Fordert den Schulterschluss aller Trick- und Effektleute am Standort Region Stuttgart: Andreas Hykade Foto: Reiner Pfisterer/Animationsinstitut

Er ist ein profilierter Trickfilmer und hat viele Talente ausgebildet als Professor am Ludwigsburger Animationsinstitut, das er nun leitet. Im Interview erklärt Andreas Hykade, was er vorhat und wieso der Standort Freaks braucht.

Ludwigsburg – - Herr Hykade, wie fühlt man sich als Chef zweier erfolgreicher Marken?
Als Regisseur bin ich es gewöhnt, die Richtung vorzugeben. In meiner eigenen Arbeit kann das in totalitärer Art stattfinden, was in der Realität natürlich nicht geht. Die Mitarbeiter haben eigene Köpfe, und das ist gut so. Thomas Haegele hat mir ein sehr fein abgestimmtes Haus hinterlassen.
Was planen Sie für die Lehre?
Zum Grundprinzip Learning by Doing soll mehr Basiswissen kommen, aber ohne Festlegung. Die Disney-Regeln etwa sind nicht falsch, aber speziell – sie machen Leute zu Disney-Animatoren. Wir zeigen auch, wie etwa in Tschechien animiert wird. Zudem sollen unsere Studienschwerpunkte Animation, interaktive Medien und Forschung und Entwicklung stärker interagieren. Bei „Das Krötenlied“ haben die Macher die Bewegungen von Handpuppen auf Computer-3-D-Charaktere übertragen. Da trifft ein ambitionierter Regisseur auf eine wunderbare Grafikerin, ein künstlerischer Ansatz auf die nötige technische Umsetzung. Wenn beide dann noch transmedial denken, stimmt für mich alles.
Was zeichnet das Institut besonders aus?
Thomas Haegele und ich kamen von unterschiedlichen Seiten und haben vorgelebt, dass eins das andere bereichert: Kommerzielle Produktionen bekommen individuellen Ausdruck, künstlerische ein bestimmtes Produktionsniveau. Letztlich ist beides schon lange eins, man muss es nur so sehen. Außerdem betrachten wir Menschen und Projekte individuell, holen Lehrer, wenn Projekte es erfordern. Und wenn Studierende das Analoge wiederentdecken, öffnen wir einen Raum und besorgen zehn Kilo Knete.
Wie entwickelt sich aus Ihrer Sicht der Animationsstandort Region Stuttgart?
Wir haben hier das ganze Spektrum, ideenreiche Künstler und alle technischen Möglichkeiten, und alles findet weltweit Anerkennung, „Tom und das Erdbeermarmeladebrot mit Honig“ genauso wie die visuellen Effekte in „Game Of Thrones“. Nur beides zusammen entfaltet die Strahlkraft eines deutschen Animationszentrums, das sich zum europäischen entwickeln kann. Wir haben hier einen Kulturauftrag, davon bin ich überzeugt. Nur kulturelle Identität führt zu nachhaltigem Erfolg, ohne sie wäre der Standort nur ein Durchlauferhitzer. Und mit dem Animations-Cluster gibt es einen Zusammenschluss, der all das gestalten kann.
Bislang fehlt ein gemeinsames Projekt.
Wir werden keine 150 Millionen Dollar zusammenbekommen wie Disney und Pixar, aber vielleicht zwölf für einen Film wie „Grand Budapest Hotel“. Ari Folman macht einen Film über Anne Frank, Chris Landreth über den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, da denke ich: Kommt, macht das hier! Oder wir entwickeln selbst etwas – ein Trickfilm-Remake von „The Incredible Shrinking Man“ von 1957 zum Beispiel.
Wandern immer noch viele Absolventen ab?
Wir freuen uns, wenn es Leute nach L. A. schaffen, aber noch mehr, wenn sie bleiben wie die Macher des hochtechnischen Films „Loom“. Sie haben das Studio Woodblock gegründet und drehen potente kommerzielle Produktionen, realisieren aber auch mit Animationsregisseurin Andrea Deppert den Familienfilm „Latte Igel“, für den sie 2014 in Stuttgart den Animationsdrehbuchpreis bekommen hat. Das sind Leute, die hier Fuß zu fassen versuchen, denen muss man sich empathisch zuwenden.
Welche Rolle kann der SWR spielen?
Wir haben mit Redakteur Benjamin Manns das Kinderformat „Ich kenne ein Tier“ entwickelt, das könnte ein Modell sein. Es ist eine Art Rätselraten um ein Tier, Studierende haben eine Woche Zeit, Kinder und Trickfilm zum Interagieren zu bringen. Wer sich bewährt, darf dann eine eigene emotionale Tiergeschichte machen. Angela Steffen hat daraus bereits eine eigene Serie namens „Meine Schmusedecke“ entwickelt.
