Die Initiative Rems-Murr Nazifrei demonstriert vor Prozessbeginn am Mittwoch vor dem Landgericht Stuttgart gegen Neonazi-Umtriebe. Foto: Max Kovalenko/PPF

Zweiter Prozess um den Brandanschlag auf Migranten – Zwölf Angeklagte aus der Neonazi-Szene.

Stuttgart/Winterbach - Nein, es geht nicht um versuchten Mord. Irgendjemand aus der Gruppe der rund 70 Neonazis, die am 10. April 2011 auf einem Gartengrundstück in Winterbach (Rems-Murr-Kreis) gefeiert hatten, muss es gewesen sein. Irgendjemand hat in jener Nacht in einem rund 80 Meter entfernten Garten einen Schuppen angezündet, in den sich fünf türkisch- und italienischstämmige Männer aus Angst vor den Rechtsextremen geflüchtet hatten. Vielleicht sitzt der oder sitzen die Täter jetzt sogar im sogenannten zweiten Winterbach-Prozess auf der Anklagebank. Das wird aber aller Voraussicht nicht ruchbar werden. Deshalb geht es nicht um versuchten Mord.

Vor der 3a. Strafkammer des Landgerichts Stuttgart stehen elf Männer und eine Frau, allesamt dem rechtsextremen Gedankengut verhaftet. Sie alle waren auf dem Fest, das die heute 25-jährige Angeklagte anlässlich ihres Geburtstags damals ausrichtete. Und zwar auf dem Gartenstückle des ehemaligen Pressesprechers der NPD Rems-Murr, der ebenfalls angeklagt ist. Den elf Männern und der Frau im Alter zwischen 18 und 37 Jahren wird gefährliche Körperverletzung, die Anstiftung dazu, Meineid und Falschaussage im ersten Winterbach-Prozess sowie Strafvereitelung vorgeworfen.

Ein Angeklagter, ein 24-jähriger Italiener, der darauf besteht, kein Neonazi, sondern ein aufrechter Faschist zu sein, prescht vor. Er legt ein Geständnis ab. „Ich gestehe, einen der Türken geschlagen und getreten zu haben“, sagt er. Er sei im „Wutrausch“ gewesen, weil er noch vor der „rassistischen Menschenjagd“, wie es der Staatsanwalt im ersten Prozess formuliert hatte, von einem Italiener aus der anderen Feiergruppe einen Schlag aufs linke Auge bekommen habe.

„Wenn es ein Deutscher gewesen wäre, hätte ich halt Scheißkraut gesagt“

Vor dem Faustschlag am Rande der zwei Feste hatte der eine Italiener den anderen Italiener „Kanacke“ genannt. „Wenn es ein Deutscher gewesen wäre, hätte ich halt Scheißkraut gesagt“, so der Angeklagte. Ein anderes Beispiel für die limitierte Hirnleistung mancher aus der Neonazi-Festgruppe: Ein Neonazi wird von einem Nazi-Mädle als „Jude“ beschimpft, weil seine Freundin Halbspanierin ist. Und Italiener seien minderwertiger als Deutsche. Aber dies nur am Rande.

Es gab in jener Nacht zwei parallel laufende Ereignisse, die am Ende zu der Hatz auf die Ausländer und zu dem perfiden Brandanschlag geführt hatten. Zum einen der Zusammenstoß des 24-jährigen Italieners mit Leuten aus der Migrantengruppe an den geparkten Autos, zum anderen eine Konfrontation auf einem geteerten Weg, auf dem ein Neonazi im Auto auf mehrere Migranten zugerast sein soll, um ihnen Angst einzujagen. Sein Beifahrer meldete den Vorfall per Handy einem Kumpel im Garten. Der Kumpel im Garten hetzte etwas von „Scheißkanacken“, denen man eine Abreibung verabreichen müsse.

Mehrere Migranten wurden wüst verprügelt, fünf retteten sich in die Hütte auf ihrem Gartengrundstück

Und schon war ein Rollkommando von ungefähr 10 bis 15 Neonazis auf dem Weg zur Ausländerhatz. Mehrere Migranten wurden wüst verprügelt, fünf retteten sich in die Hütte auf ihrem Gartengrundstück, wo eigentlich eine Grillparty angesagt gewesen war. Und dann brannte die Hütte. Draußen sollen bis dato nicht identifizierte Rechtsextreme gestanden und gegrölt haben: „Scheißkanacken, los, kommt raus.“ Aufgezeichnete Notrufe der Eingeschlossenen zeugen von Todesangst. „Die bringen uns alle um.“ Ein Polizist, der einen Notruf entgegengenommen hatte, schrie die fünf Männer am Telefon an, sie sollten sofort aus der Hütte ausbrechen. „Mensch, lieber ihr werdet verprügelt als dass ihr verbrennt.“

Die fünf jungen Männer brachen aus der Hütte aus, manche verletzten sich auf der Flucht, manche fingen sich Schläge ein. Identifizieren konnten die Opfer nicht einen der Angreifer.

Mutmaßlich rechtslastig geht es nicht nur auf der Anklagebank zu. Die Frau wird von Anwältin Nicole Schneiders verteidigt, einst stellvertretende Kreisvorsitzende der NPD in Jena und Anwältin von Ralf W., dem Beihilfe zum sechsfachen Mord vorgeworfen wird. Der Ex-NPD-Funktionär W. soll dem Zwickauer Mördertrio des „Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU)“, mutmaßlich verantwortlich für zehn Morde an Ausländern und an der Polizistin Michele Kiesewetter, per Kurier eine Waffe geschickt haben. Mit von der Partie ist auch Verteidiger Steffen Hammer, der Sänger der Rechtsrockgruppe „Noie Werte“ bis zu deren Auflösung 2010. Mit der Hetzmusik dieser Gruppe hat das NSU-Mördertrio einige seiner Bekennervideos unterlegt.

Der Prozess wird am 4. September fortgesetzt.