Computerprogramme nach Fehlern zu durchforsten ist der perfekte Job für Autisten. Foto: dpa

Autisten erkennen im Datendschungel mühelos Unregelmäßigkeiten. Computerprogramme nach Fehlern zu durchforsten ist der perfekte Job für sie. Davon sollen künftig auch Firmen rund um Stuttgart profitieren. Die Personalgewinnung ist jedoch aufwendig.

Autisten erkennen im Datendschungel mühelos Unregelmäßigkeiten. Computerprogramme nach Fehlern zu durchforsten ist der perfekte Job für sie. Davon sollen künftig auch Firmen rund um Stuttgart profitieren. Die Personalgewinnung ist jedoch aufwendig.

Stuttgart - Denken Sie sich einen Tannenzweig. Die meisten Menschen sehen einen grünen Tannenzweig. Peter Brack (30) sieht einen braunen Stängel und viele einzelne grüne Nadeln. Brack ist Autist. Autismus gilt als tiefgreifende Entwicklungsstörung. Autisten leben in ihrer eigenen Welt und meiden Mitmenschen. Brack leidet an der leichten Form, am Asperger-Syndrom. Die Diagnose bekam er als Kind. Seine Störung merkt man ihm aber kaum an. Brack passt sich an, will nicht mehr negativ auffallen. Als Schüler hatte er es schwer. „Ich habe mich abgesondert und war der klassische Außenseiter. Die anderen haben auf mirherumgehackt.“ Der 30-Jährige hat hart an sich gearbeitet und sich am Riemen gerissen. „Das habe ich bewältigt. Meine Familie hat mir dabei geholfen, aber auch eine Therapie.“ Brack ist stolz auf sich.

Geblieben sind seine außergewöhnlichen Fähigkeiten. Die Mustererkennung zum Beispiel. In Datenstrukturen und Systemen erkennt Brack mühelos Unregelmäßigkeiten. Sie springen ihm förmlich ins Auge. „Ich habe eine sehr gute Beobachtungsgabe und eine sehr hohe Auffassungsgabe bei technischen Dingen“, sagt Brack. Er liebt Computer ebenso wie Programmieren und hat zwei technische Ausbildungen abgeschlossen. Beim Chiphersteller Infineon setzt er seit fast einem Jahr seine Talente ein. Derzeit testet er ein Programm auf Fehler. Zuvor hat er das Intranet auf tote Links abgesucht.

Fähigkeiten wie die von Peter Brack schätzt die Wirtschaft, wenn auch zögerlich. Nicht zuletzt dank Auticon. Die IT-Firma mit Sitz in Berlin war 2011 die erste in Deutschland, die nur Asperger-Autisten als Berater im IT-Bereich beschäftigt. Diese Spezialisten, bei denen Asperger diagnostiziert sein muss, arbeiten in Firmen in der Qualitätssicherung. Etwa bei Infineon. Zu Auticons weiteren Kunden zählen die Telekommunikationsunternehmen Telekom und Vodafone, der Elektronikkonzern Rohde und Schwarz, die Bayerische Landesbank. Auticon hat an fünf Standorten 42 Mitarbeiter, darunter 27 Autisten. Im Herbst kommt die Firma auch nach Hamburg. Auticon ist eine gewinnorientierte GmbH. Die Mitarbeiter bekommen das gleiche Gehalt wie andere in der Branche auch.

Fehlersuche nach zwei Tagen beendet – drei Wochen waren eingeplant

Seit April gibt es den Standort Stuttgart. Im Colorado-Tower in Vaihingen läuft die Personalgewinnung auf Hochtouren. 15 Autisten haben sich bereits vorgestellt. Künftig sollen zehn beschäftigt sein. Standortleiter Michael Achatz will sie bei den Maschinenbauern, Autobauern oder Zulieferern einsetzen. Erste Kontakte seien geknüpft.

Bestenfalls durchforsten die Autisten dann auch in Südwest-Firmen die sogenannten Quellcodes von Computerprogrammen – endlose Reihen aus Zeichen, Zahlen und Buchstaben. Achatz sagt, dass Autisten sich stundenlang auf die eigentlich mühsame und anstrengende Fehlersuche konzentrieren können. Am liebsten ununterbrochen, bis ihre Suche abgeschlossen ist. Achatz berichtet von einem Autisten, der seine Suche nach zwei Tagen beendet hatte. Die Firma plante zwei bis drei Wochen ein.

