Beim Gründungstreffen des Freundeskreises für Flüchtlinge ist eine Welle der Solidarität durchs Bezirksrathaus Foto: Sägesser

Mit dem Andrang hat die Bezirksvorsteherin Andrea Lindel nicht gerechnet: Mehr als 100 Plieninger wollen den Flüchtlingen die Ankunft im Bezirk erleichtern. Sie alle kamen zum Gründungstreffen eines Freundeskreises.

Plieningen - Sie sind zurzeit irgendwo zwischen ihrem Heimatland und Plieningen. Manche sind vielleicht sogar noch zu Hause und bereiten ihre Flucht vor. Die meisten dürften ihre gesamten Ersparnisse zusammengekratzt haben. „Es kostet etwa 24 000 US-Dollar, um zum Beispiel aus der Hölle Syrien rauszukommen“, sagt Gerhard Bock vom Sozialamt. Der Preis ist hoch, die Flucht oftmals eine Odyssee. Die Menschen, die von September an in Plieningen in zwei Behelfsbauten am Hallenbad leben werden, dürften viele schlimme und angstvolle Wochen vor sich haben.

104 Leute haben sich auf der Liste eingetragen

Was sie nicht wissen: In Plieningen haben sich am Mittwoch, 12. März, Bürger getroffen, die den circa 140 Flüchtlingen die Ankunft im Bezirk erleichtern möchten. Mehr als 100 Leute sind gekommen, um einen Freundeskreis zu gründen. Nach zwei Stunden stehen 104 Adressen auf der Liste. Eine Zahl, die die Bezirksvorsteherin Andrea Lindel sichtlich überwältigt.

Zum zweiten Mal in einem Monat ist der Sitzungssaal des Rathauses gestopft voll. Bereits Anfang Februar hat die Stadt Stuttgart die Bürger über die zwei am Hallenbad geplanten Flüchtlingsunterkünfte informiert. Damals war die Stimmung kontrovers, diesmal schwappt ausnahmslos eine Welle der Solidarität durch den Raum.

Von Handarbeit bis Willkommensfest

Sei es eine Handarbeitsgruppe für Frauen und Mädchen, sei es ein selbst gebauter Unterstand für Fahrräder und Kinderwagen, sei es ein Willkommensfest, seien es Schwimmkurse im nahen Hallenbad– so viele Menschen gekommen sind, so viele Ideen haben sie auch mitgebracht. Ariane Müller-Ressing fühlt sich an damals erinnert, als die Sillenbucher ihren Freundeskreis für Flüchtlinge gegründet haben. 22 Jahre ist das her. Was sind die Ideen aus ihnen herausgesprudelt. „Dabei haben wir vergessen, dass die Menschen erst mal ankommen müssen“, sagt Ariane Müller-Ressing. Dass es besser wäre, sie zu fragen, was sie eigentlich brauchen.

Hochtrabende Vorschläge haben das Naheliegende nämlich zunächst übertüncht. Das Naheliegende ist: Die Neuankömmlinge sprechen kein Wort Deutsch, oft nicht mal Englisch. Wenn sie das deutsche Wort für Brot kennen, trauen sie sich vermutlich eher allein zum Bäcker. Oder woher sollen sie wissen, wie sie einen Fahrschein für die Stadtbahn lösen können, wenn sie zu einer Behörde müssen?

Zunächst ist es wichtig, dass die Flüchtlinge Deutsch lernen

Es gehe um „Deutschkurse der einfachsten Art“, wie Gerhard Bock vom Sozialamt sagt. „Das ist etwas, wo Sie als Ehrenamtliche sehr schnell helfen können“, sagt er. Ähnliches gilt für die Kultur hierzulande. Viele der Menschen dürften von Deutschland vorher noch nie gehört haben, sie wissen nicht, was sich ziemt und was nicht. Tipps von Einheimischen erleichtern ihnen zweifellos die Eingewöhnung.

Die Flüchtlinge werden erstaunt sein, wie viele Freunde sie bereits haben, wenn sie in Plieningen eintreffen. Dass sie den Plieningern um den Hals fallen, ist jedoch eher ausgeschlossen. „Die Leute schämen sich in der Regel“, sagt Ariane Müller-Ressing. Sie fühlen sich als Versager, die alles verloren haben – und reagieren reserviert. „Seien Sie nicht enttäuscht, geben Sie den Menschen Zeit, es ist ein Prozess.“ Umso mehr begrüßt sie das geplante Willkommensfest, das sei die beste Gelegenheit, um sich zu beschnuppern und erste Kontakte zu knüpfen.