Andreas Tilp vertritt Kapitalanleger, die sich von Unternehmen getäuscht sehen Foto: privat

Als junger Student verzockte er viel Geld an der Börse. Als Anwalt setzt sich Andreas Tilp für die Rechte von Anlegern ein. In den vergangenen Wochen hat er spektakuläre Erfolge erzielt.

Kirchentellinsfurt - Vielleicht hätte Andreas Tilp unter anderen Umständen bei seinem Lieblingsitaliener in Tübingen gefeiert. Innerhalb von nur drei Wochen hat der 51-Jährige mehrfach in den Gerichtssälen der Republik für Aufsehen gesorgt. Doch die Erkältung war auch für einen robusten und offensichtlich genussfreudigen Typ wie Tilp zu stark. Einen Tag Auszeit hat er sich gegönnt, jetzt sitzt er wieder in seinem Büro in Kirchentellinsfurt nahe Tübingen. Tilp trägt ein weißes Hemd und rote Hosenträger. Obwohl die Stimme noch kratzt, kommt er schnell in Fahrt. „Für Porsche habe ich drei Wochen durchgearbeitet, das hat mich echt geschrottet“, sagt er in breitem Schwäbisch.

Der Porsche-Prozess, das könnte sein nächstes großes Ding werden. Ende November hat Tilp einen Antrag auf ein so genanntes Musterverfahren gestellt. Dort werden zentrale Rechts- und Tatsachenfragen geklärt, die eine Vielzahl von Verfahren betreffen. Spätere Einzelklagen können dann viel schneller bearbeitet werden. Tilp vertritt im Fall Porsche Hedgefonds und institutionelle Anleger. Es geht um zwei Milliarden Euro, die er geltend macht. Seine Mandanten haben viel Geld verloren bei Aktien-Spekulationen während des Versuchs der Porsche SE, die Volkswagen AG zu übernehmen. Seit Jahren sind Landgerichte in Stuttgart, Braunschweig, Hannover und Frankfurt mit dem Fall befasst. Die Ansprüche der Geschädigten summieren sich auf über fünf Milliarden Euro. „Wenn ein Musterverfahren eröffnet wird, können sich andere Investoren einfacher und für kleines Geld anschließen“, sagt Tilp. „Das hat einen Turboeffekt.“ Alle laufenden Verfahren würden dann bis zu dieser Entscheidung ausgesetzt. Ob im Fall Porsche ein Musterverfahren zugelassen wird, entscheidet sich im kommenden Jahr.

Tilp ist wie die Staatsanwaltschaft Stuttgart und weitere zivile Kläger überzeugt, dass Porsche die Öffentlichkeit getäuscht und den Markt manipuliert hat. Porsche hatte im Zeitraum von März bis Oktober 2008 in mindestens fünf Fällen dementiert, die Beteiligung an VW auf 75 Prozent des stimmberechtigten Kapitals erhöhen zu wollen. Dabei, so der Vorwurf, sei bereits von Februar des gleichen Jahres an beabsichtigt gewesen, Volkswagen noch im ersten Quartal 2009 zu beherrschen. Für Tilp ist vor allem der 26. Oktober 2008 entscheidend, als Porsche bekannt gab, bereits Zugriff auf 74,1 Prozent der Aktien zu besitzen. „Diese Mitteilung war falsch“, ist Tilp überzeugt. Mit der Information habe Porsche lediglich einen weiteren Kurssturz der VW-Aktie verhindern wollen. Denn die Manager hätten Porsche durch riskante Spekulationsgeschäfte in eine Situation gebracht, die das ganze Unternehmen gefährdete. Werden die Ex-Porsche-Chefs Wendelin Wiedeking und Holger Härter rechtskräftig verurteilt, könnte laut Tilp auch der Staat die Hand aufhalten und bis zu fünf Milliarden Euro an Unrechtsgewinnen zurückfordern. Wiedeking und Härter müssen sich 2015 in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Stuttgart verantworten.

