Flüchtlinge bei ihrer Ankunft am Stuttgarter Hauptbahnhof am vergangenen Wochenende. Foto: 7aktuell/Eyb

Die Stadt Stuttgart will Flüchtlinge in Waldheimen unterbringen. Am heutigen Mittwoch, 9. September, loten dazu Sozialamtsmitarbeiter und Träger der Waldheime die Möglichkeiten aus.

Stuttgart - 90 Flüchtlinge sind allein in der Nacht zum Dienstag am Hauptbahnhof Stuttgart angekommen, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass der Flüchtlingsstrom abreißt. Dafür braucht die Stadt jetzt rasch Unterbringungsmöglichkeiten.

Wer nach geeigneten Objekten der Kirchen für Flüchtlingsunterbringung sucht, dem springen fast auf den ersten Blick die Waldheime ins Auge. „Am heutigen Mittwoch treffen sich alle Träger der Waldheime, also die Evangelische Kirche, die Katholische Kirche und die Arbeiterwohlfahrt, im Sozialamt. Dabei suchen wir nach Lösungen“, sagt Hermann Beck, Kirchenpfleger der evangelischen Gesamtkirchengemeinde Stuttgart. Von den insgesamt 30 Waldheimen sei nicht jedes geeignet: „Sie müssen verkehrstechnisch gut angebunden sein.“

Besser als Turnhallen

Die freien Wohlfahrtsträger, sagt Hermann Beck, seien offen für den Wunsch der Stadt: „Waldheime eignen sich besser als Turnhallen, denn es gibt keinen Eingriff in den Sportbetrieb von Schulen und Vereinen oder in Veranstaltungen.“ In den Waldheimen gebe es natürlich auch Gaststätten- und Seminarbetrieb, Waldheimbetrieb in den Winter- oder Osterferien, aber die Unterbringung von Flüchtlingen sei „einfach wichtiger“. Stelle man Feldbetten auf, dann brauche man gewiss nicht alle Waldheime.

Ende Juni hatte der Gemeinderat elf neue Systembauten in elf Stadtbezirken für insgesamt 2238 Flüchtlinge beschlossen. Sie sollen 2016 fertig sein. „Die qualitätsvolle Planung für die Systembauten lässt sich nicht mehr beschleunigen. Man muss jetzt andere Lösungen finden, die der gegenwärtigen Dynamik gerecht werden“, sagt Stefan Spatz, Leiter des städtischen Sozialamts. Man sei darüber mit Privatpersonen, Kirchen, Verbänden und Unternehmen im Gespräch. „Wir haben an allem Interesse, was sich eignet. Die Objekte müssen beheizbar und mit Sanitäranlagen und Kochmöglichkeiten versehen sein“, sagt Stefan Spatz.

Das Haus Martinus der Caritas in der Olgastraße 93 wollte die Stadt ursprünglich ab Oktober für die Unterbringung von Asylsuchenden nutzen. Die Flüchtlingswelle vom Wochenende macht dieser Planung möglicherweise einen Strich durch die Rechnung: Am Sonntag hat dort das Land 126 Flüchtlinge für die Erstaufnahme untergebracht und will das von Caritasmitarbeitern betreute ehemalige Altersheim auch länger als provisorische Erstaufnahmestelle nutzen. „Wir bauen jedoch darauf, dass wir das Haus ab Oktober selbst nutzen können, sind aber auf ein Signal vom Land angewiesen, wie es weitergehen kann“, sagt Sven Matis, Sprecher der Stadt.

Aufgabe der gesamten Stadtgesellschaft

Für das Land eröffnet sich derzeit eine neue Örtlichkeit, wo eine neue Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge eingerichtet werden könnte: Mitte oder Ende Oktober gibt die Firma IBM ihren gemieteten Gebäudekomplex am Herrenberger Fichtenberg auf. Die 300 Mitarbeiter für Marketing, Telefonvertrieb und Ausbildung werden an den Hauptsitz nach Ehningen abgezogen. Ob sich dies positiv auf die Verhandlungen der Stadt über das Haus Martinus auswirkt, ist ungewiss.

Zu möglichen Ersatzobjekten für das Haus Martinus will sich Sven Matis derzeit nicht äußern: „Die Unterbringung der Flüchtlinge ist Aufgabe der gesamten Stadtgesellschaft, von Verbänden, Unternehmen und Vereinen.“ Klar dabei ist, dass es auch bei befristeten Lösungen nicht nur um ein paar Tage, sondern um Wochen oder Monate geht. Wohl deshalb hat das Thema Landesmesse bei bisherigen Erwägungen keine Rolle gespielt. Auch von privater Seite würden der Stadt Objekte angeboten: „Wir prüfen, ob sie beziehbar, angemessen und bezahlbar sind. Abzocke wegen der Notsituation lassen wir nicht zu.“ Objekte, die vor Bezug saniert werden müssten, fielen unter den Tisch, denn der Bedarf bestehe jetzt.

Einwanderer engagieren sich

Auch Einwanderer aus dem Nahen Osten, die in der Landeshauptstadt leben, engagieren sich für die Flüchtlinge. „Wir haben Syrer, die Landsleute bei sich aufgenommen haben“, sagt Gari Pavkovic, Leiter der städtischen Stabsstelle für Integration. Auch landsmannschaftliche Vereine seien Anlaufstellen. Im Arbeitskreis Muslime und Integration mit Moscheegemeinden und Aleviten sei das Engagement der Vereine für Flüchtlinge seit Januar Thema. „Die Imame der überwiegend türkischen Moscheegemeinden haben Sprachbarrieren, weil sie Türkisch und Schwäbisch sprechen, aber kein Arabisch wie die meisten Flüchtlinge. Das macht die seelsorgerische Betreuung Traumatisierter fast unmöglich“, sagt Pavkovic.

Die Spendenbereitschaft der Stuttgarter Bevölkerung ist offenbar so groß, dass Caritas darum bittet, keine Sachspenden mehr zu bringen. Mit Geld könnten besondere Dinge wie Babybedarf gezielter beschafft werden.