Im Nordirak haben die altorientalischen Herrscher die teilweise mehrere Meter hohen Kunstwerke einst an Wegen, Flüssen und Gebirgspässen in den Fels meißeln lassen, um ihre Territorien zu markieren. Die ältesten von ihnen stammen aus dem dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend. Foto: Peter A. Miglus

Heidelberger Forscher halten wertvolle Felsreliefs im Nordosten des Iraks mithilfe eines 3-D-Verfahrens fest.

Heidelberg - Er war gerade 22 Jahre alt, als er zum ersten Mal in Richtung Irak aufbrach. Damals, es war im Jahr 1976, studierte Peter A. Miglus noch an der Universität Warschau. „Mit 130 Dollar in der Tasche, mehr aus Polen auszuführen war nicht erlaubt“, reiste er in den Semesterferien mit dem Zug nach Istanbul, von wo es per Anhalter weiterging ins alte Zweistromland und nach Syrien. „Ich wollte die antiken Ruinen sehen: Nimrud, Palmyra, Hatra, das war es, was mich interessiert hat“, erzählt der jetzt 62-jährige Wissenschaftler. Sechs Wochen dauerte die Reise, die ihn kreuz und quer durch den Irak und die Levante führte. „Es war Liebe auf den ersten Blick – mit der Kultur, mit der Landschaft, dem Klima, den Leuten.“

Immer wieder hat der Archäologe Miglus Grabungen in Altmesopotanien begleitet

Altmesopotamien hat ihn seither nicht mehr losgelassen. Miglus hat einen Magister in Archäologie und einen in Assyriologie gemacht, er hat sich in seiner Promotion und Habilitation mit der Siedlungsgeschichte und Kultur Assyriens und Babyloniens beschäftigt, und er hat – wann immer dies möglich war – in der Region Grabungen geleitet oder begleitet.

Er selbst ist, nach wissenschaftlichen Stationen in Warschau, Göttingen und München, in Heidelberg gelandet, wo er seit 2004 als Professor für vorderasiatische Archäologie am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Heidelberg arbeitet. In den berühmtesten antiken Stätten, die er als Student und junger Wissenschaftler noch problemlos bereisen konnte, ist an Forschung schon lange nicht mehr zu denken. Zu gefährlich ist die Lage in dem Kriegs- und Krisengebiet. „Wie es dort heute aussieht, kann ich nicht einschätzen“, gesteht der Archäologe. „Bestimmt ist vieles verloren gegangen.“

Nun hat die dreidimensionale Fotodokumentation antiker Felsreliefs begonnen

Angesichts der schwierigen politischen Lage in der Region hat Miglus, wie etliche Kollegen aus Deutschland und anderen Ländern auch, sein Augenmerk in den zurückliegenden Jahren verstärkt auf den Nordirak gelegt. Dort werden die antiken Stätten besser beschützt, weil die Verantwortlichen auch ein großes Interesse an der Forschung haben. Zweimal jährlich hat er seit 2009 die Autonome Region Kurdistan besucht, wo er in der Provinz Sulaimaniya am Fundort Bakr Awa Ausgrabungen durchführt. Vor Kurzem hat er nun in der Gegend ein neues Projekt begonnen. In dessen Mittelpunkt steht die erstmalige detaillierte dreidimensionale Fotodokumentation wertvoller antiker Felsreliefs. Das Projekt soll bis Sommer 2018 weitgehend abgeschlossen sein.

Solche Reliefs, erklärt Miglus, „gehören zu den wichtigsten Bodendenkmälern des Orients“. Im Nordirak haben die altorientalischen Herrscher die teilweise mehrere Meter hohen Kunstwerke einst an Wegen, Flüssen und Gebirgspässen in den Fels meißeln lassen, um ihre Territorien zu markieren. Die ältesten von ihnen stammen aus dem dritten und zweiten vorchristlichen Jahrtausend. „Meist zeigen sie einen siegreichen Herrscher mit einer Gottheit; sie sind Zeichen der Macht“, sagt Miglus. Zu finden sind sie abseits der Städte in der freien Landschaft. „Teilweise stehen sie hoch über den Wegen und sind von unten nur schwer zu erblicken.“ Zwar haben viele der wertvollen Reliefs schon Forscher und Reisende im 19. und frühen 20. Jahrhundert abgezeichnet oder fotografiert. „Doch die Qualität dieser älteren Darstellungen ist meist miserabel“, sagt Miglus. „Die Bilder sind oft perspektivisch verzerrt, und Details sind kaum zu erkennen. Das führt gelegentlich auch zu falschen Aussagen und Fehlinterpretationen.“

