Eine Lottoannahmestelle in Magstadt ist überfallen worden. So viel ist gewiss. Foto: Kraufmann/Piechowski

Nach einem Raubprozess bliebe nur noch zu klären, wie ein nach allen juristischen Kriterien Unschuldiger vor Gericht geriet.

Magstadt - Dieser Prozessbeginn ist eine Rarität: „Ich habe keine Ahnung, warum ich hier sitze“, sagt der Angeklagte. Dieses Prozessende ist ebenfalls eine Rarität: Seiner Ansicht wird sich, knapp anderthalb Stunden später, sogar die Staatsanwältin anschließen, selbstredend in anderem Wortlaut. Der Amtsrichter Werner Kömpf wird die Urteilsbegründung mit dem Satz beginnen: „Das Urteil ist sicher mit wenig Spannung erwartet worden.“ Es lautet Freispruch. Selbst wenn der Angeklagte am Tatort gewesen wäre, ließe sich ihm keine Straftat anlasten. Dass er vor Ort war, lässt sich ohnehin nicht beweisen.

Formal sitzt dieser 22 Jahre alte Mann wegen schwerer räuberischer Erpressung auf der Anklagebank. Er soll Komplize bei einem fehlgeschlagenen Raubüberfall in Magstadt gewesen sein. So ist es in der Anklageschrift verewigt. Im Februar 2016 kam ein maskierter Mann in eine Toto-Lotto-Annahmestelle. Er drohte dem Inhaber mit einem Elektroschocker und forderte Geld. Der Kioskbesitzer weigerte sich. Als eine Zeitungslieferantin in den Laden kam, ging der Täter ohne Beute davon, „in aller Ruhe“, wie die Frau vor Gericht aussagt.

Der Angeklagte soll beim Überfall Schmiere gestanden haben

Draußen stand ein zweiter Mann. Er soll „klassisch Schmiere gestanden haben“, wie es ein Polizist formuliert. Mit ihm ging der Räuber fort. Die beiden waren zuvor schon einer Floristin aufgefallen, die vor ihrem Laden rauchte. Der eine schlich, vermummt mit Schal und Kapuze, hinter einem Lieferwagen hin und her. Der andere stand ein Stück die Straße hinauf. Ab und an gestikulierten die beiden. Dieser zweite Mann soll der Angeklagte gewesen sein – dachten die Ermittler der Kriminalpolizei genauso wie die Staatsanwaltschaft.

Aufzuklären wäre nach diesem Prozess, wie ein nach allen juristischen Kriterien Unschuldiger auf die Anklagebank geriet. Der Hauptgrund dafür war seine seltene Haarfarbe, rotblond. Die modernen Methoden der Polizeiarbeit spielen ebenfalls eine Rolle. Die Floristin beschrieb den zweiten Mann. Die Kripo glich die Beschreibung mit ihrer Datenbank ab.

Übrig blieben Fotos von 46 jungen Männern mit rotblondem Haar und durchschnittlicher Statur, die schon einmal bei der Polizei aufgefallen waren. Die Floristin war zu 80 Prozent sicher, auf dem Foto Nummer elf den Mittäter wiederzuerkennen. Die Kripo zeigte ihr andere Fotos von ihm. Die Floristin bestätigte ihre eigene Beschreibung: Sie war nun 100-prozentig sicher. Der Mann trug sogar dieselbe Jacke, eine schwarze Lederjacke – und Bluejeans.

Die Zeugenaussagen sind voller Widersprüche

Allerdings glaubt die Zeitungslieferantin, sich an helle Kleidung zu erinnern. Was nicht der einzige Widerspruch bleibt. Mal soll der Unbekannte zehn Meter entfernt gestanden sein, mal 60, 100, 200. Je nachdem, wann wer befragt wird oder wurde. Der Überfallene selbst kann nicht einmal die Statur des zweiten Mannes beschreiben. Die Floristin ist sicher, den Mann auf der Anklagebank wiederzuerkennen. Gleich darauf sagt sie aus, dass die Entfernung zu groß gewesen sei, um die Form von Nase, Ohren oder Mund zu sehen.

In die Polizeiakten war der 22-Jährige geraten, weil er ohne Angelschein gefischt hatte. Außerdem wurde er mit Cannabis erwischt. „Krimskrams“, sagt der Richter Werner Kömpf. „Ich war noch nie in Magstadt“, sagt der Angeklagte. Er wohnt in Waiblingen, schon sein Leben lang. Die Kripo hatte ihn vorgeladen. Er kam nicht. Die Anzeige ging an die Staatsanwaltschaft. Der 22-Jährige beteuert, dass er nie eine Ladung bekommen habe.

„Das kann dahingestellt bleiben“, sagt Kömpf. In seiner Urteilsbegründung kommt er zu dem Schluss, dass „es nicht einmal Sinn gehabt hätte, an dieser Stelle Schmiere zu stehen.“ Das Verfahren ist beendet. Die Kosten trägt die Staatskasse.