Das Fürchten gelehrt hat Tilp in der vergangenen Woche auch die Vorstände der Hypo Real Estate (HRE). In einem von ihm geführten Musterprozess vor dem Oberlandesgericht München kamen die Richter nach zehn Monaten Verhandlungsdauer zum Schluss, dass die HRE ihre Lage im Krisenjahr 2007 falsch dargestellt und die Aktionäre zu spät auf ihre Probleme hingewiesen hatte. Die Schadenersatzsumme beträgt eine halbe Milliarde Euro. Der Fall wandert jetzt zum BGH. Doch Tilp ist guter Dinge, dass die ehemaligen Aktionäre zumindest einen Teil ihres verlorenen Geldes wieder sehen.

Nur wenige Tage zuvor erzielte die Kanzlei Tilp einen Erfolg im langjährigen Streit mit der Deutschen Telekom. Die rund 17 000 klagenden Kleinaktionäre können nach dem Urteil des BGH auf Schadensersatz hoffen, weil die Richter den Prospekt zum dritten Börsengang der Telekom als „objektiv falsch“ beurteilten. Ob die Telekom tatsächlich bis zu 80 Millionen Euro plus Zinsen an Entschädigungen zahlen muss, ist aber Gegenstand einer erneuten Verhandlung bei der Vorinstanz, dem Oberlandesgericht Frankfurt.

Über 100 grundsätzliche Entscheidungen höchster Gerichte hat Tilps Kanzlei seit Gründung im Jahr 1994 bereits herbeigeführt. Um zu verstehen, warum sich der gebürtige Plochinger und Vater von drei Kindern so vehement für Anlegerrechte einsetzt, muss man eine Episode aus seiner Vergangenheit kennen. Anfang 1987 studierte er im dritten Semester Jura an der Uni Tübingen. Weil er in den Ferien beim Daimler jobbte und Geld auf die Seite gelegt hatte, investierte er in Aktien-Optionen, die damals als Anlageform frisch auf den Markt gekommen waren. Aus 1500 Mark machte er 130 000 Mark. Dann geschieht das eigentlich Unglaubliche. Die Anlageberaterin seiner heimischen Volksbank im Filstal gibt dem damals 24-Jährigen für weitere Spekulationsgeschäfte einen Kredit über fast eine Million Mark.

Es folgt der Börsencrash vom 19. Oktober 1987. „Ich stand mit dann 400 000 Mark in der Kreide“, erzählt Tilp. Eines Abends klingelte der Volksbank-Chef bei der Familie und forderte das Geld zurück. Doch der angehende Jurist fand heraus, dass Optionsgeschäfte rechtlich als Wette zu bewerten sind – und daraus entstandene Schulden müssen nicht beglichen werden. „Durch meinen eigenen Mist habe ich mein juristisches Fachgebiet entdeckt“, sagt Tilp und zupft an seinen Hosenträgern.

Prinzipiell hat Tilp nichts gegen Spekulationsgeschäfte. Sie seien normaler Teil unseres Wirtschaftssystems, sagt er. Dann wird er etwas lauter: „Aber die Banken zocken oft mit gezinkten Karten.“ In den Glaspalästen in Frankfurt säßen „einige verkommene Leute“, poltert er. Dort würde billigend in Kauf genommen, dass die Kunden Geld verlieren. Daran habe sich auch nach der Finanzkrise und den schärferen Regeln für Banken nicht grundsätzlich etwas geändert.

Was sich jedoch geändert hat, ist die Rechtsprechung. Während früher Kleinanleger mit ihren Klagen gegen große Firmen keine Chance gehabt hätten, sehe dies dank der Möglichkeit von Musterklagen nun anders aus. Dadurch würden die Geschädigten gezwungen, an einem Strang zu ziehen. „Das hat was ins Rollen gebracht“, sagt Tilp, dessen Kanzlei inzwischen auch Ableger in den USA der Schweiz und Portugal hat. Trotzdem sieht sich Tilp vor allem als Frontmann im Gerichtssaal. „Ich bin ein Handwerker und muss mit meinem Handwerkszeug kämpfen“, beschreibt er seine Rolle. Sollte er auch gegen Porsche gewinnen, wäre mal wieder ein Essen beim Italiener fällig.