jahre, in denen wir keinen Krieg im eigenen Land hatten, als eine lange Zeit. Ein junger Mensch aus Syrien allerdings, der den Krieg erlebt hat und traumatisiert wurde, wird mit meinen pazifistischen Gedanken nichts anfangen können. Diesem Menschen zu begegnen ist für uns, die vom Krieg bisher verschont geblieben sind, eine große Chance zu begreifen, dass wir hier in diesem Land nie aufhören dürfen, an den Krieg und an den Holocaust zu denken.
Ist der 8. Mai bei uns noch angemessen im öffentlichen Bewusstsein? Regelmäßig wird Erinnerungskultur damit abgetan, sie sei etwas für Ewiggestrige.
Der Ewiggestrige ist eine feige Einlassung derer, die in Wahrheit selbst mit reaktionärem, mit gestrigem Gedankengut sympathisieren. Es gibt kein einziges Argument dafür, die Gräueltaten der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu vergessen. Wir sind verpflichtet, sie uns ständig ins Gedächtnis zu rufen. Der 8. Mai ist leider nicht mehr im politischen Bewusstsein. Die Remilitarisierung bei uns lässt mich am Verstand der Menschen zweifeln. Wenn ich höre, dass die Waffenfirma Heckler & Koch gerade ein Werk in den USA aufbaut und deshalb die Champagnerkorken knallen, dann packt mich die Wut. Wie kann man denn so unglaublich blöd und skrupellos sein, aus den vielen Millionen Toten in zwei Weltkriegen überhaupt nichts zu lernen. Es muss doch klar sein, dass wir heute von einem Krieg bedroht sind, der die Ausmaße aller bisherigen Kriege sprengen würde.
In welchem Zustand ist die Friedensbewegung, die in den achtziger Jahren bei uns Hunderttausende Menschen auf die Straßen gebracht hat?
In einem traurigen – und das muss sich schleunigst ändern. Man muss ja nicht mal besonders helle sein, um zu begreifen, dass der Kapitalismus an Kriegen profitiert. Der Neoliberalismus allerdings hat in der Vergangenheit sehr viele gute Tricks entwickelt, um jungen Menschen einzutrichtern, dass Proteste gegen den Krieg mit allen ihren Erscheinungsformen nicht sexy seien. Als sexy galten bald darauf teure Markenklamotten und Konsum generell. Diese Werbetricks funktionieren bis in die Gegenwart.
Haben Sie eine Hoffnung, das Bewusstsein könnte sich ändern?
Ja, die sehe ich sogar bei sehr jungen Leuten, bei 15-, 16-Jährigen, denen ich in Schulen begegne. Die sind nämlich keineswegs so luschig, wie viele denken, sondern durchaus bereit, sich zu wehren und etwas zu tun. Sie müssen dafür nur den gemeinschaftlichen Spaßfaktor bei Aktionen erkennen und spüren. Ich bin ja ein Zeitzeuge der Achtundsechziger und weiß, dass es keinen Sinn hat, mit verbittertem Gesicht auf Demos herumzulaufen. Es mag etwas lustig klingen, aber so ist es nun mal: Mit Lustfeindlichkeit und Humorlosigkeit macht man keine Revolution.