Sogar in Baden-Württemberg sorgte die angebliche Vergewaltigung in Berlin für Proteste: Hunderte Russlanddeutsche demonstrierten am 24. Januar in Villingen-Schwenningen gegen Gewalt und für mehr Sicherheit in Deutschland. Foto: dpa

Die Aufregung und Hysterie über ein verschwundenes und angeblich vergewaltigtes Mädchen war besonders unter Russlanddeutschen so groß, dass sich die Politik einmischte. Dabei hatte das Mädchen einfach nur Probleme in der Schule - und traute sich nicht nach Hause.

Berlin - Der aufsehenerregende Fall einer angeblich entführten und vergewaltigten 13-jährigen Russlanddeutschen in Berlin ist aufgeklärt. Das Mädchen, das mit der erfundenen Geschichte über ihr Verschwinden für Aufruhr sorgte, verbrachte die fragliche Nacht des 11. Januar bei einem Bekannten, wie ein Staatsanwaltschafts-Sprecher am Freitag der Deutschen Presse-Agentur sagte. Wegen Problemen in der Schule traute sie sich offenbar nicht nach Hause zu ihren Eltern. „Sie wollte weg und hat bei ihm Unterschlupf gesucht.“

Bei dem 19-jährigen Bekannten des Mädchens wurden Sachen von ihr gefunden. Der Mann habe auch zugegeben, dass sie in der Nacht vom 11. auf den 12. Januar bei ihm war, sagte der Sprecher. Es gebe aber keine Hinweise auf eine Sexualstraftat oder einen sexuellen Kontakt des Mannes zu dem Mädchen. Gegen den Mann werde daher auch nicht ermittelt, er sei nur ein Zeuge. Das Mädchen selber sage weiterhin kaum etwas Verwertbares zu dem Fall.

Die 13-Jährige aus Marzahn-Hellersdorf war am Morgen des 11. Januar für 30 Stunden verschwunden und hatte danach ihrer Familie von einer Entführung und Vergewaltigung durch eine Gruppe südländisch aussehender Männer erzählt. Die Polizei fand dafür keinerlei Bestätigung. Auch eine medizinische Untersuchung ergab nichts in dieser Richtung. Bei ihren Befragungen präsentierte das Mädchen vier verschiedene Versionen für die Zeit ihres Verschwindens.

Henkel klagt über russische Propanda

Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) erklärte: „Die neuen Entwicklungen entlarven deutlich die Propaganda, die in den letzten Tagen mit diesem Fall verbunden war.“ Staatsanwaltschaft und Polizei hätten sich von dem Druck der letzten Tage nicht beirren lassen, sondern sorgfältig und beharrlich ihre Arbeit gemacht.

Auf die Spur des Mannes kam die Polizei über rekonstruierte Daten aus einem kaputten Handy der Schülerin. Die Wohnung des Mannes wurde durchsucht.

Ermittelt wird weiterhin gegen zwei junge Männer wegen schweren sexuellen Kindesmissbrauchs. Sie werden verdächtigt, in den Monaten vor dem Verschwinden des Mädchens sexuelle Kontakte zu ihr gehabt zu haben. Die Polizei geht davon aus, dass die 13-Jährige die Männer schon über Monate kannte. Weil das Mädchen jünger als 14 Jahre ist, ist auch freiwilliger Sex mit Erwachsenen strafbar.

Verschwörungstheorien lösen sich in Luft auf

In den Wochen nach dem Wiederauftauchen des Mädchens gab es große Aufregung unter vielen Russlanddeutschen in Berlin. Im Internet wurden Verschwörungstheorien und fremdenfeindliche Hetze gegen Flüchtlinge verbreitet. Russische Medien heizten die Stimmung an.

Der russische Außenminister Sergej Lawrow warf den deutschen Behörden vor, den Fall lange verheimlicht zu haben. Nach „allen Regeln der zivilisierten Welt“ hätte Russland rechtzeitig über den Zwischenfall informiert werden müssen, sagte er. Erste Hinweise habe Moskau aber nicht von deutschen Behörden, sondern von der „russischsprachigen Gemeinde“ in Deutschland erhalten. „Genau deshalb ist diese Situation entstanden (...) Da es sich um eine Bürgerin der Russischen Föderation handelt, können wir nicht einfach das Ende der Untersuchung abwarten.“ Nach Behördenangaben hat das Mädchen allerdings auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) kritisierte daraufhin Russland und sagte, es gebe keine Rechtfertigung, den Fall für „politische Propaganda“ zu nutzen, um damit die ohnehin schwierige Migrationsdebatte in Deutschland anzuheizen.

Innensenator Henkel betonte: „Politischer Druck aus dem Ausland wird nicht dazu führen, dass wir irgendetwas an unseren rechtsstaatlichen Prinzipien ändern. Ich verwahre mich auch in künftigen Fällen gegen jeden Versuch der Einflussnahme und werbe für Vertrauen in die Arbeit der Ermittler.“ Es sei immer auch um die Persönlichkeitsrechte des Mädchens gegangen, auch wenn die Behörden dadurch kritischen Spekulationen ausgesetzt gewesen seien. „Das ist in einem Land, in dem Meinungsfreiheit herrscht, nun einmal so.“