Das Moorbad ist angerichtet. Foto: Cyris

In den Ammergauer Alpen rund um Bad Kohlgrub setzt man auf die heilende Kraft eines Moorbads.

Bad Kohlgrub - Es sieht schwarz aus. Rabenschwarz. Durchsetzt von bräunlichen und gräulichen Farbtupfern. Der dickflüssige, schwarze Mischmasch schießt in eine hölzerne Wanne. Es liegt was in der Luft: ein erdiger Geruch. Der leicht faulige Duft von verflüssigtem, gequirltem und erwärmtem Torf. Gewonnen aus den Mooren rund um Bad Kohlgrub in den Ammergauer Alpen.

Für Bernd Steinbrecher ist es ein schwarzer Tag. Der x-te in seiner Laufbahn als Masseur und Moormann. So heißen die Moortherapeuten in den Kurhäusern und Hotels, die mit dem schwarzen Brei herumhantieren. Bei dem es sich richtigerweise um Torf handelt. Im Volksmund wegen seiner Herkunft aber einfach Moor genannt.

Bernd Steinbrechers Arbeitsplatz ist das Hotel Schillingshof in Bad Kohlgrub. Der Ort in den Ammergauer Alpen ist, wie seine Nachbargemeinde Bad Bayersoien, umzingelt von idyllischen Moorlandschaften.

Der Therapeut schiebt einen Holzzuber vor sich her. Wie gemacht für Badewannenkapitäne. Denn der Bottich wurde mit speziellem Bootslack versiegelt. „Weil der einiges aushält“, sagt Bernd Steinbrecher. Er trägt Gummistiefel, dicke Handschuhe und eine unverwüstliche Gummischürze. Arbeitskleidung, die man eher auf einem Fischkutter als in einer Heilstätte vermutet. „Die Flecken kriegt man nicht so einfach weg“, entschuldigt er seinen rustikalen Ganzkörperschutz.

Moorbäder entlasten die Gelenke und vertreiben Schmerzen

Wegkriegen – das ist häufig die Motivation für ein Moorbad. Nämlich Beschwerden, Zipperlein, aber auch handfeste Krankheiten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entdeckte man auch in Deutschland, dass sich Moor zum Reinlegen eignet. Moorbäder entlasten die Gelenke, lindern und vertreiben Schmerzen und Entzündungen. Die Durchblutung, der Stoffwechsel und die Entgiftungstätigkeit des Körpers werden angeregt, zudem der Hormonhaushalt reguliert. Das bedeutet erst einmal richtig Arbeit für den Kreislauf: Nach 15 bis 20 Minuten in der heißen Wanne ist der Körper schlapp. Dennoch sind Moorbäder ein altbewährtes Heilmittel, ohne Zusatzstoffe aus dem Chemielabor. Weshalb sie einst der Renner bei mehrwöchigen Kuraufenthalten waren. Und die Hotels buchstäblich tiefschwarze Zahlen schrieben. „Ende der 80er Jahre hatten wir bis zu 180 Moorbäder am Tag“, erinnert sich Bernd Steinbrecher. Ein halbes Dutzend Therapeuten kümmerte sich allein im Hotel Schillingshof um die Gäste. Zwei Badefrauen taten den ganzen Tag nichts anderes, als die schwarze Pampe wieder abzubrausen. Der Backstagebereich der Wellness-Abteilung erinnerte damals wie heute an einen Maschinenraum. Mit Förderband, Häcksler und Riesenquirl.

Heute werden deutlich weniger Moorbäder verschrieben, die sich „hauptsächlich Stammgäste leisten, die das von früher kennen“, sagt Bernd Steinbrecher. Und Patienten, die alles durchprobiert haben und bei den Moorbädern landen. Und nicht immer, um etwas wegzukriegen. Sondern mitunter auch, um etwas zu bekommen: Nachwuchs, nämlich.

Verträumte Spazier- und Wanderwege durchs Moor

Moorbäder sollen die weibliche Fruchtbarkeit erhöhen. Das Zusammenwirken von Moorsäuren und dem Hormonhaushalt, das Zusammenspiel von Wärme und Entspannung greifen der Natur offenbar unter die Arme. Unvergesslich für glückliche Eltern ist die Geburt ihres Moorbadbabys. Auch, weil die Erinnerung daran tief wurzelt: Im Kurpark von Bad Kohlgrub stehen zwei Dutzend Bäumchen. Gewidmet sind sie neuen Erdenbürgern, die offenbar nach einer Moorbadtherapie das Licht der Welt erblickten.

Zu Fuße der Ammergauer Alpen erblicken Touristen auch ansonsten so einiges. Etwa verträumte Spazier- und Wanderwege durchs Moor. Mancherorts ist das Terrain derart weich, dass man sich fast auf einem Trampolin wähnt. „Das tut den Gelenken gut“, erklärt Martin Doll, Wanderführer aus Bad Kohlgrub, „hier braucht man keine teuren Laufschuhe mit Gelsohle.“ Er nimmt gelegentlich Kurgäste mit auf die Wanderschaft.

Und präsentiert natürlich auch die Torfabbaugebiete. Zu erkennen an den vorsintflutlich anmutenden Baggern, die gelegentlich in der Landschaft herumstehen. Manchmal würden sich Kurgäste beschweren, so Martin Doll, dass man den vermeintlichen Schrott doch bitte schön aus der Natur entfernen solle. „Aber die sind tatsächlich noch in Betrieb“, sagt er.

In Bad Kohlgrub und Saulgrub erinnern Schauhütten an die Tradition des Torfstechens

Wo Warnschilder fehlen, sollte der gesunde Menschenverstand verklickern, dass Moore keine Spielwiesen sind. Mit einem Stock stochert Martin Doll in einem schwarzen See herum, um die Tiefe zu überprüfen. Es schlürft und schmatzt. Bei dem See handelt sich um „abgebadetes“ Moor. Jener Torf, der nach den Bädern in den Hotels aufgefangen und der Natur zurückgegeben wird. Im Lauf der Jahre wird er wieder verdicken.

Die Parzellen, der „Moorstich“, sind lange, schmale Grundstücke. Sie konnten nach der Säkularisierung von Ortsansässigen erworben werden. Der Torf diente früher hauptsächlich als Brennmaterial. Diese Bedeutung ging längst verloren. Viele Moorhütten, in denen Arbeitsgeräte und getrocknetes Moor gelagert wurden, verfallen. Bei Bad Kohlgrub und bei Saulgrub gibt es jeweils kleine Schauhütten, die an die alte Tradition des Torfstechens erinnern.

Heutzutage betätigen sich Einheimische wie Gäste anderweitig in der Natur. Etwa beim Langlaufen, Mountainbiken oder beim Weitblicken. Vor allem auf dem Hörnle, einem Aussichtsberg. Für Eilige ist der betagte Sessellift freilich eine schwere Geburt: Im Zeitlupentempo schwebt er hinauf. Oben angekommen bietet er einen Rundumblick, der seinesgleichen sucht. Auf der einen Seite das Wettersteingebirge, inklusive Zugspitze. Auf der andere Seite das Oberland mit Staffelsee. Im Hintergrund blitzt das berühmte Kloster Andechs auf, und am Horizont wabert München.

Vor allem aber sind viele Moorwiesen in unmittelbarer Umgebung zu erkennen. Eine Moorleiche wurde in den Ammergauer Alpen übrigens noch nie entdeckt. Man widmet sich lieber höchst Lebendigem: Quietschvergnügten Moorbadbabys.