Was gehört zu einer langfristigen Perspektive?
Bei einer Vollfinanzierung bekommt der Sender alle Verwertungsrechte, und die Künstler fangen hinterher wieder bei Null an. Darum haben die MFG-Filmförderung und der SWR je 47,5 Prozent finanziert, der SWR hat die Verwertungsrechte für die Filme, die Filmemacher behalten die Kontrolle über ihre Figuren. Das ist wichtig, das habe ich bei „Tom“ gelernt. Es gab da zig Situationen: Tom tanzt um den Christbaum, können wir das so machen als Weihnachtskarte? Nein! Christbaum? Seid ihr irre?
Sie haben sogar Disney abgewiesen . . .
Weil bei den Verhandlungen ein amerikanischer Eisengel saß und um die dreißig entscheidende Änderungen eingefordert hat, zum Beispiel, dass der Mund von Toms Mutter nicht aussehen darf wie eine Narbe. Ich habe erwidert: Der Mund der Mutter sieht aus wie eine Narbe, weil ich glaube, dass in jedem Kunstwerk eine Narbe sein muss, und in unserem Kunstwerk ist es diese. Die hat mich angeschaut, als wäre ich nicht ganz dicht. Das war ein bewusster Schritt. Statt 300 Länder stromlinienförmig hatten wir zehn oder zwölf genau so, wie ich das wollte.
„Tom“ scheint ein Sonderfall zu sein.
Unsere Kulturgeschichte ist eine Aneinanderreihung von Unfällen. Da Vinci, Michelangelo, van Gogh, Michael Jackson – das waren alles Freaks. Nach solchen müssen wir suchen. Wir haben jetzt einen, Patxi Aguirre, dessen Film „Chocolate Darwin“ beim Trickfilm-Festival läuft. Da geht’s drunter und drüber, und ich bin froh um jeden, der mal über die Stränge schlägt.
Welchen Fokus hat die Business-Plattform Animation Production Day, die das Trickfilm-Festival und die FMX gemeinsam veranstalten?
Wir weiten den Blick, schauen nicht mehr nur auf Serien. Jemand von Playmobil berichtet, wie Spielzeuge ins Fernsehen kommen, und das kann ja auch andersrum gehen: Wie wird meine Trick-Figur zum Spielzeug? Vom Europapark kommt auch jemand, für die ist Immersion das Thema der Stunde.
Mit dem sich auch die FMX beschäftigt.
Die Leinwand löst sich auf, der Spielort umgibt den Zuschauer. Technisch ist schon einiges ausgelotet, künstlerisch noch kaum. Das Hauptproblem ist die Haptik: Wenn da eigentlich kein Tisch ist, wo soll ich dann meine Tasse hinstellen? Aber wir arbeiten dran.
Sie hatten einen Hit im Netz – wie ging das?
Das Studio Filmbilder hat meinen aktuellen Film „Nuggets“ direkt in seinen You-Tube-Kanal gestellt, parallel zur Festival-Auswertung. Wir hatten 7 500 000 Klicks, damit ist die Hälfte von Teil zwei finanziert. Die andere Hälfte wäre es auch, wenn wir an dem Tag die Crowd-Funding-Kampagne parat gehabt hätten. Da steckt also viel Potenzial drin, etwa für mein lange geplantes Spielfilm-Projekt „Jesus“. Wie das „Dschungelbuch“ ließe sich das in Kapiteln erzählen, drei davon könnte man im Netz zeigen, damit ein Buzz entsteht, und dann sagen: Den Rest gibt’s nur im Kino, also bewegt eure Hintern!
Kaum jemand kennt die Namen von Animatoren – woran liegt das?
Sie geben den Figuren die Seele, aber was man nicht sieht und hört, ist in Deutschland nichts wert. Als der WDR nach 25 Jahren die Rechte an der Maus wollte, musste er mit der Person verhandeln, die sie an einem Nachmittag gezeichnet hatte – aber nicht mit der, die Wesen und Natur der Maus entwickelt hat: wie sie geht, steht, zwinkert, all das, was die Maus für uns ausmacht. Es müsste eine Urheberschaft auf Animation geben.
Die Möglichkeiten des Trickfilms scheinen unerschöpflich. Gibt es Grenzen?
Man kann nur die Natur der Figur zum Ausdruck bringen. Man ist ihr komplett verpflichtet, man muss ihr dienen: Es geht nicht um mich, sondern um Balu, den Bären. Und man muss auf die Figur hören, sie erzählt einem, wie sie ist. Die Gestalt gibt auch viel vor, Geist und Fleisch hängen ja zusammen.