Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD, links) trifft bei seinem ersten Besuch als Außenminister in den USA den Vizepräsidenten Mike Pence. Foto: dpa

Wie begegnet man einem US-Präsidenten, den die Regeln internationaler Zusammenarbeit nicht mehr interessieren? Die Bundesregierung sucht nach Antworten. Gabriel versucht es bei seiner Entdeckungsreise in ein neues Amerika mit einer „Politik der ausgestreckten Hand“.

Washington - Außenminister Sigmar Gabriel hat es eilig, sogar sehr eilig. Seit Tagen spricht er davon, dass er so schnell wie möglich in die USA möchte. Am Donnerstagmorgen landet er auf dem Flughafen Washington-Dulles International. Sein Hauptgesprächspartner, US-Außenminister Rex Tillerson, ist zu diesem Zeitpunkt erst eine Nacht im Amt. Noch vor seiner Vereidigung hat er seinen deutschen Kollegen eingeladen.

„Wir haben drängende Themen auf der internationalen Agenda, über die sich Deutschland und Amerika eng abstimmen sollten“, begründet Gabriel die Eile. Er selbst hat seinen Job noch nicht einmal eine Woche. Seine erste Reise hat ihn zum wichtigsten europäischen Bündnispartner nach Paris geführt. Das ist Standard für einen deutschen Außenminister.

Normalerweise würden danach Brüssel und ein europäisches Nachbarland im Osten folgen, bevor es irgendwo anders hingeht. Brüssel musste Gabriel am Dienstag wegen einer Erkrankung absagen. Osteuropa muss warten. Die USA sind Gabriel wichtiger.

Er kennt das Land gut. 1998 war er erstmals mit einem transatlantischen Programm für Führungskräfte dort und erinnert sich bis heute gerne daran, dass er zum Ehrenbürger von Rapid City in South Dakota ernannt wurde. Danach war er immer wieder dort, als Politiker in Washington, New York, im Silicon Valley. Als Urlauber fuhr er den Highway Number One an der kalifornischen Küste entlang.

Symbolische Besichtigung der Unabhängigkeitserklärung

Diesmal weiß Gabriel aber nicht so recht, was ihn erwartet, als er in Washington aus dem Flieger steigt. Seine Reise ist eine Expedition in ein neues Amerika, dessen Präsident Donald Trump sich nicht mehr den Grundsätzen der westlichen Wertegemeinschaft verpflichtet fühlt. Seine Äußerungen zu Folter und Protektionismus, die Erlasse zum Mauerbau an der mexikanischen Grenze und zum Einreisestopp für Bürger muslimisch geprägter Länder haben die schlimmsten Befürchtungen der Bundesregierung sogar noch übertroffen.

Wohl nicht ganz zufällig hat Gabriel deswegen gleich am Anfang einen Termin in sein Programm eingebaut, von dem eine klare Botschaft ausgeht: In der Bibliothek des Kongresses schaut er sich die deutsche Übersetzung der Unabhängigkeitsklärung von 1776 an, mit der sich die USA von Großbritannien loslösten. Darin sind „unveräußerliche Rechte“ festgeschrieben: „Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit“.

Für Gabriel ist die Erklärung ein Symbol in zweierlei Hinsicht: Sie steht für die universell gültigen Menschenrechte und die enge historische Bindung zwischen den USA und Deutschland. Dass diese Freundschaft nicht so schnell kaputtzukriegen ist, ist Gabriels Hauptbotschaft an die USA. Zu keiner anderen Weltregion habe Deutschland so enge politische und kulturelle Beziehungen, sagt er. „Deswegen wollen wir mit ausgestreckter Hand auf die USA zugehen.“

Gegenüber der Kongress-Bibliothek steht das Kapitol, der Ort, wo Trump vor nicht einmal zwei Wochen vereidigt wurde und seine „America First“-Brandrede hielt. Gabriel hatte in einer ersten Reaktion - damals noch als Wirtschaftsminister - mit scharfen Worten reagiert. „Das waren heute hoch nationalistische Töne“, sagte er. „Der meint das wirklich ernst, und ich glaube, wir müssen uns warm anziehen.“

Gabriel vermeidet krawallige Äußerungen

Inzwischen ist der Außenminister - seiner neuen Funktion entsprechend - diplomatischer geworden. Er hat schnell gelernt, dass man in seinem neuen Job auf krawallige Äußerungen nicht krawallig reagieren kann. Deswegen sagt er jetzt Sätze wie: „Wir wollen zeigen, dass wir an der transatlantischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland, aber natürlich auch Europa und den USA festhalten wollen.“

Die Bundesregierung sucht noch nach einem Weg, mit der neuen Situation umzugehen. Dabei kristallisiert sich eine Doppelstrategie heraus: Das Gespräch suchen, Kooperation anbieten, aber gleichzeitig klare Kante zeigen, wo es gar nicht mehr anders geht und deutsche Interessen betroffen sind - zum Beispiel beim Einreisestopp, der zunächst auch für deutsche Doppelstaater galt.

Die Bundesregierung hofft, dass Leute wie Tillerson ihr dabei helfen können, Trump zu bremsen. Der neue US-Außenminister tritt sein Amt aber unter extrem schwierigen Bedingungen an. Der im Ausland lautstark angeprangerte und teilweise chaotisch organisierte Flüchtlings- und Einreisestopp ist nur die Spitze des Eisberges. Der neue Außenminister muss erst einmal die 900 Karrierediplomaten in seinem eigenen Haus beruhigen, die sich in einem Beschwerdebrief gegen Trumps Migrationspolitik stark gemacht haben. Das Weiße Haus hatte ihnen mitgeteilt, sie sollten spuren, oder sie könnten gehen.

Dabei hätte Tillerson auch genug mit sich selbst zu tun. Er gilt als höchst umstritten, auch wenn der bisherige Top-Manager redegewandt und souverän auftreten kann. „Hi, bin der Neue“, sagte er am Donnerstag grinsend zu seinen Leuten und hatte den Saal schon auf seiner Seite.

Kritik am „Ölprinzen“ Tillerson

Dennoch: Bei Fragen wie etwa zur Klimapolitik werfen Kritiker dem ehemaligen „Ölprinzen“ vom US-Konzern ExxonMobil Befangenheit vor. Noch am Tag seiner Vereidigung wurden im Repräsentantenhaus Regulierungen für die Ölindustrie zurückgenommen, gegen die er jahrelange opponiert hatte.

In der Russland-Politik gilt das ebenfalls. Wladimir Putin hängte Tillerson einst den russischen Freundschaftsorden um, weil der sich gegen US-Sanktionen eingesetzt hatte. Im Senat bekam Tillerson am Mittwoch das schlechteste Votum seit Jahrzehnten - 43 der 100 Senatoren stimmten gegen ihn. Condoleezza Rice hatte mit 13 Gegenstimmen 2005 schon als problematisch gegolten.

Der neue Außenminister muss sich also erstmal sortieren. Vielleicht lehnte er deswegen eine gemeinsame Pressekonferenz mit Gabriel ab, die bei Außenministertreffen befreundeter Staaten eigentlich üblich gewesen wäre.

In den nächsten Wochen wird sich zeigen, wie viel US-Außenpolitik in Tillersons State Department und wie viel im Weißen Haus gemacht wird. Im Amtssitz Donald Trumps bekam Gabriel übrigens auch einen Termin - nicht beim Chef, aber immerhin bei Vizepräsident Mike Pence. Dass er zufälligerweise dort auch Trump treffen könnte, wurde schon vorher als nahezu ausgeschlossen eingeschätzt.