Viele Senioren in der Stadt kommen finanziell kaum über die Runden. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Noch sind die Zahlen von Senioren in Stuttgart, die Grundsicherung im Alter benötigen, überschaubar. Doch die Bedürftigkeit wächst. Armutsgefährdet sind vor allem Frauen, Alleinerziehende und Migranten. Mit einem Projekt will die Stadt vor allem die Isolation dieser Menschen abhelfen.

Stuttgart - Auch im reichen Stuttgart steigt die Altersarmut. Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne) will sich dieses Themas künftig stärker annehmen. So will die Landeshauptstadt in einem neuen Pilotprojekt armen Senioren die Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen.

Herr Wölfle, gibt es im reichen Stuttgart überhaupt Altersarmut?
Wenn ich einen afrikanischen Flüchtling frage, würde der sagen: Hier herrscht der pure Reichtum. Es kann also nur um relative Armut gehen. Aber wer in Stuttgart genauer hinsieht, sieht Menschen, denen es finanziell schlecht geht. Er sieht auch Menschen, denen es seelisch als Person nicht gut geht, das zähle ich auch zur Armut. Es geht darum, ob ich am normalen Leben teilhaben kann.
Es gibt aber eine Definition relativer Armut.
Als arm gilt, wer über weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verfügt. Aber diese Definition akzeptieren die Kritiker dieses Armutsbegriffs natürlich nicht. Die sagen: Es gibt die Grundsicherung, es müsse ja niemand verhungern. Ich finde, eine Gesellschaft, die so reich ist wie unsere, sollte sich damit nicht zufrieden geben.
Wie viele Einwohner sind davon betroffen?
In unserem reichen Stuttgart sind mehr als zehn Prozent aller Einwohner auf irgendeine Form von sozialer Grundsicherung angewiesen. Das sind mehr als 60 000 Menschen. Das ist eine große Kleinstadt.
Wie entwickelt sich die Altersarmut?
Diese Zahlen sind sukzessive gestiegen. 2004 haben 2787 Einwohner über 65 Grundsicherung im Alter bekommen, das waren 2,7 Prozent aller in dieser Altersgruppe. 2013 waren es 4536, das sind schon 4,2 Prozent dieser Altersgruppe. Für die Zukunft befürchten wir deutlich höhere Werte. Die Altersjahrgänge mit gebrochenen Erwerbsbiografien, langen Teilzeitperioden und geringfügiger Beschäftigung kommen erst. Die Auswirkungen der Hartz-IV-Reformen werden in den kommenden Jahren deutlich spürbarer.
Gibt es Prognosen, wohin dieser Wert tendiert in den nächsten Jahren?
Es gibt Indizien. Im Vergleich der großen Städte kamen zwei auch für mich überraschende Aspekt zum Vorschein: Das Rentenniveau in Stuttgart ist unterdurchschnittlich, die Zahl der geringfügig Beschäftigten ist überdurchschnittlich hoch. Man geht davon aus, die Leute wären immer in Lohn und Brot gewesen, hätten immer genug verdient. Aber ein Teil der Menschen ist abgehängt von der Teilhabe.
Wer ist in der Landeshauptstadt besonders betroffen von Altersarmut?
In der Regel die Alleinstehenden, dann die Alleinerziehenden. Eine beträchtliche Gruppe stellen auch die älteren Migranten, die schon lange hier leben.
Das heißt: Die Zahlen werden stark steigen?
Ja. Der Migrantenanteil zum Beispiel steigt, darunter sind viele Schlechtverdiener. Und die Entwicklung bei den Minijobs und im Niedriglohnbereich ist eine Zeitbombe. Die ausgezeichnete Konjunktur ändert daran nichts. Da lässt man auf Bundesebene viel zu viel zu.