Hat sein Gebiet fest im Blick: der Bahnhofspate Konrad Kehl am Bahnhofsplatz in Bietigheim-Bissingen. Foto: factum/Granville

Der Bietigheimer Bahnhof ist der größte im Landkreis. Sein Vorplatz ist damit auch Sammelbecken für alles, was die Züge anspülen: Vandalismus, Alkoholkonsum, Drogenhandel.

Bietigheim-Bissingen -

Für Konrad Kehl reicht ein Blick über den Platz, um zu wissen, was los ist: „Hier ist Chaos“, sagt der raubeinige Rentner. Ohne diese kritische Einstellung im Hinblick auf Sauberkeit und Ordnung hätte der 75-Jährige wohl auch eine falsche Aufgabe: Kehl ist seit zehn Jahren der Bahnhofspate für den Bahnhof Bietigheim und dessen Vorplatz und damit dafür verantwortlich, dass hier alles vorzeigbar aussieht und auch so bleibt.

Das sei nicht einfach, findet Kehl. Derzeit wird der Bahnhof modernisiert: höhere Bahnsteige, mehr Aufzüge, blindengerechtere Treppen und Leitsysteme auf dem Bahnsteig. Und die Bahn stellte neue gläserne Wetterhäuschen auf. „Die waren nach ein paar Tagen wieder zerdeppert“, klagt Kehl.

Mit einem Baseballschläger Autos demoliert

Vandalismus sei ein großes Problem rund um den Bahnhof. Regelmäßig würden die Scheiben einer Kneipe direkt am Bahnhof mit Bierflaschen eingeworfen. „Ich kehre dann am Morgen wenigstens die Scherben weg, damit sich niemand verletzt“, sagt Kehl. Und das Parkhaus am Bahnhof sei auch beliebter Treff für Jugendliche. Vor einem Jahr habe ein 16-Jähriger mit einem Baseballschläger dort mehrere Autos demoliert.

Ob er manchmal Angst habe, sich mit den Vandalen auseinanderzusetzen? „Ach was, ich komme gut mit den Leuten klar“, sagt er. „Wenn du vernünftig mit denen redest, geht alles.“ Zwar habe ihn die Deutsche Bahn auch schon gewarnt, er solle vorsichtig sein im Umgang mit der Problemklientel. Aber bedroht worden sei er nie.

Inzwischen hat Kehl Hausrecht

Als er das Ehrenamt antrat, hatte Kehl aber noch keine Sanktionsmöglichkeiten. Da gab ihm die Bahn das Hausrecht. Seitdem kann Kehl Personen des Bahnhofs verweisen und mit Hilfe der Polizei sogar ein Hausverbot aussprechen. „Das habe ich jedoch bisher nur einmal machen müssen. Der betreffende Herr darf sich jetzt immer nur maximal sieben Minuten vor Ankunft seines Zuges am Bahnhof aufhalten“, erzählt er.

Insgesamt gibt sich der Rentner aber keiner Illusion hin: „Der Vandalismus ist da, und den kannst du auch nicht aufhalten“, sagt er. Das sei aber an jedem Bahnhof so.

Besonders einladend sieht er ja nicht aus, der Bahnhof mit seinem Vorplatz in Bietigheim. Aber welcher Bahnhof kann das schon von sich behaupten? Architektonisch immerhin öffnet sich der Vorplatz für den Pendler, wenn er aus dem Bahnhofsgebäude herauskommt. Der halbkreisförmige Platz wird eingerahmt von Gebäuden mit konkav geformten Außenwänden. Darin sind Reisebüros, Busunternehmen oder eben Bahnhofskneipen – im Grunde also alles Orte, um dem Alltag zu entfliehen.

„Rostiges Glump“ in der Mitte

In der Mitte des Platzes steht eine mächtige Stahlskulptur des Bildhauers Reinhard Scherer. Das tonnenschwere Werk mit dem Titel „Tor zur Stadt“ soll den Bahnhof symbolisch als Eingang zur Stadt kennzeichnen. Ein geschwungenes Stahlteil greift den halbkreisförmigen Platz auf, andere Teile zeichnen die Blick- und Bewegungsachsen der Menschen nach. Der Rost greift das Thema Vergänglichkeit auf und stellt einen Bezug zu den Schienen der Züge her. Soweit der Ausflug in die Stilkritik der Hochkultur. Viele Bietigheimer empfinden das 1991 aufgestellte Werk bis heute jedoch einfach als ein „rostiges Glump“.

Auch Konrad Kehl ist kein Fan der abstrakten Stahlskulptur. Seinen Bahnhof mag er trotzdem. So entfernt er beispielsweise auch ehrenamtlich alle Graffiti, die manch nächtlicher Sprayer an den Wänden rund um den Bahnhof hinterlässt. „Die muss man immer so schnell wie möglich wegmachen, das schockiert die Leute besonders“, erzählt Kehl. Er ist Mitglied im Verein Saubere Stadt, der es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, alle Graffiti aus dem Stadtbild zu tilgen – und damit recht erfolgreich ist

Der Drogenumschlagplatz wurde größer

Ein weiteres typisches Bahnhofsproblem ist die Drogenszene. Kehl hat hier schon viele Fixer kommen und gehen sehen. „Zwei von den ganz Schlimmen gibt’s nicht mehr, die haben sich totgespritzt“, erzählt er. Früher, als Kehl auch noch zuständig für die Sauberhaltung der Bahnhofstoiletten war, hat er quasi live mitbekommen, wie sich die Heroinabhängigen hier ihren Schuss setzten.

„Wenn einer von denen auf die Toilette gegangen ist, wusstest du genau: Der spritzt sich jetzt“, sagt er. Während man bei der Stadtverwaltung beteuert, das Problem sei „nicht dramatisch“, findet Kehl, die Bedeutung des Bietigheimer Bahnhofs als Drogenumschlagplatz habe in den vergangenen Jahren zugenommen: „Das hier ist das Tor nach Heilbronn. Dorthin fahren viele, um sich ihren Stoff zu organisieren.“

Blieben noch die Fragen, warum sich Konrad Kehl das alles tagtäglich antut und wie lange er das alles noch machen will. Seine Antwort fällt knapp aus: „Schon noch eine Weile. Ich bin nicht der Typ für Rente.“

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