Morgens um sieben in Karlsruhe: Hunderte Flüchtlinge warten vor dem Bundesamt für Migration darauf, ihren Asylantrag stellen zu dürfen. Viele werden unverrichteter Dinge abgewiesen. Foto: Siri Warrlich

Tausende Menschen kommen in diesen Monaten neu ins Land. Unsere Autoren begleiten drei junge Syrer in einem Langzeitprojekt. Als sie nach knapp vier Monaten Wartezeit ihren Asylantrag abgeben wollen, zeigt sich: Die Behörden sind überfordert.

Karlsruhe - 106 Tage haben sie auf diesen Tag gewartet. Fußball haben sie gespielt, ihre Fingerabdrücke abgegeben, den Stuttgarter Weihnachtsmarkt erkundet. Sie sind von einer Flüchtlingsunterkunft in die zweite umgezogen, haben mit ihrer ehrenamtlichen Sprachlehrerin eine erste Freundin in Deutschland gewonnen. „Wie geht’s“, „Aber sicher“, „Gute Besserung“ – einfache Gespräche können Hassan, Abdul und Sahel mittlerweile auf Deutsch führen. Fast vier Monate sind seit ihrer Ankunft in Deutschland – am Stuttgarter Hauptbahnhof mit dem Zug aus Österreich – vergangen. Aber in der Asylstatistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) in Nürnberg tauchten die drei jungen Syrer bislang trotzdem nicht auf. Denn auf den Tag, an dem sie endlich einen Asylantrag stellen können, mussten sie monatelang warten.

Mittwoch, der 16. Dezember, morgens früh um sieben Uhr vor der Außenstelle des Bamf in Karlsruhe: Nicht nur Hassan, Abdul und Sahel sind an diesem Tag hergekommen, um in Deutschland Asyl zu beantragen. Mit rund 300 Flüchtlingen stehen sie im Dunkeln in der Schlange. Erst in einer Stunde öffnet die Behörde. Es schüttet wie aus Kübeln. Ein Meer von bunten Regenschirmen, dicken Jacken, Plastiktüten mit Proviant, Kinderwagen und verwirrten Gesichtern wird von Sicherheitsmännern in knallgelben Westen und Trenngittern aus Metall in halbwegs geordnete Bahnen gelenkt.

Wartezeit vor dem Asylantrag taucht in keiner Statistik auf

Am Eingang des Gebäudes steht ein Sicherheitsmitarbeiter mit einer Namensliste. Bei jedem Flüchtling kontrolliert er einzeln, ob die Person auf der Liste steht. Wie viele andere werden auch Hassan, Abdul und Sahel abgewiesen. Dabei steht auf ihrem „Laufzettel“, den sie vor Monaten in der Landeserstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe erhalten haben, schwarz auf weiß: Am 16. Dezember ist ihr Termin für den Asylantrag. Zurück zum Informationsschalter werden die drei geschickt, um dort auf einem Zettel ihre Daten einzutragen und zu unterschreiben. Während sie das tun, kommt doch noch ein Sicherheitsmann, um sie abzuholen und ins Gebäude zu geleiten. Warum das passiert, ist unklar.

Was aus den anderen abgewiesenen Flüchtlingen wird, die hier an diesem Tag Asyl hätten beantragen sollen, bleibt offen. Während es an diesem Morgen langsam hell wird, irren Dutzende Menschen verwirrt im Innenhof der Bamf-Außenstelle hin und her. In einem Fenstervorsprung nahe am Eingang hat sich jemand mit Kissen und Decken ein Bett gebaut. Manche Flüchtlinge haben hier die Nacht verbracht – in dem Wissen, dass das Bamf mit der Annahme der Asylanträge derzeit eklatant überfordert ist. Regelmäßig gibt das Amt bekannt, wie lange es durchschnittlich für die Bearbeitung eines Asylantrags braucht – und verkauft es als Erfolg, wenn der Wert sinkt. Bei 5,2 Monaten liegt die durchschnittliche Dauer derzeit. Aber die Wartezeit, bevor Flüchtlinge überhaupt einen Antrag stellen können, taucht in der Statistik nicht auf. Bei Hassan, Abdul und Sahel waren es mehr als drei Monate.

Frustration bei Helfern

Ein junger Mann von der Caritas steht inmitten des ganzen Durcheinanders und staunt. Um 4.45 Uhr am Morgen ist er mit einem Afghanen aus Freiburg hergefahren. „Der Chef hat uns sein Auto ausgeliehen“, erzählt der Helfer. Und jetzt geht es nicht mehr weiter. Denn auch der Afghane steht angeblich nicht auf der Liste und wird von Pontius zu Pilatus geschickt. „Es ist unglaublich, was wir hier seit Monaten mit ansehen müssen“, sagt ein Mitarbeiter der benachbarten Landeserstaufnahmestelle, der eine Zigarettenpause im Regen macht. Das Chaos sei jeden Tag unbeschreiblich.

