Claudia Beilke, Melanie Yilmaz und Bianka Horinek (von links) vor dem Atrium auf dem Hallschlag Foto: Annina Baur

Kein Fall mehr für den Kinderschutz: Im Atrium am Cannstatter Römerkastell finden Familien und Alleinerziehende individuelle und wohnortnahe Unterstützung.

Bad Cannstatt - Mit dem Jugendamt hat Melanie Yilmaz (Namen der Familie geändert) schlechte Erfahrungen gemacht. Kein Wunder, dass sie am liebsten nichts mit denen vom Amt zu tun haben möchte, als sie mit ihrem damals dreijährigen Sohn Samuel vor zehn Jahren nach Stuttgart kam. „Doch hier war alles anders als in der Stadt, in der ich zuvor lebte“, sagt die junge Mutter. Obwohl man auch hier Zweifel hatte, dass sie sich ausreichend um ihren Sprössling kümmern kann, hat Yilmaz nicht das Gefühl, bevormundet zu werden, sondern lässt sich ein auf die ambulanten Hilfen zur Erziehung. Seit zehn Jahren gibt es das Atrium am Römerkastell der Evangelischen Gesellschaft (Eva), dessen Mitarbeiter Familien unterstützen, ihre Kinder zu Hause zu erziehen. „Die Hilfen sind wohnortnah und individuell“, erklärt Bianka Horinek, Bereichsleiterin der Hilfen zur Erziehung Hallschlag/Münster.

50 bis 60 Familien und alleinerziehende Elternteile unterstützt das Team jedes Jahr, Melanie Yilmaz war eine der ersten, die sich in der im ehemaligen Badehaus untergebrachten Einrichtung helfen ließ. In Gesprächen mit der Sozialpädagogin Claudia Beilke kristallisierte sich heraus, wo die Probleme lagen: „Es fing bei den Finanzen an“, berichtet Beilke. Melanie Yilmaz konnte Geld nicht einteilen, machte Schulden. Doch der jungen Mutter war bewusst, dass es so nicht weitergehen kann: „Auf ihren Wunsch verwalteten wir ihre Einkünfte auf einem Eigengeldkonto und zahlten ihr wöchentlich einen Betrag aus, von dem sie innerhalb von fünf Jahren sogar ihre Schulden beglich“, so die Sozialpädagogin.

Rückschläge und Erfolgserlebnisse

Doch das war nicht das einzige Problem: Melanie Yilmaz konnte nicht loslassen. Sie kutschierte den vierjährigen Samuel im Kinderwagen herum und wickelte ihn – lernte jedoch mithilfe der Mitarbeiter des Atriums, ihn selbstständig werden zu lassen. Und nicht zuletzt arbeitete Beilke mit ihrem Schützling an der Interaktion: „Melanie Yilmaz geriet schnell unter Stress, schrie dann ihren verängstigten Sohn an“, berichtet Beilke. Mithilfe der Video-Interventionstherapie, bei der die Pädagogin Mutter und Kind etwa beim Spielen aufzeichnete, lernte sie, welches Verhalten gut und welches wenig förderlich für die gesunde Entwicklung Samuels ist. „Manchmal war es erschreckend, sich selbst zu sehen. Aber mir hat es geholfen, mein Verhalten zu verändern“, sagt Yilmaz heute rückblickend.

Rückschläge blieben nicht aus: Nach der Trennung vom Vater ihrer 2009 geborenen Tochter Jasmin fiel Melanie Yilmaz in ein Loch. Sie wurde depressiv, baute sich in einem Computerspiel eine heile Parallelwelt auf. Die Realität rückte in die Ferne, ihr Tag-Nacht-Rhythmus verschob sich. „Die ambulante Hilfe reichte nicht mehr aus“, sagt Beilke. Zunächst alleine, später mit ihren Kindern wurde die junge Mutter in einer Wohngruppe untergebracht und fing sich: „Es war immer ein Betreuer da, außerdem helfen sich die Eltern dort untereinander“, beschreibt sie die Zeit im Flattichhaus der Eva. „Die Erziehungsverantwortung bleibt dabei immer bei den Eltern“, erklärt Horinek. Und so kann Melanie Yilmaz nach sechs Monaten in ihre Wohnung zurück.

Lieber zu früh Hilfe holen als zu spät

Heute lebt sie mit ihrem 13-jährigen Sohn und ihrer siebenjährigen Tochter alleine. Sie hat die Ängste, dass ihr ihre Kinder weggenommen werden könnten, verloren. Seit Jahren ist sie kein Fall mehr für den Kinderschutz, der Teenager Samuel ist nach einer schwierigen Phase auf dem besten Weg, bald wieder die Regelschule zu besuchen. Nur ihre Tochter bereitet Melanie Yilmaz seit einiger Zeit Kopfschmerzen. Doch heute weiß sie, was zu tun ist, wenn sie es alleine nicht schafft: „Lieber zu früh als zu spät Hilfe holen.“ Wo sie welche bekommen kann, weiß sie – wie so viele andere Familien, denen das Atrium in den vergangenen Jahren geholfen hat.