Cecilia Bartoli als Ariodante in Händels gleichnamiger Oper in Salzburg Foto: Salzburger Festspiele

Bei den Salzburger Pfingstfestspielen inszeniert Christof Loy Händels „Ariodante“ mit feiner Psychologie und großer Musikalität, und die singende Intendantin Cecilia Bartoli glänzt in ihrer ersten Hosenrolle.

Salzburg - Unendlich lange dauert diese Musik, unendliche Male beginnt erst das Solofagott im Orchestergraben, dann der verzweifelte Held der Oper zu singen. Gianluca Capuano am Pult des erst 2016 gegründeten Alte-Musik-Ensembles Les Musiciens du Prince lässt dieser Arie so viel Zeit und so viele fast das Unhörbare berührende leise Töne, wie es sich andere, auch gestandenere Dirigenten kaum je trauen. „Ergötze dich, Ungetreue!“, singt Cecilia Bartoli. „Scherza infida!“ ist die zu Recht berühmteste Arie aus Georg Friedrich Händels 1734 uraufgeführter Oper „Ariodante“. Wenn sie erklingt, befinden wir uns am dramaturgischen Scheitelpunkt des Stücks, genau dort, wo das Vertrauen endet und die Zweifel beginnen. Eine Intrige wurde gesponnen, der Titelheld muss glauben, seine Geliebte Ginevra sei ihm untreu geworden.Vor knapp zwei Stunden noch – „Ariodante“ ist eine lange Oper – stand Cecilia Bartoli in einer Ritterrüstung zwischen den fast steril weißen Wänden von Johannes Leiackers nach hinten auf diverse Landschaftsprospekte zulaufendem Bühnenkasten. Dann entstieg sie der Rüstung als bärtiger Mann. Und nun das: Die Trauer um den Verlust des Glücks macht den Helden weich, den die Mezzosopranistin in ihrer ersten Hosenrolle singt und spielt, Ariodante schlüpft beim Singen hinein in das Kleid der Geliebten.

So wandelt sich der Mann zu einer Conchita-Wurst-ähnlichen Dame mit Bart. Und am Ende des dritten Akts ist nicht nur die Geschlechtsumwandlung vollzogen, sondern auch die (in der barocken Oper eher nicht vorhandene) weibliche Emanzipation. Dann küsst zum Lieto fine, dem Happy End der Oper, eine Frau, die einen Mann spielt, der zur Frau geworden ist, eine andere Frau. Das ist barocke Oper, ein Spiel mit Rollen, Verwandlungen, Schein und Sein. „Orlando war zu einer Frau geworden, das lässt sich nicht leugnen. Doch in jeder anderen Hinsicht war Orlando genau derselbe geblieben“: Das Zitat aus Virginia Woolfs „Orlando“, das aus Lautsprechern tönt, bettet die Regie-Idee ein in die Literaturgeschichte („Ariodante“ fußt auf einer Episode aus Ariosts Epos „Orlando furioso“), aber diese Unterfütterung wäre nicht einmal nötig gewesen, so zwingend wirken die Bilder, die Christof Loy für seine Inszenierung bei den Salzburger Pfingstfestspielen erfunden hat.

Koloraturen wie Perlenketten

Das liegt auch daran, dass sie immer dicht mit dem vernetzt sind, was in der Musik geschieht. Loy ist einer der musikalischsten Regisseure, die zurzeit auf Opernbühnen aktiv sind. Er ist auch einer der aktivsten – was notwendig ab und zu auch mal schwächere Ergebnisse zeitigt. Außerdem ist er einer, auf den sich sehr viele einigen können, und das ist hier ausschließlich positiv gemeint. Sänger mögen Loy, weil er nie gegen sie arbeitet, und unter den Zuschauern hat er Fans sowohl im konservativen Lager als auch dort, wo man starke eigene Regiehandschriften schätzt. Im Salzburger „Ariodante“ werden alle auch deshalb glücklich, weil Loy hier ein Meisterwerk feiner Psychologie erarbeitet hat, das von kleinen, oft subtilen Gesten und Bewegungen geprägt wird.

Die Ballette, im Stück belassen und von einer reinen Männertruppe oft mit ironischer Brechung getanzt (Choreografie: Andreas Heise), bilden dazu die gesellschaftliche Folie, die vom Rokoko bis zu Zeitgenössischem reicht. Die Sänger geben sich hin, manchmal verlieren sie sich schier. Das gilt nicht nur für Cecilia Bartoli, die auch als über Fünfzigjährige noch geschliffene Koloraturen wie Perlenketten abliefert und das Leise auf so berückende Weise schattiert, dass es einem immer wieder ans Herz greift. Nahezu Gleiches gilt für die Entdeckung des Abends, Kathryn Lewek (Ginevra), die zumal den dritten Akt mit gestalterischen Preziosen bereichert. Auch der Countertenor Christophe Dumaux ist als Intrigant Polinesso stimmlich wie darstellerisch überaus wandlungsfähig, Sandrine Piau gibt eine schlanke und überaus wirkungsvoll leidende Dalinda.

Sie alle taumeln in Händels Oper über den unendlichen Varianten von Liebe, Macht und Erotik hin und her – mal so lustig wie Cecilia Bartoli, die lange Koloraturstrecken szenisch auch mal als Folgen übermäßigen Alkoholgenusses („Con l’ali di costanza“) rechtfertigt, mal so traurig wie die zum Sterben wild entschlossene Ginevra („Sì, morrò“). Selbstverständlicher, organischer, natürlicher als an diesem Abend kann Singen nicht wirken: als natürliche Artikulation von Menschen in einer gut vier Stunden langen Ausnahmesituation. Das ist: Faszination Oper.

- „Ariodante“ ist wieder bei den Salzburger Festspielen im Sommer zu erleben. www.salzburgfestival.at