Carsten Stahl mit Lehrern und Schülern der Dietrich-Bonhoeffer-Schule nach Unterzeichnung des Anti-Mobbing-Vertrags Foto: Götz Schultheiss

Carsten Stahl hat Gewalt erlitten und war selbst Gewalttäter. Heute kämpft er gegen Gewalt und Drogen an Schulen. In der Dietrich-Bonhoeffer-Schule in Plieningen hat er Schüler auf die richtige Spur gebracht.

Plieningen - Er ist ein Hüne, über und über tätowiert und drückt sich drastisch aus, doch die Erscheinung des ausgebildeten Kampfsportlers und Personenschützers Carsten Stahl ist nur eine Äußerlichkeit. Wenn er spricht, merkt man, dass ihm, wenn es um das Wohl von Kindern geht, jedes Wort ein Anliegen ist. Als Anti-Aggressionstrainer kämpft er gegen Gewalt, Mobbing und Drogen an Schulen. „In der Klasse haben gestern zwei Jungs gesagt, Koks sei geil, nur weil ein Rapper so einen Scheiß singt“, erzählte er jüngst nach einem zweitägigen Seminar mit Schülern in der Plieninger Dietrich-Bonhoeffer-Schule.

Dann fragte er zwei Jungs: „Was sind Drogen?“ – „Sie sind scheiße“, antworten die beiden im Chor. „Drogen haben mein früheres Leben mit zerstört, darüber habe ich mit ihnen gesprochen“, erläutert Carsten Stahl.

Der Trainer dringt zu Schülern durch

„Wir machen das Seminar nicht, weil wir gewaltbereite Schüler haben, aber wir wollen bei den Jugendlichen das Bewusstsein für Probleme schaffen“, sagte Konrektorin Carolin Vollmer. Sie ist durch die Anregung zweier Schülerinnen auf Carsten Stahl gestoßen und hat ihn für ein Seminar gewonnen. Wie bei vielen anderen Schulen auch, gehe es an der Dietrich-Bonhoeffer-Schule um das Thema der gewaltfreien Schule: „Ich will nicht, dass die Kinder Angst haben, in die Schule zu kommen.“

Mit Carsten Stahl haben die Pädagogen einen Menschen gefunden, der Gewalt erlebt und auch praktiziert hat, der erst Opfer war und dann zum Täter wurde. Der Ex-Häftling, der die Szene auf den Straßen in Berlin-Neukölln kennt, ist authentisch, wenn er von den Gefahren des Lebens spricht. „Der Trainer dringt zu uns durch“, sagte ein sichtlich beeindruckter 14-Jähriger.

Das Schicksal des Sohnes bringt den Vater auf Touren

„Vor dreieinhalb Jahren bin ich aus Neukölln weg und habe meinen Sohn in eine gute Schule gegeben. Dort wurde er Opfer von Mobbing“, erzählt Stahl. Deshalb gab der Hauptdarsteller der RTL2-Serie „Privatdetektive im Einsatz“ seine Fernsehkarriere auf: „Wenn ich für meine Kinder eine bessere Zukunft will, dann muss ich selbst etwas dafür tun.“ Er bot Schulen an, sich des Themas Gewalt, Drogen und Mobbing anzunehmen. Sein einziges Kapital: Glaubwürdigkeit. „Ich bin authentisch, weil ich alles erlebt habe. Mir hören Jugendliche zu, ich mache sie stark. Wenn ihnen ein Psychologe etwas erzählt, schlafen sie ein.“ Auch Lehrer will Stahl stärken: „Schüler und Eltern haben zu viel Macht. Man hat den Lehrern den Spielraum weggezogen. Kinder und Jugendliche brauchen klare Ansagen und Grenzen.“

Und weiter: „Es gibt in ganz Deutschland keine gewaltfreie Schule und es hat nie eine gegeben“, sagt Stahl. Seine Aussage belegt er mit Zahlen. „Pro Woche gibt es an deutschen Schulen 500 000 bis eine Million Fälle von Mobbing – verbal und mit körperlicher Gewalt.“ Auch in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule ist er fündig geworden: „Auch hier habe ich einen Täter-Opfer-Ausgleich gemacht.“

Zwischen Opfern, Tätern und Trainer herrscht Vertraulichkeit

In seinem Seminar ist auch etwas zutage getreten, was schon einige Jahre zurückliegt. Die zwölfjährige Elin (Name von der Redaktion geändert) ist dem Trainer dankbar. Als sie in der fünften Klasse einer anderen Schule war, wurde sie auf dem Pausenhof zum Opfer: Sie wollte schaukeln, aber ein Junge sagte, das mache jetzt er. Dann kamen noch drei andere Jungs dazu. Sie schubsten das Mädchen zu Boden und traktierten es mit Tritten und Schlägen. „Mit meiner Jacke habe ich versucht, meinen Kopf zu schützen.“ Die Jungs machten ihr dann auch durch Hänseleien das Leben zur Hölle. Schließlich raffte sie ihren ganzen Mut zusammen und vertraute sich Lehrern an. Diese stellten die Jungs zur Rede, aber die stritten alles ab. Elin stand als Lügnerin da: „Scheiße, dass die Lehrer mir nicht geholfen haben, obwohl sie dort auf dem Pausenhof waren.“

Schüler unterschreiben einen Vertrag mit ihrem Trainer

Jahrelang hat Elin ihr Erlebnis mit sich herumgetragen und gelitten. Wie ihr Carsten Stahl geholfen hat, sagte sie nicht, es herrscht Vertraulichkeit. Schließlich sagte die Zwölfjährige: „Er hat mein Herz berührt.“ Genau das ist wohl das Rezept des Trainers, der erklärte: „Wenn man Menschen im Herzen berührt, öffnet man ihren Verstand.“ Wie würde das Mädchen heute auf Angriffe reagieren? „Ich rufe laut um Hilfe oder renne schnell weg. Auf jeden Fall gebe ich nicht auf, bis mir jemand hilft“, sagte sie.

Alle seine Seminarteilnehmer hat Carsten Stahl einen Vertrag unterschreiben lassen: „Stopp Mobbing.“ In nicht allzu langer Zeit schaut er wieder vorbei und kontrolliert, ob er auch eingehalten wird.