Angela Merkel muss sich in diesen Tagen und Wochen vielen besorgten Fragen stellen. Aber ihren Asylkurs will sie nicht ändern. Foto: dpa

Die Unionsfraktion im Bund ist aufgewühlt- steht aber zu Merkel. Das hat auch die letztlich missglückte Briefaktion der Merkel-Kritiker deutlich gemacht.

Berlin - Nach tagelangem Geraune ist nun also der Brief der Unionsabgeordneten an die Kanzlerin abgeschickt worden, in dem eine Abkehr von der bisherigen Asylpolitik gefordert wird. Die Aktion ist, welches Kriterium man auch immer anlegen will, gescheitert: numerisch, politisch und partei-intern.

Die Initiatoren hatten sich eine Unterstützung von bis zu einem Drittel der Bundestagsfraktion erhofft. Tatsächlich blieb der Unterzeichnerkreis auf eine Gruppe von rund 50 Parlamentariern beschränkt – die Fraktion hat 318 Mitglieder. Partei-intern hat der Brief eine durchaus heftige Gegenreaktion der CDU-Führung ausgelöst. In der Vorstandssitzung wurden die Kritiker ihrerseits hart kritisiert. Vorwurf: In Wahlkampfzeiten müssen die Reihen geschlossen bleiben. Politisch ist das Schreiben im Sinne der Unterzeichner nicht nur deshalb erfolglos, weil sich die Kanzlerin schon positionierte, bevor die Post auf ihrem Schreibtisch lag: Sie will sich nicht korrigieren. Vor allem hat die Unternehmung deutlich gemacht, dass die Merkel-Kritiker in der Fraktion durchaus keine Mehrheit haben. Da nämlich darf sich niemand von der nach außen getragenen Aktivität täuschen lassen. Schon der recht kläglich gescheiterte Versuch aus der Vorwoche, die Fraktion in eine Abstimmung zum Flüchtlingskurs zu treiben, hat belegt: Die Mehrheit der Fraktion stützt noch immer die Kanzlerin. Vermutlich wird das dort niemand ohne Restzweifel tun, aber doch in der Überzeugung, dass die Bundeskanzlerin weiter einen Vertrauensvorschuss verdiene.

Im Kern leuchtete der Mehrheit der Fraktion nicht ein, warum ein Brief verfasst werden musste, wenn doch in der Fraktion, überaus offen, überaus heftig und überaus ausführlich in allen Sitzungen der vergangenen Monate über das Thema geredet und gestritten worden war. Neues hat die Kanzlerin aus dem Schreiben sicher nicht erfahren. Was den Schluss nahe legt: Es ging nicht um die Argumentation, sondern um die öffentliche Wirkung. Wobei da Unterscheidungen notwendig sind. Gerade die Innenpolitiker aus dem Südwesten, niemand mehr als das Duo Clemens Binninger und Armin Schuster, waren redlich bestrebt, Brücken zu schlagen und Brüche zu vermeiden. Aber wahr ist auch, dass es einen kleinen harten Kern von Merkel-Kritikern gibt, dem es nicht nur um die Sache geht, sondern um die Person der Kanzlerin – ob aus sachlichen oder sehr persönlichen Erwägungen, die in kleinstem Kreis gerne überdeutlich artikuliert werden.

Politik darf nicht Verstärker kursierender Ängste sein

Womöglich aber steht bei den meisten der Briefeschreiber noch eine andere Motivation im Vordergrund: den Bürgern zu zeigen, dass deren Ängste und Besorgnisse aufgenommen und artikuliert werden. Das ist ehrenwert. Aber es ist auch zu kurz gesprungen. Gute Politik in schwierigen Zeiten muss nicht als Lautsprecher kursierender Ängste auftreten, sondern muss Probleme lösen. Da aber liegt der Hase im Pfeffer: Ob die durch eine Schließung der nationalen Grenzen verursachte Folgen-Kaskade tatsächlich geeignet ist, mit den Flüchtlingsströmen fertig zu werden, ist zumindest fraglich. Der mögliche Kollateralschaden eines Endes europäischer Freizügigkeit wiegt schwer. Von diesen offenen europäischen Grenzen profitiert kein anderes Land auf dem Kontinent mehr als Deutschland.

Also glaubt die Mehrheit der Fraktion, dass man die Kanzlerin noch eine Weile arbeiten lassen muss. Im Großen, wie im Kleinen. Die Maghreb-Staaten zu sicheren Drittstaaten zu erklären wäre schon einmal ein Schritt. Beim Thema Westbalkan hatte er bereits durchschlagenden Erfolg.

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