Zeit für den Feierabend? Die IG Metall verlangt mehr Selbstbestimmung für Mitarbeiter Foto: dpa

Bis jetzt gilt, dass Angestellte maximal 48 Stunden in der Woche, maximal acht Stunden am Tag mit einer Ruhezeit von mindestens elf Stunden zwischen zwei Arbeitstagen arbeiten dürfen – ist das in der heutigen Zeit noch zeitgemäß? Ein Kommentar.

Schon vor der Metalltarifrunde, die am Mittwoch in Baden-Württemberg beginnt, kann die IG Metall einen Erfolg feiern: Indem sie einen Schwerpunkt auf die Arbeitszeit legt, hat sie den Nerv der Zeit getroffen. Flexiblere Arbeitszeiten, abgestimmt auf individuelle Bedürfnisse, erhalten ein zunehmendes Gewicht. Immer mehr Beschäftigte sind eher an der Worklife-Balance interessiert als an einer ständigen Leistungs- und Gehaltssteigerung. Viele wollen lieber mehr Freizeit als mehr Geld, wie sich am jüngsten Tarifabschluss bei der Deutschen Bahn zeigt, der dazu eine Wahloption eröffnet hat.

Die IG Metall wagt sich ihrerseits an einen Systemwechsel: Sie verlangt einerseits mehr Selbstbestimmung für die Mitarbeiter und andererseits die Möglichkeit zur zweijährigen Verkürzung der Wochenarbeitszeit. Wer enge Angehörige zu betreuen hat, soll ebenso einen Zuschuss erhalten wie der Schichtbeschäftigte, dem die Lohneinbuße sonst den Weg zur kürzeren Arbeitszeit versperren würde.

Es ist nur mäßiger Widerstand zu erwarten

Zugleich stemmt sich die IG Metall damit gegen eine Arbeitszeitdebatte, wie die Wirtschaftsverbände sie führen – allerdings auf der politischen Ebene. Mit Hilfe der FDP und Teilen der Union wollen diese in den Sondierungsverhandlungen ihrerseits mehr Flexibilität erreichen: Statt der täglichen Höchstarbeitszeit von acht Stunden soll eine wöchentliche Maximaldauer von 48 Stunden erreicht werden. Es geht damit zunächst nicht um eine Ausweitung von Arbeitszeit, sondern um eine flexiblere Verteilung des Volumens. Weil nur mäßiger Widerstand zu erwarten ist, wird es wohl auch so kommen.

So treffen zwei Welten aufeinander – und das Kuriose daran ist: Für beide Stoßrichtungen gibt es einleuchtende Argumente, die von der heutigen Realität abgeleitet werden. Da die Dinge aber getrennt und von unterschiedlichen Akteuren verhandelt werden, ist kein guter Kompromiss zu erwarten. Vielmehr wird man sich jeweils noch heftig bekriegen, da alle Gewerkschaften alarmiert sind und in der Öffnung der Höchstarbeitszeiten ein Einfallstor in eine generelle Arbeitszeitverlängerung sehen – einen Angriff auf hart erkämpfte Errungenschaften.

Globalisierung und die Digitalisierung verändern die Arbeitswelt immer schneller

Dabei wäre es überaus hilfreich, wenn beide Seiten weniger dogmatisch an die Sache herangingen. Die Globalisierung und die Digitalisierung verändern die Arbeitswelt schneller, als dies jemals in der Vergangenheit festzustellen war. Folglich müssen auch die Arbeitsbedingungen angepasst werden können. Flexibilität ist dabei keine Einbahnstraße – sie muss in beide Richtungen möglich sein.

Wäre der deutsche Arbeitnehmer freilich heute völlig unflexibel, hätte die deutsche Wirtschaft nicht ihre weltweite Spitzenstellung. Das Gegenteil ist also der Fall: in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen sind jede Menge Abweichungsmöglichkeiten eingebaut. Auch die 1,8 Milliarden Überstunden, die laut dem Gewerkschaftsbund im Vorjahr angezeigt wurden, wobei die Hälfte unbezahlt blieb, sprechen für eine hohe Anpassungsfähigkeit der Beschäftigten. Doch ist ein großer Teil der Unternehmenslandschaft eben nicht von innovativen Tarifverträgen abgedeckt. Stattdessen lässt sich ein Wildwuchs ohne Ende feststellen.

Mehr Rechtssicherheit für die notwendigen Ausnahmen – ein neu definierter Rahmen für die Betriebe – wäre angebracht. Doch darf die Arbeitsverdichtung nicht immer weiter auf die Spitze getrieben werden. Auch Unternehmensführer brauchen das Verständnis einer zeitgemäßen Arbeitskultur mit neuen Zeitmodellen. Es ist ein Geben und Nehmen. Wer die Veränderungsbereitschaft der Beschäftigten missachtet, schadet sich selbst.

matthias.schiermeyer@stzn.de