Amazon-Mitarbeiter streiken am Standort Rheinberg Foto: dpa

Kurz vor Weihnachten spitzt sich der Machtkampf zwischen der Gewerkschaft Verdi und dem Online-Händler Amazon zu. Sechs der acht Logistikstandorte werden bestreikt. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Bad Hersfeld - Wo wird gestreikt?
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi hat den Streik bei Amazon am Dienstag ausgeweitet. Betroffen sind die beiden Logistikzentren in Bad Hersfeld (Hessen), dazu Leipzig (Sachsen), Koblenz (Rheinland-Pfalz), Graben (Bayern), Rheinberg und Werne (jeweils NRW). Nicht im Streik befinden sich nur die Standorte Pforzheim und Brieselang bei Berlin.
Wie lange dauert der Ausstand?
Der Streik soll an diesem Mittwoch mit der Spätschicht enden. Nach Gewerkschaftsangaben haben sich 2500 Beschäftigte an dem Ausstand beteiligt. Amazon spricht von 2300 Mitarbeitern. Am Montag waren es 2000. Bundesweit arbeiten bei Amazon 10 000 Mitarbeiter. Hinzu kommen bei Saisonspitzen wie jetzt an Weihnachten noch einmal so viele Saisonkräfte.
Warum streiken nicht alle Standorte?
Der Streikwille hängt auch zusammen mit dem Organisationsgrad der Gewerkschaft am jeweiligen Standort. So haben beispielsweise in Pforzheim traditionell viele Beschäftigte einen Migrationshintergrund und sind für die Gewerkschaften daher nicht so leicht zu erreichen. „Inzwischen drucken wir unsere Mitteilungen aus diesem Grund in vielen Sprachen“, sagt ein Verdi-Vertreter.
Bekommen Kunden ihre Pakete noch rechtzeitig vor Weihnachten?
In der Hochsaison des Online-Versandhändlers geht zu Spitzenzeiten durchschnittlich alle 50 Sekunden eine Bestellung ein. Anette Nachbar von Amazon versichert jedoch, der Streik habe keinerlei Auswirkungen auf die Lieferzeiten: „Wir haben unseren Kunden das Versprechen gegeben, pünktlich zu liefern. Das werden wir einhalten.“ Amazon sei auf alle Eventualitäten vorbereitet. Auch in dieser traditionell umsatzstärksten Woche werde Amazon die Pakete termingerecht zustellen. Zudem seien die Ausfälle durch die streikenden Mitarbeiter so gering, dass sie sich nicht auf das Tagesgeschäft auswirken würden. „Der Großteil der Beschäftigten arbeitet ganz normal“, sagt Nachbar.
Verfehlt der Streik seine Wirkung?
Verdi spricht davon, dass Amazon die Lieferzeiten für viele Bestellungen um teilweise ein bis zwei Tage verlängert habe. Zwar würde versucht, die Ausfälle über die DHL und über Logistikzentren in Polen und anderen europäischen Ländern abzufedern. Dies gelinge aber nicht immer. „Der Streik zeigt sehr wohl Wirkung“, sagt Stefan Najda, Experte für Online-Handel bei Verdi. Die Kritik von Kunden wird von Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger gekontert: „Was wiegt denn höher: dass ein Päcken pünktlich unter dem Weihnachtsbaum liegt oder dass ein global agierendes Unternehmen auch bei uns die Rechte der Beschäftigten achtet?“
Was will Verdi erreichen?
Die Gewerkschaft Verdi will erreichen, dass sich Amazon dem Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel anschließt. Dadurch werde verhindert, dass sich ein Unternehmen durch geringere Bezahlung besserstelle als ein Mitbewerber. „Amazon ist klassischer Versandhandel wie Klingel und Otto und muss deshalb natürlich auch nach Versandhandelstarif bezahlen“, heißt es bei Verdi. Während dort faire Löhne gezahlt würden, sei Amazon der „Lohndrücker der Branche“. Bei einem Großteil der Lager-arbeiten im Versandhandel würden nach Tarif knapp zwölf Euro Einstiegsgehalt gezahlt. Amazon schicke seine Mitarbeiter mit einem Gehalt von 9,65 Euro bis 11,12 Euro nach Hause. Amazon versuche zudem, die Mitarbeiter gezielt in befristete Arbeitsverhältnisse zu drängen. Langfristige Planungen wie etwa die Gründung einer Familie würden dadurch erschwert. Der Leistungsdruck in den Logistikzentren sei außerdem enorm.
Was sagt Amazon dazu?
Amazon verweist darauf, dass es der Logistikbranche angehöre und sich auch an dem dort geltenden Tarifvertrag orientiere. Eine Tarifbindung lehnt das Unternehmen jedoch ab. Die Mitarbeiter der Logistikzentren verdienten am oberen Ende dessen, was in vergleichbaren Jobs bezahlt werde. Das sind mindestens 9,55 Euro brutto pro Stunde im ersten Jahr. Danach erhöht sich der Bruttostundenlohn auf mindestens 10,47 Euro. Hinzu kommen Boni, Betriebsrentenbeiträge, Berufsunfähigkeits- und Lebensversicherungen sowie Aktienzuteilungen und ein Rabatt auf persönliche Amazon-Bestellungen. „Wir sind der Meinung, dass wir unseren Mitarbeitern ein sehr attraktives Lohnpaket bieten“, sagt Amazon-Sprecherin Anette Nachbar. An manchen Standorten wie etwa Pforzheim wurden zudem über die Arbeitsagentur viele Langzeitarbeitslose in Jobs vermittelt.
Wie beurteilen Beobachter den Arbeitskampf zwischen Verdi und Amazon?
Gewerkschaftskritische Handelsexperten sehen in dem Streit auch das Bestreben von Verdi, den Einflussbereich auszuweiten. Neutral betrachtet seien die von Amazon in eine eigene Gesellschaft ausgelagerten Versandstandorte eindeutig der Logistikbranche zuzuordnen. Hätte Amazon seine Logistik etwa komplett von DHL eingekauft, wäre die Diskussion um die Branchenzugehörigkeit wohl nicht entstanden. Die Logistikzentren sind außerdem eine gute Möglichkeit für Verdi, Zugriff auf Amazon und damit potenzielle Mitglieder zu bekommen. Auch im Fall des Textildiscounters Kik seien nicht etwa Filialen, sondern das Zentrallager bestreikt worden. So lasse sich einerseits die Auslieferung blockieren. Verdi könne aber auch gemessen an der Fläche deutlich mehr Beschäftigte erreichen.
Wie geht es weiter?
Seit gut einem Jahr dauert der Arbeitskampf zwischen Verdi und dem Branchenriesen Amazon nun schon. Voraussetzung für den Abschluss eines Tarifvertrags ist die Bildung einer Tarifkommission. Immerhin ist Verdi dies beim zu Amazon gehörenden Filmverleih Lovefilm bereits gelungen. Für Verdi ein Beispiel, dass der Streik sich lohnt. „Wir werden an den Standorten so lange weitermachen, bis man sich mit uns an einen Tisch setzt“, heißt es.