Menschen trauern am Atatürk-Flughafen in Istanbul. Foto: AP

Istanbul hatte große Zukunftspläne. Den Trump Towers sollten andere grandiose Bauvorhaben folgen, die Rolle der Stadt als Touristenziel und Transitzentrum zwischen zwei Kontinenten stärken. Was wird nun daraus?

Istanbul - 2012 hat in Istanbul ein glanzvoller Hochhauskomplex mit Geschäften, Büros und Wohnungen geöffnet - ein Symbol des ungestümen Vorwärtsdranges einer alten Stadt, die sich stolz als Tor zwischen Asien und Europa anpreist. Aber interne Konflikte und die Unruhen in benachbarten Ländern haben sich in der jüngsten Vergangenheit immer dämpfender auf die Ambitionen ausgewirkt. Und nun ein neuer Schlag.

Der dem sogenannten Islamischen Staat zugeschriebene Terroranschlag auf dem Istanbuler Atatürk-Flughafen mit Dutzenden Toten hätte überall auf der Welt passieren können, sagt Präsident Recep Tayyip Erdogan. Aber die drei Selbstmordattentäter haben ein besonders empfindliches Ziel ausgewählt: Sie attackierten einen Airport, der das türkische Streben nach einer Rolle auf der Weltbühne verkörpert. Das internationale Transitzentrum Istanbul sollte in einem Atemzug mit Dubai genannt werden.

Anschlag dürfte seine Spuren hinterlassen

Istanbul, eine ausgedehnte Metropole auf zwei Kontinenten mit mehr als 15 Millionen Einwohnern, hat seit eh und je Besucherscharen angelockt. Sie strömen in die Museen und Paläste aus imperialen Zeiten, kreuzen über den Bosporus und nehmen - das zunehmend in der jüngeren Vergangenheit - an Geschäftsforen und internationalen Konferenzen teil oder shoppen in hochklassigen Einkaufszentren.

Es war eine blühende Zeit in einer Stadt, die sich als eine Wiege antiker Imperien und als moderner Schmelztiegel versteht - in einem Land mit einer muslimischen Identität und westlichen Neigungen, das nach Jahrzehnten autoritärer Herrschaft, Gewalt und Chaos in der Politik zu gedeihen schien.

Nun dürfte der Anschlag - ähnlich wie nach Brüssel und Paris - seine Spuren hinterlassen, sogar auch bei jenen, die nicht direkt davon betroffen waren. Wie lange das Blutvergießen in der Form von Unruhen, Angst und Trauma nachhallen wird, kann niemand sagen.

Deniz Ergurel ist ein türkischer Journalist und lebt in der Nähe des Flughafens. Das Schicksal der Toten verfolgt ihn. „Von meinem Fenster aus kann ich die Flugzeuge starten und landen sehen, was heißt, dass wieder Normalität herrscht. Aber wenn ich sage, dass wir wohlauf sind, dann meine ich das nur im physischen Sinn. Tatsächlich ist das eine der seltenen Zeiten, in denen man sich in gewisser Weise schämt, dass es einem gut geht“, schreibt Ergurel in einer E-Mail.

Er sei erst vor einigen Tagen am Flughafen gewesen, als er von einer internationalen Konferenz zurückgekommen sei, berichtet Ergurel. „Es hätte mich treffen können, jeden. Dies ist eine Tragödie und ein Schock, der sich nicht in Worten ausdrücken lässt. Und es wird sich mit Sicherheit auf die Psyche von jedem auswirken.“

Ergurel hält es für nötig, dass die Sicherheitsmaßnahmen in der Türkei überprüft werden. Er verweist auf die mehr als ein Dutzend tödlichen Bombenanschläge, die es innerhalb von nur einem Jahr im Land gegeben hat. Sogar schon vor dem Blutbad auf dem Flughafen ist die einst robuste Tourismusbranche von den wiederholten Anschlägen, die islamistischen Extremisten oder kurdischen Milizen zugeschrieben wurden, in Mitleidenschaft gezogen worden.

So sprengte sich im Januar ein Selbstmordattentäter in der Nähe der Blauen Moschee und der Hagia Sophia in die Luft, zwei der großen Tourismusattraktionen der Türkei. Zwölf deutsche Urlauber starben. Offizielle Statistiken weisen auf einen Besucherrückgang hin. Demnach kamen im Mai 2,48 Millionen Ausländer in die Türkei, 34,6 Prozent weniger als im gleichen Monat 2015.

Zeit des Vorwärtsdranges vorläufig vorbei

Bleiben nun noch mehr Touristen weg? Takan Kadooglu ist Chef von Turkonfed, einer Nichtregierungsorganisation, die türkische Unternehmen repräsentiert. Er meint, dass die Auswirkungen des Airport-Anschlags auf den Tourismus „nicht so hoch sein werden, wie man glauben mag“, weil Gewalt traurigerweise in manchen Teilen der Welt zur Routine geworden sei.

Allen Collinsworth, ein internationaler Firmenberater in Istanbul, sieht „eine Menge von Liquiditätsproblemen“ in der Türkei. Ausländische Investitionen trockneten angesichts von Stabilitätsbesorgnissen aus. Aber das Land habe sich „stets in einer Kreislauf von Boom und Flaute“ befunden und in der Vergangenheit harte Zeiten durchgemacht, so der amerikanische Experte in einem Telefoninterview. „Es ist nicht wie das Ende das Welt für die Türkei. Sie wursteln sich immer durch.“

Die Eigentümer des 2012 eröffneten Hochhauses ließen es sich einiges kosten, um es mit dem Namen Trump zu versehen. Sie dachten offenbar, dass das gleichbedeutend mit Glanz und Qualität sei. Aber von dem Lack ist viel ab, seit sich Immobilienmogul Donald Trump, der voraussichtliche Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner, antimuslimisch geäußert hat. Erdogan sprach sich türkischen Medien zufolge kürzlich dafür aus, den Namen wieder zu entfernen.

Der türkische Präsident hat sich für eine Reihe von Istanbuls massiven Projekten stark gemacht. Dazu zählen Pläne für eine große Moschee, einen neuen Airport zur Entlastung des Atatürk-Flughafens und - als Bosporus-Alternative - einen Kanal, der das Mittelmeer und das Schwarze Meer miteinander verbinden würde. Kritiker nennen die Pläne bombastisch.

2012 schrieb ein AP-Reporter: „Einst ein Nest, voll von Erinnerungen an eine glorreiche Vergangenheit, ist Istanbul heute hektisch, vielleicht blind, darauf aus, eine vibrierende Zukunft zu schaffen.“ Diese Zeiten des Vorwärtsdranges sind, so scheint es, zumindest vorläufig vorbei.