Klicken Sie sich durch die Bilder des Abends. Foto: Frank Kleinbach

André Butzer war Gast in unserer Gesprächsreihe in der Galerie Klaus Gerrit Friese in Stuttgart.  

Stuttgart - Hamburg - Stuttgart - Hamburg - Berlin - Berlin-Rangsdorf: Das sind die Lebensstationen von André Butzer. Ausstellungen seiner Werke führen ihn heute in alle Welt. Einerseits Kunststar, andererseits Impulsgeber von Kollektivprojekten - auch aus dieser Spannung schöpft der gebürtige Stuttgarter.

Zeitgenössische Kunst gibt es nicht. Und alles, was nach Paul Cézanne kam, gehört "vernichtet", wenn auch "nicht ausradiert". Kein Murren wird laut unter den etwa 120 Zuhörern, wenn André Butzer seine radikalen kunsttheoretischen Ansichten äußert. Und schon nach wenigen Dialogminuten ist klar: Nikolai B. Forstbauer, Kulturressortleiter unserer Zeitung, hat an diesem Abend unserer Veranstaltungsreihe "Über Kunst" einen höchst eigenwilligen Partner im Gespräch.

1973 in Stuttgart geboren, wurde Butzer in der internationalen Kunstszene durch seine von ihm als Science-Fiction-Expressionismus bezeichneten Bilder bekannt. Angeregt durch Walt Disney, verwendet er selbst kreierte Figuren, die als Synonym für historische Personen wie solche aus dem "Dritten Reich" benutzt werden. Der Blick nach Kalifornien - und damit zu Disney - drängte sich Butzer schon als Kind auf und ging in frühe Arbeiten als Comickultur ein. "Disney", sagt er, "begegnete mir als kolonialisierte Form in der schwäbischen Heimat mit Blick auf die Patch Barracks." Solche Quellen seien überhaupt immer gut, um Spannung aufzubauen.

Andere Startimpulse? André Butzer verweist auf die "wenigen Monate" in der Merz-Akademie in Stuttgart. Dort, sagt er, sei er hingegangen, "um die richtigen Menschen am richtigen Ort zu finden", Diedrich Diederichsen etwa, und "um so schnell wie möglich wieder abzuhauen". Zurück nach Hamburg - wo er sich den Traum erfüllte, "Teil einer Avantgardebewegung" zu sein. Mit anderen Künstlern gründet Butzer 1996 die Akademie Isotrop. Die Beteiligten sind zugleich Studierende und Lehrende, halten Vorträge, organisieren Ausstellungen. Die Seminare für Philosophie, Kunstgeschichte und Grafikdesign finden in Wohnungen statt.

"Ich schöpfe aus dem Stoff, aus Materie und philosophischem Wissen, nicht aus Ideen", gibt André Butzer Auskunft. Nebenbei winkt er Bekannten unter den Gästen des Abends zu und gibt sich versöhnlich, wenn er sich durch den Moderator mit früheren Zitaten konfrontiert sieht. "Die Trennung von E- und U-Kunst gibt es nicht, wir sind alle E und U - das soll ich gesagt haben?", fragt er. Und ergänzt: "Das ist das Dilemma, in den 1990er Jahren kamen alle Kategorien zusammen, das war das Übelste, was uns passieren konnte." Vielleicht, denkt er dann öffentlich nach, "wollen nun alle Doppel-U sein". Kunst bewegt sich für ihn auf einem schmalen Grat zwischen Vergangenheit und Zukunft. Und Butzer warnt, für viele überraschend, vor dem Begriff des Zeitgenössischen. "Eine zeitgenössische Kunst macht sich zum Teilhaber von Moden und Trends", sagt Butzer.

Delfine deuten aus Wasserfarben

Kunst, so ahnt man, ist für Butzer mehr und mehr etwas, das außerhalb der Zeitströme stattfindet. "Ich bin ja kein Maler, ich bin Künstler", sagt er - und erinnert zur Begründung an die "Logik", mit der sich seine Bildwelt aus seiner Sicht entwickelt hat. Einige Zeit, sagt er, "habe ich, mit 20 oder so, Papier mit vielen verschiedenen Farben bemalt - und vieles aufleuchten sehen". Delfine zum Beispiel. Kurz hält er inne - und sagt dann: "Man muss sich nur dumm genug anstellen, um etwas in Wasserfarben zu sehen." Ironisch meint er das nicht. Die Delfine zu deuten, sagt er, "sei eine logische Konsequenz aus Stoff". Genauso verfahre er mit seinem Figurenensemble, mit den "Friedens-Siemensen", mit "Schande-Menschen" und "Henry Ford". Der Stoff sei industrialisiert, der Stoff sei Henry Ford - also gebe es keinen Grund, Henry Ford nicht zu malen. Als "Kommando Henry Ford" tauchte der US-amerikanische Namensgeber für eine von Butzer organisierte Gruppenausstellung 2004 im Neuro-Café in Stuttgart auf. Das "Kommando Tilmann Riemenschneider" war 2008 im Hospitalhof zu sehen, andere "Kommando"-Projekte gingen um die Welt. "Die Kommandos", sagt Butzer, "waren der Versuch, unsere avantgardistischen Kollektive fortzuführen, ein Versuch, jenseits der Einsamkeit des Künstlern tätig zu sein."

Sucht er aber nicht diese Einsamkeit selbst? "Reiner Frieden, blauer Himmel, kein Blut", bestätigt Butzer, sei an dem Ort, an den er sich seit geraumer Zeit freiwillig in Einsamkeit gebracht habe. Auf dem Gelände des früheren Reichssportflughafens in Rangsdorf bei Berlin kostet er vom Glück, "diesen Ort neu zu definieren".

André Butzer ist mit seinen Werken heute in wichtigen Sammlungen vertreten, seine Ausstellungen führen ihn gerade auch in den nächsten Monaten in hohem Tempo durch die Welt. Eine Gefahr sieht Butzer darin nicht. Er greift sogar zu einer überraschenden Umkehrung: "Ich befinde mich", sagt er "am Anfang meiner Karriere, alles, was in den Bildern angelegt wird, ist untragbar, ist unlösbar." Alles, was vorher dynamisch war, werde lebensbedrohlich. "Da bin ich jetzt angelangt", sagt Butzer. Die Stille im Raum wird fast greifbar.

Darf man, so wird in den Anschlussgesprächen des Abends diskutiert werden, in unseren Tagen ein solch starkes Künstlerethos entwickeln? Das Gespräch auf der Bühne endet folgerichtig mit der Frage nach der Rolle des Künstlers in unserer Gesellschaft. "Künstler", sagt Butzer, "sollen Geschichte machen in Form eines Traums, der nicht verdrängt, sondern entwirft." Geschichte aber könne man nicht voraussagen. Erst aus der Zukunft betrachtet, sei sie Vergangenheit.

Auf Bitten André Butzers klingt der Abend mit Kunst über Kunst aus: Der Schweizer Psychologe Thomas Kamm liest eine Rilke-Sequenz über die Farbe Grau.

Zur Galerie Klaus Gerrit Freise