In allen Lebenslagen kommt es auf die richtige Atmung an. Foto: StefanieB./Fotolia

Alternative Heilmethoden liegen im Trend. Viele Patienten vertrauen auf die Kraft sanfter Medizin. In unserer Serie stellen wir Heilmethoden und Therapien der Welt vor. Dieses Mal: die Atemtherapie.

Stuttgart - „Da machte Gott, der Herr, den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase“ (Die Bibel, Buch Genesis Kapitel 2, Vers 7).

In der Schöpfungsgeschichte ist es der göttliche Atem, der den Menschen zum Leben erweckt. Atem ist in den Weltreligionen mehr als nur der Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxid. Die Atmung markiert Anfang und Ende des Lebens. Für Buddhisten und Hinduisten ist das Atmen der Weg, um in den Kraftstrom der kosmischen Lebensenergie (Qi oder Prana) einzutauchen und das Tor zu einem höheren Bewusstsein zu öffnen.

Normalerweise nehmen Menschen ihre Atmung erst wahr, wenn sie Beschwerden haben. Die Atemtherapie hat sich zum Ziel gesetzt, den in der Regel unbewussten Vorgang bewusster zu machen: Die Atmung soll verbessert, tiefer und gleichmäßiger werden, damit sie einen heilenden Einfluss auf Körper, Seele und Geist ausüben kann.

26.000-mal pro Tag Luftholen

Das Atemzentrum, das im Gehirn lokalisiert ist, sorgt dafür, dass der Mensch bis zu 26 000-mal am Tag Luft holt. Die durchschnittliche Atemfrequenz eines Erwachsenen liegt bei 18-mal pro Minute; bei Stress kann sie auf 100 Atemzüge hochschnellen. Die natürliche Atmung, an der Zwerchfell (Bauchatmung) und Zwischenrippenmuskeln (Brustatmung) beteiligt sind, wird vom vegetativen Nervensystem gesteuert. Auch wenn dies unbewusst geschieht, kann der Mensch seine Atmung willentlich steuern.

Die meisten atmen zu flach und zu schnell. Das Einatmen ist zu kurz, das Ausatmen erfolgt unvollständig. Die Folge: Sauerstoffmangel, der zu Muskelverspannungen, Ermüdung und Schlafstörungen führt. Auch Bewegungsmangel, Haltungsfehler und Stress sind Gift.

Das macht ein Atemtherapeut

Der Therapeut versucht die Atmungsfehler in Einzel- oder Gruppentherapien zu korrigieren, spezielle Techniken einzuüben, die Muskulatur zu trainieren und Lungenreserven freizusetzen. Atemübungen sollen den Patienten sensibilisieren, da vielen nicht bewusst ist, dass sie falsch atmen.

Für Ilse Middendorf (1910-2009), eine der bekanntesten Atemtherapeuten, ist der Atem die „Stimme der Seele“. Sie versuchte den Menschen für das zu öffenen, was sie „erfahrbaren Atem“ nannte. Dabei soll er die Regeln des unbewussten Atmens kennenlernen. Grundlage ihrer Therapie ist die Sensibilisierung für die drei Phasen Einatmen - Pause - Ausatmen.

Die Atempause wird bewusst erspürt. Das Gähnen ist ein therapeutisches Mittel, um den Körper zu einer größeren Atemtiefe zu verhelfen. Es stellt das Gleichgewicht im Blut zwischen Sauerstoff und Kohlendioxid wieder her. Vor allem die ruhige, tiefe Bauchatmung wird trainiert. Beim Ausatmen soll der Patient möglichst lange einen Laut erzeugen, um die verbrauchte Luft vollständig aus den Lungen ausströmen zu lassen.

Fazit: Ganz ohne Nebenwirkungen

Die auch von Physiotherapeuten ausgeübte Atemtherapie ist indiziert bei Asthma, Kreislaufstörungen, Migräne, Rücken- und Gelenkschmerzen. Frequenz, Rhythmus und Tiefe der Atmung können dazu beitragen, das Bewusstsein zu erweitern, die Heilung zu fördern und die Leistungsfähigkeit zu stärken – ganz ohne Nebenwirkungen.

Wie jede ganzheitliche Therapie setzt auch die Atemtherapie erfahrene und geschulte Therapeuten voraus, die die Übungen kompetent und effektiv vermitteln. Alles andere ist eher kontraproduktiv.