Wo heute die Eisenbahner-Hochhäuser im Stuttgarter Norden stehen, war einst der Galgenbuckel. Hier wurde am 4. Februar 1738 der Finanzrat von Herzog Karl Alexander gehenkt Foto: AKG

Ein katholischer Regent, ein jüdischer Finanzexperte und eine protestantische Bevölkerung: Das ist das Spannungsfeld, in dem 1738 das Drama um Joseph Süß Oppenheimer, den Finanzrat von Herzog Karl Alexander, ein böses Ende findet. Nach Spuren Oppenheimers suchte der Stuttgarter Künstler Harry Walter am Ort, wo einst der Stuttgarter Galgen stand.

Die Geschichte

Sein Beruf: Finanzexperte. Sein Spezialgebiet: verschuldeten Adligen, denen die Banken den Geldhahn abgedreht hatten, Kredite zu gewähren. Als Bürger jüdischen Glaubens war es dem 1698 in Heidelberg geborenen Joseph Süß Oppenheimer verboten, Land zu besitzen oder Mitglied in einer Zunft zu sein. So blieb dem Sohn einer Kaufmannsfamilie nur das Geschäft mit dem Geld; als Privatfinanzier machte er eine steile Karriere. Auf Oppenheimers Fähigkeiten baute auch Karl Alexander, als er 1733 Herzog von Württemberg wurde: Er machte Oppenheimer zu seinem Geheimen Finanzrat und räumte ihm enormen Handlungsspielraum ein, den dieser für Neuerungen nutzte wie die Besteuerung von Beamtenbezügen, Gebühren für Handelsrechte oder die Gründung der ersten Bank Württembergs, die er selbst betrieb. Der Herzog entschied, ohne die Landstände zu hören. Und so resultierten aus der Staatssanierung und Oppenheimers wachsendem Wohlstand Neid und antijüdischer Hass, die beim plötzlichen Tod Karl Alexanders in der Verhaftung seines Finanzrats noch am selben Tag gipfelten.

Die Spuren

In Degerloch, an der Oberen Weinsteige, hält sich seit 1837 die Villa Taubenheim. Ebenso hält sich ein Gerücht: Deren Brüstung sei partiell aus Käfigstangen geschmiedet worden, die einst Joseph Süß Oppenheimer umgaben. Diesen strangulierte die württembergische Justiz fast hundert Jahre zuvor, 1738. Seinen Kadaver ließ man im roten Käfig über dem Galgenbuckel baumeln. Zur Abschreckung. Sechs Jahre lang. Besteigt man den ehemaligen Berg der Bestrafung über der heutigen Wolframstraße, fröstelt nur, wer Baustellen fürchtet. Keine Fährte mehr einstiger Exekutionen, heute hängen hier höchstens Hemden: Die vier Conradi-Hochhäuser umrahmen eine Waschküche, die in etwa dort steht, wo Oppenheimer zur Schau gestellt wurde. In einem dieser nach ihrem Architekten Helmuth Conradi benannten Türme wuchs Harry Walter auf. Der Autor und Kunstorganisator kennt die Gegend. „Wo geht’s zum Supermarkt?“, fragt ein Passant, Harry Walter lotst ihn zielsicher. Gemeinsam mit dem Künstlerpaar Stephan Köperl und Sylvia Winkler ruft er seit vergangenem Jahr diesen Ort mittels Veranstaltungen ins Gedächtnis der Stuttgarter zurück. Am Mittwoch stand Joseph Süß Oppenheimer im Fokus einer solchen, die Besucher fanden sich vor der Waschküche ein.

Neben den Waschzeiten (Montag bis Donnerstag, 8 bis 16 Uhr) hängen im Inneren Abbildungen und Texte zu Prozess und Leben Oppenheimers. Zur Veranschaulichung der Beziehung zwischen Herzog und seinem Geheimrat spielten die Akteure Karsten Spitzer und Daniel Bayer, während Regisseur Jürgen von Bülow aus dem Drehbuch las. Dem tragischen Schicksal zum Trotz lacht man hier ab und an: „Die Porzellanmanufaktur in Ludwigsburg – völlig unrentabel“, klagt Spitzer als Finanzberater Oppenheimer, aus dem Publikum vernimmt man „Immer noch so!“ Doch das Leben des erst erfolgreichen Herzogsfreundes verkompliziert sich: „Wenn ich weiterarbeiten soll, brauche ich eine Leibwache“, erklärt Oppenheimer. Er war Jude, sein Herzog katholisch, das Volk protestantisch – ein Pulverfass. Hass und Neid schlugen ihm entgegen, zu seiner Hinrichtung kamen angeblich 12 000 Schaulustige. Das eng an Fakten orientierte Historiendrama aus der Feder des Autors Dieter Fuchs blieb bislang unverfilmt.

Die Kunst

Karsten Michael Drohsel eröffnete das Joseph-Süß-Oppenheimer-Archiv. Die „sichtbaren und unsichtbaren Spuren“ sammle er. Für jeden Hinweis hämmert er ein Loch in eine Plexiglasscheibe, bis sich diese Punkte zu Buchstaben entwickeln und irgendwann als Eingangsschild „Joseph Süß Oppenheimer-Archiv“ verkünden. Folglich werde er hier immer wieder auftauchen und rumstromern, sich mit Anwohnern unterhalten, um Informationen über Oppenheimer, aber auch über Galgenbuckel und Waschküche zu erhalten. Ganz im Sinne der Veranstalter also, die ja nicht nur den Gehängten, sondern auch den Ort hervorheben möchten.

Wenn’s um Stuttgarter Gegenden, Winkel und Ecken geht, bleibt einer nicht fern: Joe Bauer, Kolumnist unserer Zeitung, kam dem Henken am nächsten, ließ Köpfe der mächtigen Stadtsteuerer rollen: Politiker, Investoren, „Marketingfritzen“. Verbal, versteht sich. Nicht rein zufällig stünde vor Ort wohl eine Waschküche: „Vermutlich hat es mit dem Gewissen, den weißen Westen zu tun“, spekulierte er in seiner Rede. Auch die Großmannssucht sei fehl am Platze, die das ums Eck entstehende Europa-Viertel ausdrücke, von Bauer unlängst „Quartier Crétin“ getauft. Und dann gibt es da noch den Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz im Herzen der Stadt: „Mit feinem Gespür für die Historie haben die Stadtgestalter 1998 die Tiefgarageneinfahrt an der Rückseite von Karstadt gewählt.“

Zum Abschluss der Veranstaltung nahm Harry Walter die Gäste mit auf eine Hochhausfeuertreppe, um in etwa auf die Höhe zu gelangen, auf der Oppenheimer einst hing. Nur von dort aus konnte man es sehen: Die Initialen „JSO“ hat man groß aufs Waschküchendach geschrieben. Vergangenheitsbetrachtung bleibt eine Frage der Perspektive.