Kleine Schönheiten: Es gibt nahezu 50 Arten von Bläulingen in Deutschland, viele davon ­gelten als ­gefährdet. Foto: dpa

Noch nie wurde ein solcher Verlust an Insekten beobachtet wie in den vergangenen Jahren. Die Ursachen liegen auch in der Intensivierung der Landwirtschaft. Bis Ende Oktober soll auf Landesebene ein Konzept gegen das Artensterben vorliegen.

Stuttgart - Politiker, die sich für Insekten interessieren, galten vor nicht allzu langer Zeit als Sonderlinge. Wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann wieder einmal darauf hinwies, dass auf der Kühlerhaube seines Wagens fast keine toten Fliegen mehr kleben, erntete er oft milden Spott. Und als ein Zuschauer Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich bei der Veranstaltung „StZ im Gespräch“ mit dem Thema Insektensterben konfrontierte, entstand erst einmal Unruhe im Saal. Doch Merkel sprang dem besorgten Mann zur Seite: „Lassen Sie ihn ruhig ausreden, das gehört zu den zentralen Problemen unserer Zivilisation.“ Anschließend nahm sich die CDU-Politikerin viel Zeit für ihre Antwort: Das Thema Biodiversität werde unterschätzt, sagte sie, beschrieb die Konflikte mit den Landwirten und versicherte: „Wir sind sensibilisiert.“

Erst vor wenigen Wochen beschrieb das Bundesumweltministerium noch einmal die Dramatik des Phänomens. Zahlreiche Studien belegten den massiven Rückgang der 33 000 Arten in Deutschland, heißt es in der Antwort auf eine Grünen-Anfrage. Es mangle aber an genauen Zahlen. Und was die Ursache angeht, so gebe es ein ganzes Bündel: der Verlust von Lebensraum, die Umweltverschmutzung, die Veränderung der Agrarlandschaft, aber auch Pflanzenschutzmittel, insbesondere jene der Stoffgruppe Neonikotinoide. Bis 2018 sollen weitere Studien vorliegen.

Kretschmann will möglichst rasch handeln

So lange will der baden-württembergische Regierungschef nicht warten. Der Grüne Kretschmann, als studierter Biologe mit dem Problem besonders vertraut, hat kürzlich die Landesminister Franz Untersteller (Umwelt) und Peter Hauk (Landwirtschaft und Forsten) gebeten, bis Ende Oktober ein Konzept gegen das Artensterben auf Landesebene zu entwickeln. Dieser Tage haben sich die drei getroffen, und die Fachminister zeigen sich zuversichtlich, dass es auch mit ihrem begrenzten Instrumentarium gelingt, etwas für die Artenvielfalt zu tun. „Dabei dürfen wir uns allerdings nicht auf die Schutzgebiete beschränken, sondern müssen die Defizite in der Agrarlandschaft beheben“, sagt der CDU-Mann Hauk. Immerhin hat die landwirtschaftlich genutzte Fläche einen Anteil von 45 Prozent.

Die spannende Frage wird sein, ob sich Agrar- und Umweltinteressen so ausgleichen lassen, dass sowohl Bauern als auch Bienen etwas davon haben. Denn dass intensive Landwirtschaft etwas mit dem Artenrückgang zu tun hat, bestreitet heute niemand mehr. „Schaffen wir es, die Bewirtschaftungsweise so weiterzuentwickeln, dass es für die Artenvielfalt positiv ist? Ich glaube, das kann gelingen“, meint Hauk. Doch er mahnt auch, man müsse das klug anpacken und dürfe nicht die Käseglocke über die Landschaft stülpen.

Grüne legen Zehnpunkteplan vor

Der CDU-Mann macht gleich einen Vorschlag: Im September blühe auf den Äckern nicht mehr viel – was für die Insekten nachteilig sei. „Wir brauchen deshalb Blühmischungen, um die nahrungsarme Zeit überbrücken zu können.“ Als Alternative zum Mais gebe es als Energie- und Futterpflanze etwa die Durchwachsene Silphie, eine in Nordamerika beheimatete ausdauernde und mehrjährige Pflanzenart aus der Familie der Korbblütler, allerdings mit 20 Prozent geringerem Ertrag. Auch an den Ufern der Gewässer und in Wäldern lasse sich die Bewirtschaftung ökologisch verbessern, meint Hauk.

Untersteller und die Landtags-Grünen haben ihre Vorstellungen zu dem Thema in der vergangenen Woche auf ihrer Klausursitzung in Ettlingen konkretisiert. In einem Zehnpunkteplan zur biologischen Vielfalt fordern sie, das Phänomen des Insektensterbens zunächst einmal landesweit zu erfassen: Systematisches „Insektenmonitoring“ gibt es nämlich bisher nur an ganz wenigen Orten.

Die Grünen wollen aber auch die mehr als tausend Naturschutzgebiete besser erhalten, den Ökolandbau voranbringen, die Nutzung der Streuobstwiesen fördern, die Biotope besser verbinden und nicht zuletzt eine Strategie zur Verringerung des Pestizideinsatzes erarbeiten – die letztlich allerdings nur die EU umsetzen könnte. Konsequenterweise will sich Untersteller stärker in die Diskussion über die gemeinsame EU-Agrarpolitik einmischen. Spätestens hier werden die Interessen hart aufeinanderstoßen, denn Hauk sieht sich den Landwirten verpflichtet: „Es ist bedauerlich, dass Artenschutz immer gleichgesetzt wird mit Extensivierung.“

Jetzt muss erst einmal der Landtag das Geld bewilligen

Untersteller glaubt trotzdem, dass Grüne und Schwarze beim Artenschutz zusammenkommen. Zwischen Landwirtschaft und Umweltschutz gebe es schließlich gemeinsame Interessen, und die seien auch ökonomischer Natur: „Wir wollen ja nicht dahin kommen, dass wir mit Wattestäbchen zum Bestäuben der Blüten durch die Obstplantagen laufen.“ Und: Wo sonst außer in Baden-Württemberg mit seiner kleinräumigen Agrarstruktur könnten Landwirtschaft und Artenschutz besser zusammenkommen?Zunächst einmal soll der Landtag dafür aber zusätzliches Geld bewilligen. Hauk und Untersteller rechnen damit, dass die Regierungsfraktionen das Artenschutzkonzept bei der Etataufstellung finanziell unterfüttern. Die genaue Summe soll sich erst im Licht der Steuerschätzung im November herausschälen, doch einen „Leertitel“ gibt es dafür immerhin schon im Etat.

Für seinen Bereich hat Agrarminister Hauk auch schon eine Vorstellung: „Damit man das spürt, braucht man für die Landwirtschaft um die zehn Millionen Euro.“ Geld wird zum Beispiel dafür nötig sein, um weitere Flächen zu kaufen. „Was nützen uns große Moorgebiete, wenn sie nicht miteinander verbunden sind?“, fragt der Grünen-Politiker Untersteller. Notwendig seien sogenannte Trittsteine. Doch solche Flächen werden in der Regel landwirtschaftlich genutzt.

Es gehe nicht nur ums Geld, sondern auch darum, Landwirte, Verwaltung und Öffentlichkeit für das Thema Artenvielfalt zu sensibilisieren, betont Untersteller. So gebe es bei den Agrarbehörden bereits die Möglichkeit zur Biodiversitätsberatung, doch die kenne niemand. Untersteller: „Das wird so gut wie nicht genutzt.“