Ein Vogelfreier und eine entlaufene Nonne: Devid Striesow als Luther und Karoline Schuch als Katharina von Bora Foto: MDR

Die ARD stellt zum Reformationsjubiläum nicht Luther, sondern Katharina von Bora ins Zentrum – ein löblicher Ansatz im Luther-Mania-Jahr 2017. Das sinnliche Biopic „Katharina Luther“ mit Karoline Schuch zeigt eine revolutionär emanzipierte Frau.

Stuttgart - Der große Reformator – ein Messie. Diesen Begriff würde man wohl heute zu Hilfe nehmen, um die Lebensumstände Martin Luthers zu Beginn der 1520er Jahre zu beschreiben. Das „Schwarze Kloster“ in Wittenberg, in dem der unter Reichsacht und Kirchenbann stehende Theologe untergekommen war: nichts als Dreck und Trödel bis auf die Schreibstube, in der Luther Tag und Nacht zwischen Bücherbergen und Papier wie besessen seine Schriften verfasst.

Wie Katharina von Bora (Karoline Schuch) dieses Trash-Gehöft entdeckt, gehört zu den eindrücklichsten Szenen von „Katharina Luther“, dem TV-Drama, mit dem die ARD ihren ersten großen fiktionalen Beitrag zum Reformationsjubiläum leistet. Ausstattung und Kamera komponieren eine wahre Sinfonie des Verfalls; silbern-wolkig wirbelt der Staub im Gegenlicht. So also lebt der Mann, der diese junge Frau dazu gebracht hat, ihr geschütztes Leben als Nonne aufzugeben – zumindest in der Vorstellung der Filmemacher.

Die Regisseurin Julia von Heinzund ihr Autor Christian Schnalke stellen in ihrem Film nicht Luther ins Zentrum, sondern seine Ehefrau, über deren Leben wenig Stichhaltiges verbrieft ist; ein löblicher Ansatz im Luther-Mania-Jahr 2017. Ihnen gelingt ein Porträt, das nicht nur eine revolutionär emanzipierte Frau zeigt, sondern an deren außergewöhnlicher Beziehung die weltanschaulichen Umbrüche der Zeit erfahrbar macht. „Katharina Luther“ ist dabei weder Historien-TV-Event noch Filmromanze, sondern ein sinnliches Biopic.

Die Luthers als Prototyp des protestantischen Pfarrhaushalts

Als Kind wird Katharina von Bora aus materieller Not vom Vater ins Kloster abgeschoben; 17 Jahre später, 1522, ist die Nonne bereits entflammt für die revolutionären Ideen Martin Luthers. Anstatt ihr Leben niedergebeugt von der Furcht vor einem strafenden Gott zu verbringen, verlangt es sie danach, frei und selbstbestimmt zu leben. Sie und einige andere Mutige fliehen aus dem Kloster. Zusammen mit Ave (Mala Emde) im Haushalt von Lucas Cranach untergekommen, wird sie mit der bitteren Lebenswirklichkeit konfrontiert: Kloster, Heirat, Freudenhaus – andere Optionen gibt es in jenen dunklen Zeiten für ihr Geschlecht nicht. Im Gegensatz zu Ave lässt sie sich nicht zwangsverheiraten; als ein Hochzeitskandidat ihr wie einem Gaul ins Maul schauen will, läuft sie davon.

Wenn heiraten, dann nur den einen: Martin Luther (Devid Striesow). Der träumt zwar auch davon „das ganze Leben“, also nicht nur dessen spirituellen Seiten, zu leben, zweifelt aber an seiner Alltagstauglichkeit. „Als Mensch bin ich nichts, ich bin Gottes Werkzeug.“ Sie verspricht ihm, ihn niemals von seiner Arbeit abzuhalten, wird an seiner Stelle zum „Herr im Haus“ – und erweist sich als „bemerkenswerte Frau“, wie Luther ihr später Respekt zollen wird. Geschäftstüchtig baut sie das „Schwarze Kloster“ zu einem Wirtschaftsunternehmen um, holt zahlende Studenten ins Haus, ist Mutter von sechs Kindern und vor allem ihrem Mann ein gleichberechtigtes Gegenüber: Die Luthers als Prototyp des protestantischen Pfarrhaushalts.

Gleichzeitig schlägt ihr, der „entlaufenen Nonne“, die einen Vogelfreien ehelichte, vom Volk Verachtung und Abscheu entgegen; ihre Ängste holen sie immer wieder ein. Als sie schwanger ist, fürchtet sie etwa, ein Teufelsbalg zu gebären, wie von der Klosteroberin prophezeit; der Tod ihrer Tochter Magdalena ist ein Prüfstein, an dem die Eltern zu zerbrechen drohen.

Die Bildsprache bricht mit TV-Routinen

Daniela Knapps Kamera lässt die Zuschauer die Welt mit den Augen der „Lutherin“ sehen. Die Regie hat die Unsicherheit des Zeitalters in eine äquivalente Sprache übersetzt, die mit TV-Routinen bricht. Knapp holt Figuren und Dinge sehr nah, oft in Ausschnitten heran, verzichtet auf Totalen und Tiefenschärfe, dreht viel mit wackliger Handkamera und Filtern. So vermittelt sich die Perspektive des spätmittelalterlichen Menschen, für den große Teile der Welt im Dunkel blieben. Zooms auf nackte Füße im Gras, steinerne Fratzen an Kirchenfassaden: Die Haptik wirft die Zuschauer mitten hinein in die Zeit.

Die Ästhetik ist die stärkste Säule des Films, die zweite ist Schuchs glaubwürdiges Spiel. Ihre „Lutherin“ ist eine Person von durchscheinender Blässe und enormer innerer Überzeugung. Striesow fällt es weit schwerer, die übergroße historische Figur überzeugend zu füllen. Der Film will zwar den Menschen Luther plastisch machen, meißelt dessen Schattenseiten heraus, seine Strenge zu den Kindern, seinen Antisemitismus, seine Zweifel, Widersprüchlichkeiten. Trotzdem bleibt Striesows Luther nicht mehr als eine Behauptung.

Service: Das Reformationsjubiläum im Fernsehen

Die ARD zeigt „Katharina Luther“ am 22. Februar um 20.15 Uhr, gefolgt von der Doku „Luther und die Frauen“ um 22 Uhr. Das Doku-Kernstück des Reformationsjubiläums im ZDF ist der Dreiteiler „Der große Anfang – 500 Jahre Reformation“ mit dem Wissenschaftler Harald Lesch; zu sehen voraussichtlich an Ostern.

Was hat ein Whistleblower von heute mit Luther zu tun?„Die Luther-Matrix“ ist ein Dokuthriller, der voraussichtlich an Karfreitag in der ARD läuft. Das ZDF schildert mit Maximilian Brückner als Luther im Zweiteiler „Himmel und Hölle“ die Anfänge der Reformation, ein Sendetermin steht noch nicht fest. Arte plant im Mai einen Themenschwerpunkt zur Reformation.

Der ökumenische Gottesdienst in Hildesheim am 11. März, 17 bis 18 Uhr, wird live im Ersten übertragen, ebenso der Open-Air-Gottesdienst zum Abschluss des Evangelischen Kirchentags am 28. Mai in Wittenberg.