Am Empfang im Colorado-Tower warten zwei Bewerber. Sie sind 15 Minuten zu früh dran. Gekleidet sind sie unauffällig. Achatz trifft sie zusammen mit der Job-Coachin Birgit Weiß. Solche Trainer sind an jedem Standort die Schnittstelle zwischen Mitarbeitern und Kunden. Sie bereiten beide Seiten aufeinander vor. „Wir stellen sicher, dass der Mitarbeiter sich in der Firma, in der er eingesetzt wird, wohlfühlt. Bei den Unternehmen schaffen wir die Voraussetzungen dafür. Wir weisen die Teams intensiv ein“, sagt Weiß. Autisten reagieren etwa empfindlich auf Licht und Lärm. „Zudem brauchen sie klare Anweisungen.“ Floskeln, Ironie und Sarkasmus verstehen sie nicht.

Zunächst werden die Bewerber auf Herz und Nieren geprüft. Eine Ausbildung im IT-Bereich ist kein Muss, sagt Achatz, wichtig ist die Leidenschaft für IT. Laut Experten lieben etwa 15 Prozent der Asperger-Autisten Computer. Die gilt es zu finden. Denn nur dann können Firmen diese Spezialinteressen optimal nutzen. „Die Bewerbungsphase dauert länger als gewöhnlich“, sagt Achatz. Innerhalb von zwei bis drei Monaten gibt es für dieBewerber drei Termine.

Der erste ist eine Art Vorstellungsgespräch. Auticon nennt es Informationsgespräch. Man lernt sich kennen. „Autisten haben einen hohen Anspruch an sich. Im Bewerbungsgespräch sagen sie, was sie nicht können. Sie antworten immer ehrlich“, sagt Weiß. Auch im Fragebogen, in dem sie vorab ihre IT-Kenntnisse bewerten. Nicht lügen zu können verschafft Autisten in anderen Unternehmen schon beim Vorstellungsgespräch Nachteile.

Firmen feuern Autisten in der Probezeit

Dabei glänzt die Biografie. Auf denersten Blick zumindest. Autisten haben nicht selten mehrere Ausbildungen oder Studiengänge abgeschlossen. Doktortitel inklusive. Trotzdem bleiben sie häufig bloß kurz in einer Firma. Job-Coachin Weiß sagt, dass Firmen, denen Bewerber ihren Autismus meist verschweigen, beeindruckt sind von den Lebensläufen. „Später merken sie, dass etwas nicht stimmt.“ Der Mitarbeiter verweigert das gemeinsame Mittagessen, Teamarbeit, schüttelt keine Hände oder stößt Kollegen vor den Kopf, weil er sagt, was er denkt. Das fassen andere als unhöflich auf. Ärger und Unsicherheiten sind programmiert. Die Firmen feuern die Autisten in der Probezeit. So hangeln sich Nanophysiker und Mathematiker von Praktikum zu Kurzanstellung oder landen im Jobcenter. Für Auticon sind deshalb Bewerber wichtig, die die Kommunikationsregeln in Firmen akzeptieren. Auticon schult das auch.

Wenige Wochen nach dem Kennenlernen folgt die Kompetenzanalyse. Die Bewerber zeigen in Tests, wie gut sie Muster erkennen, wie fit sie in Programmiersprachen sind, wie lange sie sich konzentrieren können. Die letzte Phase sind sogenannte Erprobungswochen: Zwei Wochen lang wird ein Arbeitsalltag simuliert. Die Bewerber arbeiten allein am Computer, aber auch im Team. Hinzu kommen Workshops, die sich um die richtige Kleidung oder Small Talk drehen. Autisten hassen Small Talk. Er interessiert sie nicht. Doch sie wissen um dessen Wichtigkeit. Sie legen sich ein Repertoire an Gesprächsthemen zu. Sind sie damit durch, beginnen sie von vorn. Das wirkt befremdlich.

Peter Brack ist froh, dass er die Tests bestanden hat. Und sich nicht mehr verstellen muss. So wie er es sechs Jahre bei einer Firma für Lagerlogistik tat. „Es gab immer wieder Ärger mit Kollegen. Unter Zeitdruck und Stress werde ich nervös und gereizt, bei blöden Sprüchen sogar cholerisch“, sagt Brack, der sich als introvertiert beschreibt. Bei Infineon kann er in Ruhe arbeiten, sich auch mal zurückziehen. Die Kollegen nehmen Rücksicht.

Brack arbeitet in einem Großraumbüro. Ein hoher Geräuschpegel bringt ihn nicht mehr aus der Fassung. Wird ihm der Trubel doch mal zu viel, setzt er Kopfhörer auf. Eine Viertelstunde hört Brack dann ein bestimmtes Lied. Immer und immer wieder. Er mag Musik, die zwischen den späten 1970ern und 2011 in den Charts lief. „Nur deutschen Rap und Hip-Hop nicht.“