Mit Video-Umfrage - Trotz großer Bemühungen drohen die Stuttgarter Passagen und Unterführungen immer mehr herunterzukommen. In der Klettpassage gehen Pöbler sogar auf Uniformierte los, unter dem Rotebühlplatz sorgt die Drogenszene für Unruhe. Der Winter verschärft die Lage.

Stuttgart - Typische Szenen in der Klettpassage am Hauptbahnhof. „Haste mal bisschen Geld“, fragt ein alkoholisierter Obdachloser ein Paar, das augenscheinlich aus Osteuropa stammt. „Selber nix Geld“, antwortet der junge Mann. „Heil Hitler“, entgegnet der Trinker und verschwindet in der Menge. Zeitgleich streiten sich eine Frau mit Kopftuch und ein alter Mann an einem Mülleimer am Aufgang zur Königstraße um die Beute der Pfandflaschen.

Bilder, die auch in der Unterführung unterm Rotebühlplatz zwischen S-Bahn-Station und Stadtbahn-Halt an der Tagesordnung sind. Dort versammeln sich Trinker, aber auch Drogenkonsumenten von der Paulinenbrücke. Im Winter ist es dort zu kalt. „Etwa 20 bis 40 Personen sollen sich in wechselnder Besetzung im Bereich der Passage aufhalten“, sagt Polizeisprecher Tobias Tomaszewski. Fahnder des Drogendezernats hätten dort nach dem Rechten gesehen – „allerdings war das Klientel zu diesem Zeitpunkt deutlich kleiner“.

Was kein Trost für den dortigen Einzelhandel ist. „Die Szene kommt hier jeden Abend zusammen, ist aggressiv, prügelt sich, wirft mit Flaschen oder tritt Werbetafeln um“, sagt der Inhaber eines Tabak- und Zeitschriftenladens, „das vertreibt uns die Kundschaft.“ Andere Mieter bestätigen seine Beobachtungen. Samstags seien durchschnittlich 30 Personen zugange.

Mit Aggressionspotenzial in den Passagen haben es aber nicht nur Händler und Passanten, sondern auch die Mitarbeiter des städtischen Vollzugsdiensts zu tun. „Eine aktuelle Aufstellung zeigt, dass die Vollzugsbeamten auf ihren Streifen in der Klettpassage im Januar in sechs Fällen angepöbelt wurden“, sagt Hermann Karpf, Sprecher von Ordnungsbürgermeister Martin Schairer (CDU). „Manchmal leisteten Obdachlose oder Personen, die dem linksradikalen Spektrum zuzurechnen sind, aktiven Widerstand, wurden handgreiflich“, so Karpf.

Etwas mehr Respekt scheint die Klientel in der Klettpassage dagegen vor der Polizei zu haben, die von Unhöflichkeiten gegenüber ihren Streifen kaum zu berichten weiß. „Der Polizeiposten in der Passage stellt jetzt im Winter einen Anstieg von Straftaten fest“, sagt Sprecher Tomaszewski. Das liege aber daran, dass sich in der kalten Jahreszeit eben auch mehr Menschen in überdachten Passagen aufhalten, die den Tag sonst hauptsächlich auf der Straße verbringen.

Die Klettpassage scheint in Reviere eingeteilt: Osteuropäer am Aufgang zur Königstraße, Nordafrikaner Richtung Schlossgarten, Punks am Aufgang zur Bahnhofshalle, Trinker zwischen den Stadtbahnhaltestellen. Auf den Toiletten bei der Heilbronner Straße verabreden Stricher und Freier ihre Sexgeschäfte, nachdem der Schwulenstrich am Planetarium durch die Stuttgart-21-Bauarbeiten im Schlossgarten verschwunden ist. Weiß die Aidshilfe Stuttgart.

Helfen da keine Platzverweise? Könnte man nicht das Hausrecht durchsetzen? „Das ist schwierig, weil es sich sowohl bei den Wegen in der Klettpassage als auch den unterführten Teilen am Rotebühlplatz um öffentlichen Raum handelt“, sagt Hermann Karpf. Nur die Ladenflächen selbst seien verpachtet. Um einen Platzverweis aussprechen zu können, müsse schon ein polizeiwidriges Verhalten vorliegen, eine Ordnungswidrigkeit oder eine gefährliche Situation.

Im Jahr 2002 gab es am Rotebühlplatz weitere rechtliche Möglichkeiten. Mit der Begründung, dass es sich um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelt, wurde das Quartier von der Polizei mit Videokameras überwacht. „Das hat Früchte getragen“, sagt Karpf, „nach zwei Jahren war die Drogenszene dort verschwunden.“ Damals war Bürgermeister Schairer Polizeipräsident.

Zum Gradmesser werden aber auch Zigarettenkippen. An das Rauchverbot, das letzten Herbst in der Klettpassage erlassen wurde, halten sich die Randgruppen nicht. Die Aschenbecher sind weg, die Kippen liegen auf dem Boden. „Das ist im Winter wieder etwas schlechter geworden“, sagt Karpf, „aber längst nicht mehr so schlimm wie früher.“ Ulrich Kopp von der Marketingagentur der Mietervereinigung in der Klettpassage, hält den Versuch dagegen für einen Schuss in den Ofen. Ordnungswidrigkeiten, sagt er, würden nicht streng genug geahndet. Kopp hat aber neue Ideen: „Wenn die Stuttgarter Straßenbahnen AG die Klettpassage für Warndurchsagen mit neuen Lautsprechern bestückt, könnten wir klassische Musik spielen. Das hat sich in anderen Großstädten bewährt.“

Bürgermeister-Sprecher Karpf ist überzeugt, dass sich die Lage im Frühling entspannt. Doch so einfach will er es sich nicht machen: „Wir werden in Kürze mit allen Beteiligten über die Problematik reden.“