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Bisher sind sämtliche Versuche gescheitert, im Leonhardsviertel die Prostitution einzudämmen. Die Freien Wähler haben sich bei einem Rundgang informiert.

S-Mitte - Der Lichtblick für das Leonhardsviertel liegt auf dem Dach des Züblin-Parkhauses, wo 80 Menschen in Hochbeeten Tomaten, Sonnenblumen und Salat angebaut haben. Unten herrscht Armutsprostitution und Elend. Die ältesten Häuser Stuttgarts verfallen, weil sie leer stehen oder als illegale Bordelle verschandelt sind. Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle (Grüne) hat kürzlich den Freien Wählern (FWV) ihr Sorgenkind bei einem Rundgang präsentiert und darauf hingewiesen, dass inzwischen die Ausläufer des Rotlichtviertels bis auf die andere Seite der Hauptstätter Straße reichen. Auch dort stehen die blutjungen Prostituierten aus Osteuropa und mittlerweile gebe es mehr als 100 Wettbüros und Spielhallen in Mitte, weiß die Bezirksvorsteherin. Viele davon liegen ums Schwabenzentrum an der Eberhardstraße. „Ich bin total dagegen, dass die Vergnügungsstättensatzung im Leonhardsviertel umgesetzt wird“, sagt Kienzle. Damit würden alle in Gang gebrachten Rettungsversuche für das Viertel zunichte gemacht. „Der Rückkauf von Häusern wäre sinnlos.“

In Einzelfällen ist die Stadt erfolgreich

FWV-Stadtrat Jürgen Zeeb hatte den Rundgang initiiert und betont, dass sich seine Fraktion vor Ort ein Bild von den Zuständen machen wolle. Zum Abschluss waren er und seine politischen Freunde überzeugt, dass der Verfall des Leonhardsviertels nicht weiter hingenommen werden dürfe. Als Anreiz für künftige Entscheidungen der Stadträte zeigte Kienzle auch positive Beispiele, bei denen die Stadt von ihrem Vorkaufsrecht von Immobilien Gebrauch machte oder wo Investoren Bausubstanz sorgfältig saniert haben. So erwarb die Stadt das Café Mistral an der Ecke Hauptstätter-Straße/Weberstraße. Der Mietvertrag für die Gastronomie läuft 2016 aus, und der Bordellbetrieb im Obergeschoss ist bereits ausgezogen. Auch das Restaurant „Fou Fou“ an der Leonhardstraße ist einer der erfreulichen Anblicke im Viertel, genauso wie die Traditions-Weinstube Fröhlich und das Gebäude an der Ecke Olga- und Jakobstraße sowie das frühere Restaurant „Irma la Douce“, das heute unter neuem Namen skandinavische Küche anbietet. Die Betreiber haben aber erheblich unter der unmittelbaren Nachbarschaft zu leiden, das zeigt vor allem die hintere Ansicht an der Weberstraße. Da steht das angrenzende Bordell „Maxim“ neben dem schmuck renovierten Restaurant. Besonders ärgert sich Kienzle, dass ein ehemals im Bezirk politisch Aktiver im Besitz dieser und weiterer Immobilien im Viertel ist und zugesagt hatte, dass er für das „Maxim“ in der Nähe der Jakobschule eine andere Nutzung will. Darauf warte man im Bezirksbeirat schon lange vergeblich, betont Kienzle. „Dieses Haus macht die Ecke hier kaputt.“

Die Bezirksvorsteherin wünscht sich einen Kindergarten

Kienzle schwebt in einem der Gebäude der Weberstraße eine Betriebskita für die Rathausmitarbeiter vor. „Die Kinder könnten mit den Schülern der Jakobschule einen warmen Mittagstisch bekommen“, überlegt die Bezirksvorsteherin. Aber ihr Vorschlag wurde kategorisch abgelehnt. Der Grund: das „Maxim“ – ein Beispiel dafür, wie der Versuch, eine Mischung des Publikums im Viertel anzustoßen, immer wieder an den Bordellbetrieben scheitert. Hinzu komme die exorbitante Steigerung der Immobilienpreise. „Gebäude, die zwischen 150 000 und bis 180 000 Euro wert sind, werden für 500 000 Euro angeboten“, rechnete Kienzle den FWV-Politikern vor. „Viele Interessenten würden hier investieren“, sagt Kienzle. „Aber die Stadt muss der Steigbügelhalter sein.“

Dies gelte auch für die Leerstände an der Hauptstätter Straße 41 und 45. „Hier könnten Interimsnutzungen zum Beispiel für Künstler geschaffen werden“, schlägt sie vor. So könnte anderes Publikum ins Viertel gelockt werden. Dabei geizt die Bezirksvorsteherin auch nicht mit Kritik an der früheren rot-grünen Bundesregierung. Deren Prostitutionsgesetz, mit dem das horizontale Gewerbe jedem anderen Beruf gleichgesetzt wird, habe der Armutsprostitution Vorschub geleistet. „Außerdem hat man damals noch nicht an die Auswirkungen der EU-Osterweiterung gedacht.“ Die Prostituierten im Leonhardsviertel kommen fast ausnahmslos aus Bulgarien und Rumänien, weiß Kienzle.