Der Prozess um den Vater des Amokschützen von Winnenden müsse neu aufgerollt werden, hieß es in einem Medienbericht. Foto: dapd

Der BGH hat das Urteil gegen den Vater von Tim K. wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben.  

Karlsruhe - Für viele Angehörige der Amoklauf-Opfer von Winnenden bedeutete das Urteil gegen den Vater des Todesschützen zumindest ein wenig Gerechtigkeit. Doch der Prozess gegen Jörg K. muss mehr als drei Jahre nach der Bluttat seines Sohnes neu aufgerollt werden. Wegen eines Verfahrensfehlers hob der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil auf.

Die Verteidigung habe keine Gelegenheit gehabt, eine Familientherapeutin als wichtige Zeugin zu befragen, heißt es in dem Beschluss vom 22. März, der der Nachrichtenagentur dpa vorliegt. Zuvor hatte „Focus Online“ darüber berichtet. Der BGH verwies das Verfahren an das Landgericht Stuttgart zurück (Az.: 1 StR 359/11).

Im Februar 2011 auf Bewährung verurteilt

Das Gericht hatte den Vater des Amokläufers Tim K. im Februar vergangenen Jahres unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in 15 Fällen zu einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Der passionierte Sportschütze habe die Waffe und große Mengen an Munition einfach herumliegen lassen, obwohl er um die psychischen Probleme seines Sohnes wusste, hieß es damals zur Begründung.

Tim K. hatte am 11. März 2009 in seiner früheren Realschule in Winnenden (Rems-Murr-Kreis) und auf der Flucht nach Wendlingen (Kreis Esslingen) 15 Menschen und sich selbst erschossen. Die Tatwaffe hatte sein Vater zuvor unverschlossen im Schlafzimmer aufbewahrt.

Hinterbliebenen-Anwalt Rabe: "Sehr ärgerlich"

Jens Rabe, Anwalt einiger Nebenkläger, reagierte am Montag auf den BGH-Beschluss mit Unmut: „Das ist sehr ärgerlich und für die Angehörigen sehr belastend.“ Auch Roman Grafe vom Aktionsbündnis „Keine Mordwaffen als Sportwaffen“ äußerte sich entsetzt: „Wenn Herr K. nur ein bisschen Mitgefühl hat, zieht er die Revision zurück.“ K. müsse außerdem klar sein, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit noch einmal verurteilt werde. Der heute 53-jährige Vater hatte das Urteil gegen ihn in der Vergangenheit mehrfach als „nicht fair“ bezeichnet.

Opferanwalt Rabe ging ebenfalls davon aus, dass das Gericht den Mann auch bei dem neu aufgerollten Prozess wegen 15-facher fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in 14 Fällen verurteilen müsste. „Ich stelle mir aber die Frage, ob ein solcher neuer Prozess überhaupt stattfinden wird. Denn bereits im ersten Verfahren hat die Verteidigung eine mögliche Verhandlungsunfähigkeit ihres Mandanten ins Spiel gebracht“, sagte er.

Verteidigung ist zufrieden

Hubert Gorka, einer der beiden Anwälte des Vaters von Tim K., zeigte sich zufrieden. „Für uns heißt das: Neues Spiel, neues Glück“, sagte er. Man habe einer „maßgeblichen Zeugin keine einzige Frage stellen können“, bekräftigte er. Außerdem habe der BGH zu Recht kritisiert, dass der Abschlussbericht einer psychiatrischen Klinik zum Zustand von Tim K. nicht habe verwertet werden dürfen.

Darin stehe wortwörtlich, dass eine Gefährdung anderer durch Tim K. ausgeschlossen wurde. „Wenn drei Spezialisten diese schreckliche Tat nicht vorhersehen konnten - dann kann es der Vater doch erst recht nicht“, sagte Gorka. Wesentliche Punkte, die den Vater hätten entlasten können, seien vom Gericht seinerzeit ausgeblendet worden.

Von Hans Steffan, dem zweiten Anwalt von Jörg K., war eine keine Stellungnahme zu erhalten. Der BGH äußerte sich ebenfalls nicht und verwies auf Zustellungsfristen, die vor einer Stellungnahme eingehalten werden müssten. Die Stadt Winnenden bekräftigte am Montag in einer Reaktion ihre Schadensersatzforderungen in Höhe von 14 Millionen Euro, die sie bei den Eltern des Amokläufers einfordern.

Zeugin verwickelte sich in Widersprüche

In der Stuttgarter Gerichtsverhandlung hatten die Richter, die Staatsanwaltschaft und einige Nebenklägervertreter unter anderem eine Therapeutin befragt, die die Familie des Amokläufers am Tattag betreut hatte und ihr auch später noch beistand. Sie hatte sich bei ihrer Aussage in Widersprüche verwickelt und sich dann auf ihr Aussageverweigerungsrecht berufen. Dass die Verteidigung zu keiner Zeit Gelegenheit hatte, die Zeugin zu befragen, sei bei der Revision zu Recht beanstandet worden, so die BGH-Richter.

Der Prozess gegen Jörg K. war das erste in Deutschland gewesen, bei dem ein Unbeteiligter nach einem Amoklauf vor Gericht stand und verurteilt wurde. Seine Verteidiger hatten gegen das Urteil im Juni 2011 beim BGH Revision eingelegt.