Forensiker sichern am Montag Spuren in der Borough High Street. Foto: Getty

Während die Ermittler nach der Bluttat von London Verdächtige verhaften und Spuren sichern, entbrennt die Debatte über die Konsequenzen. Die Briten müssen sich auf eine noch engere Überwachung einstellen.

London - Der Anschlag vom Pfingstwochenende in London ist der zweite Terrorakt in Großbritannien binnen zwölf Tagen. Nach der Konzerthalle in Manchester war diesmal ein Bar- und Nachtklubviertel in der Hauptstadt, nahe der London Bridge, das Ziel – und das alles drei Tage vor den Unterhauswahlen.

Am Montag und Dienstag suchte die britische Polizei unter Hochdruck nach möglichen Komplizen und Hintermännern. Bei Razzien in den Londoner Stadtteilen Barking und Newham wurden mehr als ein Dutzend Verdächtige festgenommen, darunter mehrere Frauen. Die Terrormiliz Islamischer Staat beanspruchte den Anschlag für sich, bei dem drei Angreifer am Samstagabend sieben Menschen getötet und 48 weitere verletzt hatten, bevor sie von Polizisten erschossen wurden. Für die Ermittler sei es von „höchster Bedeutung“ herauszufinden, „ob sie mit jemandem zusammengearbeitet haben“, sagte Londons Polizeichefin Cressida Dick. Die Polizei habe in dem als Tatwerkzeug eingesetzten Lieferwagen Beweismaterial sichergestellt und werte dieses jetzt „sehr, sehr sorgfältig“ aus.

Am Sonntag waren zwölf Verdächtige festgenommen worden, einer wurde später wieder auf freien Fuß gesetzt. Weitere Festnahmen gab es am frühen Montagmorgen. Am Samstagabend waren drei Attentäter auf der London Bridge im Herzen der britischen Hauptstadt mit einem Lieferwagen in eine Menschenmenge gerast, anschließend stachen sie im angrenzenden Ausgehviertel rund um den Borough Market wahllos auf Menschen ein.

Theresa May kündigt härteres Vorgehen an

Premierministerin Theresa May kündigte nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts in London neue Antiterrormaßnahmen an, darunter ein entschlosseneres Vorgehen gegen islamistische Propaganda im Internet und härtere Strafen für Terrordelikte. Großbritanniens Umgang mit Extremismus müsse sich ändern: „Wir können und dürfen nicht so tun, als ob die Dinge so weiterlaufen können wie bisher“, betonte May. Aus aller Welt kamen Solidaritätsbekundungen. „Wir sind heute über alle Grenzen hinweg im Entsetzen und der Trauer vereint, aber genauso in der Entschiedenheit“, erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Dass sich die Londoner Polizei auf einen solchen Anschlag vorbereitet hatte, vermochte in dieser Nacht zumindest Leben zu retten. Keine zehn Minuten dauerte es offenbar vom ersten Notruf an, bis die drei Täter nach offizieller Meldung „außer Gefecht“ gesetzt waren. Niemand kritisierte die bewaffneten Beamten für die Härte ihres Durchgreifens. Nicht einmal Labour-Chef Jeremy Corbyn, der früher gelegentlich Bedenken an einer „Shoot to kill“-Politik angemeldet hatte, sah eine Alternative zu dieser Aktion. Unbehagen herrschte allerdings in London, weil die Behörden erst vor wenigen Tagen die Terroralarmstufe von Kritisch auf Ernst heruntergesetzt hatten. Das sei wohl vorschnell gewesen, meinten Kritiker am Montag besorgt. Zwar bestand, wie Premierministerin Theresa May bestätigte, kein unmittelbarer Zusammenhang mit dem Manchester-Anschlag oder dem von Westminster Bridge, aber Nachahmer stehen in diesen Wochen offenbar bereit.

20 000 Verdächtige stehen auf den Listen

Die auf ihre Abwehrerfolge der letzten Jahre stolzen Geheimdienste müssen sich gegen den Vorwurf verteidigen, es sei ihnen nicht gelungen, die jeweiligen Mörder und ihre Komplotte rechtzeitig zu identifizieren. Kürzlich erst war bekannt geworden, dass Geheimdienste und Polizei 300 aktuelle „Verschwörungen“ im Auge haben, 3000 Terrorverdächtige im Lande beobachten und auf ihren Listen 20 000 weitere Namen führen. Forderungen nach mehr Ressourcen und nach schärferen Kontrollmechanismen werden jetzt erhoben. Ein Zufall war es gewiss nicht, dass Salman Abedi in Manchester und die drei Täter von der London Bridge diesen speziellen Zeitpunkt für ihre Bluttaten wählten. Mitten in einer Wahlkampagne haben diese Anschläge Extra-Resonanz im Lande gefunden und die allgemeine Nervosität noch weiter verstärkt. Tory-Regierungschefin Theresa May, die zuletzt schwer ins Trudeln gekommen war, tritt nun erneut als zu allem entschlossene Befehlshaberin im Kampf gegen Terror auf. Sie muss sich andererseits gegen den Vorwurf verteidigen, als Innenministerin der Jahre 2010 bis 2016 die Polizeistärke deutlich heruntergefahren zu haben. Oppositionschef Corbyn wiederum hat mit eigenen Problemen zu kämpfen.

Briten stellen sich hinter Bürgermeister Khan

Nach Kräften versucht unterdessen Londons Labour-Bürgermeister Sadiq Khan, bei der Terrorabwehr mitzuwirken und Präsenz zu zeigen. Khan, selbst Moslem, ist eine wichtige Symbolfigur in der Stadt. US-Präsident Donald Trump warf ihm vor, den Anschlag zu verharmlosen, weil Khan zur Besonnenheit aufgerufen hatte – eine aus Sicht vieler Briten infame Attacke, welche die Reihen um den Bürgermeister eher schließen wird.

Für die meisten Briten freilich geht es nach dem Pfingstwochenende weniger um die große Politik als um die Frage, wie nach diesen Anschlägen die eigene Zukunft aussehen, wie das tägliche Leben weitergehen soll. Es gibt Appelle zu Solidarität, aber auch eine gewisse Resignation. Vor allem in der Hauptstadt weiß man, dass nun bald überall mehr Barrieren gebaut, mehr Kontrollen eingeführt, mehr Polizisten und Soldaten aufgeboten werden – egal wer die Wahlen gewinnt. Auch neue Überwachungsmaßnahmen sowie mehr Einschränkungen bürgerlicher Freiheiten stehen zu befürchten.

Erste, wenngleich vage Andeutungen hat Theresa May bereits gemacht. Dieser Entwicklung wird, wie es heute aussieht, Großbritannien kaum entkommen – bei allen Beteuerungen Londons und Manchesters, durch Festhalten am Alltag dem Terror trotzig die Stirn bieten zu wollen.