Viele Reliefs sind schon zerstört wurden – sind mit Graffitis beschmiert oder beschossen

Eine rasche und umfassende Fotodokumentation ist aber auch noch aus einem anderen Grund wichtig: Denn die Altertümer sind – wie so viele andere Denkmäler auch – bedroht. Bei seinen Ausgrabungen in der Nähe sind Miglus vor einiger Zeit der zunehmende Zerfall und auch die mutwillige Zerstörung aufgefallen. „Etliche, die leicht zugänglich sind, wurden mit Graffiti oder großflächig mit Farbe beschmiert, andere zeigen deutliche Einschusslöcher, weil sie Soldaten, Hirten oder Freizeitschützen als Zielscheibe dienten“, sagt er. Eines der Reliefs sei gesprengt worden, weil die Täter dahinter einen Schatz vermuteten, ein anderes sei bereits Opfer von Räubern geworden und illegal auf den internationalen Kunstmarkt gelangt. „Wir können retten, was noch zu retten ist, indem wir die Werke für die Wissenschaft dokumentieren, und wir können mit unserer Arbeit auch den Verantwortlichen zeigen, dass es sich lohnt, die Werke zu schützen.“

Auch bei der Antikenbehörde in Sulaimaniya bestehe ein großes Interesse an der Arbeit. „Dort wünscht man sich eine ansprechende Präsentation und eine informative Veröffentlichung, um den verantwortlichen Umgang mit dem kulturellen Erbe zu fördern“, erklärt Miglus.

Im April 2018 reisen die Forscher wieder in den Nordosten Iraks

Im September haben er und seine Mitarbeiter daher vier Wochen lang das erste von neun großen Reliefs im Nordirak in ihr Fotoprojekt aufgenommen: Mit zwei Spiegelreflexkameras und einer kamerabestückten Drohne haben sie das Kunstwerk von allen Seiten abgelichtet. Dabei haben sie Hunderte von Bildern angefertigt, die nun mit speziellen Computerprogrammen zu dreidimensionalen Abbildungen verarbeitet werden.

Im April nächsten Jahres werden die Heidelberger Wissenschaftler noch einmal nach Kurdistan reisen. Danach soll man die Reliefs detailliert am Bildschirm für sich allein oder in der sie umgebenden Landschaft betrachten und weiter erforschen können.

Historische Zeugnisse?

Projekt
Im Gegensatz zu den antiken Felsreliefs in anderen Regionen sind die steinernen Zeitzeugen der altorientalischen Herrscher im Nordirak bislang kaum dokumentiert. Mit der dreidimensionalen Aufnahme und Vermessung der Werke wollen die Wissenschaftler die Grundlagen für deren einheitliche bildliche Darstellung und weitere Erforschung schaffen. Geplant ist auch eine Veröffentlichung auf Kurdisch, die die Bewohner der Region für die Denkmäler sensibilisieren und den verantwortungsvollen Umgang mit dem kulturellen Erbe fördern soll.

Kooperation Das Vorhaben ist ein Gemeinschaftsprojekt des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Uni Heidelberg und der Antikenbehörde der Provinz Sulaimaniya. Es ist auf zwei Jahre angelegt und wird finanziell von der Gerda-Henkel-Stiftung (Düsseldorf) unterstützt.

Technik Für ihre 3-D-Dokumentation haben sich die Wissenschaftler für die sogenannte Close-Range-Fotogrammetrie entschieden. Dabei kommen handelsübliche Profikameras zum Einsatz. Mit ihnen werden die Objekte aus möglichst vielen Blickwinkeln überlappend aufgenommen; danach werden aus den Flachbildern mit speziellen Computerprogrammen die 3-D-Modelle erstellt. Je nach Größe des Reliefs sind bis zu 1000 Aufnahmen für ein solches Modell nötig.