Antonia (links) zeigt bei der Führung ihren liebsten Abenteuerweg. Foto: Julia Bosch

Schüler der Schwabschule sind acht Nachmittage lang zwei Hamburger Künstlern durch ihr Stadtviertel gezogen, um ihre eigene Stadtführung zu entwickeln.

S-West - Nicht nur lustig geht es bei der Tour Short Cuts von Schülern der Schwabschule zu. Gleich zu Beginn erzählt die neunjährige Marla eine ernste Geschichte: „Hinter unserer Schule hat einmal ein Mann versucht, zwei Mädchen ins Auto zu ziehen. Da hatten wir tagelang ziemlich große Angst.“ Doch abgesehen davon sind die einzelnen Punkte überwiegend positiv besetzt: Es geht zu Eisdielen, zu Bäckereien, zu Spielplätzen und zu aufregenden Geheimwegen.

Sechs Schüler der Schwabschule sind acht Nachmittage lang mit dem Hamburger Künstlerkollektiv, bestehend aus Daniel Ladnar und Esther Pilkington, durch ihr Stadtviertel gezogen. „Die Schüler haben sich zunächst ihre Schulwege gezeigt und danach analysiert, wo Gefahren lauern, wo man Geheimwege findet und wo es etwas Leckeres zu Essen gibt“, sagt Ladnar.

Wo’s die blauen Knochen gibt

Die Aktion war im Rahmen der Arttours ins Leben gerufen worden, einer Sammlung von Stadtführungen und Spaziergängen, Events und Experimenten, entwickelt von lokalen und internationalen Künstlern. Deren Ziel war es, die Stadt neu kennenzulernen. „Zum Abschluss an unseren Workshop Short Cuts wollten die Schüler ihren Eltern und Geschwistern ihre Stadtführung präsentieren“, so Ladnar.

Zu Beginn erklären die Kinder im Alter von acht bis neun Jahren den Erwachsenen die Spielregeln: „Ihr lauft in unserem Tempo mit, hört uns zu, wenn wir etwas erzählen, und rennt nicht wie verrückte Hühner umher“, stellt Antonia (8) klar. Das Haus ihrer Eltern ist die erste Station. Mit einer Minute Fußweg hat sie auch den wohl kürzesten Schulweg von allen. Daher gehört sie zu denjenigen, die selbstständig zur Schule gehen.

Anders ist dies bei der achtjährigen Hiba. Ihre Mutter möchte nicht, dass sie alleine zur Schule geht, weil morgens häufig Drogenabhängige an der Schwabstraße herumhängen würden. Doch auch Hiba kennt ihr Viertel wie die eigene Westentasche – zum Beispiel den Toto-Lotto-Laden an der Rötestraße. „Hier gibt es Blaue Knochen zu kaufen“, berichtet sie. Die Süßigkeit muss man eine Stunde lutschen, bis daraus ein Kaugummi entsteht. „Und danach hat man einen quietschblauen Mund.“ Ebenfalls spannend für die Kinder ist ein Matratzenladen – wegen der Kuscheltiere.

Ameise am Wegesrand

Nicht immer können die Großen den Kleinen bei der Tour aber folgen: Etwa, wenn die jungen Stadtführer an Geländern in luftigen Höhen rückwärts entlang klettern: „Da werdet ihr wohl nicht mitkommen können“, stellt Kerem (8) fest und die Großen bleiben sichtbar erleichtert als Bewunderer am Boden.

„Kinder bewegen sich ganz anders als wir Erwachsene“, so Ladnar. „Sie rennen plötzlich los, pflücken Blumen oder betrachten Ameisen.“ So sei auch die Idee entstanden, die Kinder zu Stadtführern zu berufen. „Man sieht die Wege aus einem ganz anderen Blickwinkel und läuft anders durch seine Stadt, wenn man sich auf die Sichtweise von Kindern einlässt.“

Üblicherweise plant das Künstlerduo Projekte mit Erwachsenen, in Stuttgart war Short Cuts der erste Workshop mit Schülern. Zum Abschluss geht es auf den Spielplatz an der Rötestraße. Dort stürzen sich die Kinder auf all das Gesammelte, was sie auf dem Weg bekommen haben: Eis, Brezeln, Erdbeeren, Süßigkeiten und Bionade. „Wir wurden großzügig unterstützt von den Läden, die sich die Kinder als Stopps herausgesucht hatten“, so Ladnar.

Das Projekt hat knapp 6000 Euro gekostet, wovon den Großteil davon das städtische Kulturamt stemmte. Der Bezirksbeirat West steuerte 700 Euro bei, außerdem unterstützte die Westendapotheke und die Kunstpension Anna Ohno die Short Cuts.