Das frustriert auch die deutschen Begleitpersonen, die mit Flüchtlingen hergekommen sind, um sie zu unterstützen. „Das ist hier eine Katastrophe hoch zehn“, macht einer seinem Unmut Luft. „Meine Leute haben hier übernachtet und jetzt bekommen sie gesagt, sie könnten gleich wieder gehen“, schimpft der Mann. Die Auskunft für ihn: Die Flüchtlinge sollen ein Formular ausfüllen und sich für einen neuen Termin bewerben. „Dann geht es wieder hinein in die Mühle und von vorne los – und hier ist weit und breit kein Bundesbeamter zu sehen.“

Land und Bund beschuldigen sich gegenseitig

Der Grund für das ganze Durcheinander ist ziemlich simpel. Zur Karlsruher Bamf-Außenstelle werden schlicht jeden Tag viel zu viele Menschen bestellt. „Wir vergeben die Termine für den Asylantrag bei der Registrierung“, sagt eine Sprecherin des Karlsruher Regierungspräsidiums. Wenn das Bamf sehe, dass ein Tag voll ist, müsse es eine Sperrmail schicken. Die aber komme oft genug gar nicht oder zu spät. „Deshalb wird überbucht. Das Bamf kann am Tag etwa 150 Asylanträge aufnehmen, es kommen aber manchmal 300 Menschen.“

Beim Bamf in Nürnberg klingt das ganz anders. „Das Land schickt uns zu viele Leute“, sagt ein Sprecher. Dieses Problem bestehe in dieser Ausprägung an keiner anderen der insgesamt fünf Außenstellen in Baden-Württemberg, nur in Karlsruhe. „Das Problem der Überbuchung lässt sich nicht wegdiskutieren“, sagt der Sprecher. Man bemühe sich derzeit gemeinsam mit dem Land um eine Lösung. Viel besser und schneller soll es künftig in Heidelberg gehen: Bei der dortigen Bamf-Außenstelle erprobt man seit Freitag ein Verfahren, mit dem eindeutige Fälle innerhalb weniger Tage oder sogar noch am selben Tag ihren Asylbescheid bekommen sollen. So sie es denn in die heiligen Hallen schaffen mit ihrem Terminzettel.

Für Fahrtkosten werden Flüchtlinge zum nächsten Amt geschickt

Abdul, Hassan und Sahel verlassen das Bundesamt nach viereinhalb Stunden. Sie nehmen erst einmal den Mundschutz ab, den man ihnen drinnen gegeben hat. „Wir sind sehr froh, dass es doch noch geklappt hat“, sagt Abdul. Getrennt voneinander sind sie eine halbe Stunde lang befragt worden, zu ihrer Herkunft, ihrem Beruf, ihrer Reiseroute und den Gründen, warum sie ausgerechnet nach Deutschland wollten. Eine erkennungsdienstliche Behandlung ist ihnen erspart geblieben, die haben sie schon zuvor hinter sich gebracht.

Von den Zuständen in Ungarn haben sie den Bundesbeamten erzählt und davon, dass sie nach wie vor glauben, „dass wir in Deutschland willkommen sind“. „Wir haben viele Papiere unterschrieben“, sagt Sahel und lacht. Alle gelesen haben sie nicht, aber Kopien auf Arabisch mitbekommen. Und den Hinweis, die Kosten für die Fahrkarte in Stuttgart einzureichen. „Sozialamt“ hat man ihnen gesagt. Den Weg dorthin müssen sie sich nun selbst suchen.

Nach dem Warten ist vor dem Warten

Doch obwohl der Tag für sie ein gutes Ende genommen hat, ist die Stimmung gedämpft. Ihre beiden Freunde, die mit ihnen aus Syrien gekommen sind, haben die drei nicht zu sehen bekommen. Sie wissen nur, dass die beiden es nicht zum Asylantrag geschafft haben an diesem verregneten Tag. Obwohl auch sie auf den 16. Dezember bestellt worden waren, damals, vor dreieinhalb Monaten. „Man hat ihnen nur gesagt: Kommt ein anderes Mal. Aber es ist immer voll“, weiß Hassan. Vielen geht es so, das hören sie in den Unterkünften.

106 Tage haben die drei gewartet, um ihren Asylantrag stellen zu können. Jetzt ist die Etappe geschafft. Wie es nun weiter geht und wie lange das dauern wird, hat ihnen bisher niemand gesagt. Es heißt wieder warten. Wahrscheinlich noch einige Tage mehr.