Gauthier-Dance-Tänzer zeigen die Jockey-Choreografie „Conrazon corazon“ Foto: Brocke

Eric Gauthier feiert bei der fünften Alzheimer-Gala im Stuttgarter Theaterhaus mit Freunden und Publikum eine rauschende Party. Mit dabei: der VfB-Spieler Cacau in einem irren Fußballmatch.

Stuttgart - Mit guten Freunden und einer Familie im Rücken geht vieles leichter im Leben. Doch es gibt Situationen, wo stabile Bindungen plötzlich brüchig werden.Wenn etwa Krankheiten den Körper, Geist und die Persönlichkeit eines Menschen massiv verändern. Alzheimer, das große Vergessen, gehört zu den unheimlichsten Gebrechen. Meist fängt es harmlos an. Es gibt Erzählungen von Angehörigen, welche die lang verlegte Brille des dementen Vaters im Kühlschrank finden. Darüber kann man schmunzeln. Über den schleichenden Verlust der Identität, der einher geht mit Phasen von Verwirrtheit, Angstzuständen, Aggressionen, ganz gewiss nicht.

Eric Gauthier, der Leiter der Gauthier Dance Company, kennt diese Krankheit seit seiner Kindheit. „Mein Vater ist Alzheimer-Forscher in Kanada“, erzählt er am Samstagabend auf der Bühne zu Beginn seiner inzwischen zum fünften Mal stattfindenden Tanzgala zu Gunsten der Alzheimer Stiftung Baden-Württemberg, die unter der Schirmherrschaft Gerlinde Kretschmanns steht. Aus Unverständnis und Entsetzen vor den dramatischen Veränderungen, so Gauthier, wendeten sich viele Menschen von den Erkrankten ab. Und auch aus Furcht, selbst einmal von Demenz betroffen zu sein.

„Prevention is everything!“ – Vorbeugen sei alles, habe ihm sein Vater gesagt. „Bleiben Sie in Bewegung. Machen Sie einmal in der Woche ihre Spätzle selbst, gehen Sie in den Garten. Denken Sie an Ihre Kehrwoche. Oder besuchen Sie einen Buchclub. Nicht bloß RTL schauen, lieber den SWR“, scherzt Eric Gauthier.

„Paco Pepe Pluto“ – das sind drei ziemlich nackte Männer

Für diesen Abend, ein über zweistündiges Potpourri aus Tanznummern von sehr unterschiedlichen Kompanien, hat er selbst gute Freunde angefragt, die sich mit ihm für die Anliegen an Demenz und Alzheimer Erkrankter stark machen. „Klar, ich hätte auch das Mariinsky oder das Royal Ballet haben können, aber die kommen zum nächsten Colours-Festival sowieso“, flachst er.

Gauthiers eigenes Ensemble zeigt Ausschnitte aus dem Programm „Infinity“ aus der Saison 2014/15, das spritzig ironische „Conrazon Corazon“ des Spaniers Cayetano Soto. Tänzerinnen und Tänzer im Jockey-Dress lassen zu lateinamerikanischen Rhythmen ihre Hüften und Schultern erotisch kreisen. Später im Programm tanzen drei laut Eric Gauthier „ziemlich nackte Männer“ in Alejandro Cerrudos „Paco Pepe Pluto“ zu den herrlichen Schnulzen Dean Martins; feiern dabei die Schönheit des männlichen Körpers und nehmen gleichzeitig maskuline Klischees aufs Korn.

„Alte Zachen“, ein Pas de deux für zwei Herren in Karo-Boxershorts, gelben Hemden und lilafarbenen Strümpfen, den der aus Israel stammende Choreograf Nadav Zelner entwickelt hat, geht in eine ähnliche Richtung. „Das ist Gauthier-Style“, kommentiert Eric Gauthier begeistert das knackige Stück. Zelners Arbeit schätze er, weil der sich besonders um ein junges Publikum bemühe. Ein wichtiges Anliegen für eine Kunstform, die gerade Jugendlichen oft elitär und abgehoben erscheint, und die Gefahr läuft, im digitalen Zeitalter als Relikt der „guten alten Zeit“ nicht mehr Schritt halten zu können mit den Sensationen, welche die virtuellen Medien bereithalten.

Cacau spielt ein irres Fußballmatch

Das Thema dieser notwendigen Vernetzung von Alt und Jung durchzieht hintergründig den gesamten Abend. Popmusik steht gleichberechtigt neben Klassikern von Bach, Ravel und Piazolla. Hinzu kommen herausfordernde Töne von Künstlern wie Laurie Anderson, Moondog oder Amon Tobin. Neben Nachwuchskünstlern wie den Mitgliedern der baskischen Dantzaz Konpainia für Junioren treten Ensembles lang etablierter Choreografen auf. Bridget Breiner, dem Stuttgarter Publikum als Erste Solistin des Staatsballetts von 2001 bis 2006 in Erinnerung, schickt einen hinreißend schönen, erst düster, dann immer zuversichtlicher gestimmten Pas de deux aus ihrem mit dem Faust-Preis ausgezeichneten Werk „Ruß – Eine Geschichte von Aschenputtel“ vom Ballett im Revier Gelsenkirchen ins Stuttgarter Theaterhaus.

Ein besonderer Beweis von Eric Gauthiers Vernetzungskünsten war aber der Überraschungsauftritt des ehemaligen VfB-Spielers Claudemir Jeronimo Barreto, bekannt unter dem Namen Cacau. Zusammen mit Eric Gauthier und vier Tänzern spielt Cacau ein irres Fußballmatch in Zeitlupe zu einem Chanson von Charles Aznavour. Gauthier, in der Rolle des Schiedsrichters, entschuldigt sich vorne weg: „Wir hatten nur eine halbe Stunde, um die Nummer zu proben. Please be kind!“ Der „Freistoß“, so der Titel des Stücks, geht aber auch ohne Ball auf der Bühne voll ins Netz, auch wenn Gauthier den Spielern in VfB- und Borussia-Dortmund-Trikots immer wieder die rote Karte geben muss. Dass der VfB als Sieger aus der Nummer hervorgeht, ist Ehrensache – und optimistisch. Schließlich will der hiesige Verein wieder dorthin, wo Gauthier mit seiner Mannschaft längst angekommen ist: Zurück in die erste Liga!

Kurz vor Schluss animiert Eric Gauthier sein Publikum noch zum Mittanzen. Während hinter dem Vorhang Techniker eine Discokugel für das letzte Stück in den Bühnenhimmel hängen, bringt der Chef gemeinsam mit vier Tänzerinnen seinen motivierten Zuschauern eine kurze Choreografie zu Madonnas Song „Vogue“ bei. Das „Voguing“, ein anspruchsvoller, eleganter Tanzstil, imitiert Posen und Gesten der Supermodels auf einem Laufsteg. „Strike a Pose!“ – Werft euch in Pose, ruft Gauthier. Und alle machen mit, auch wenn es ihnen nicht leicht fällt, sich die ungewohnten Armhaltungen zu merken. Das knallbunte Konfetti-Kanonen-Finale, bei dem die Mitwirkenden einen mit zwanzigtausend Euro dotierten Scheck an eine Repräsentantin der Alzheimer Stiftung übergeben, bleibt unvergesslich. Schön, wenn man solche Freunde hat.